Kapitel 45

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Das Haus war von innen genau so bunt wie von außen. Am meisten gefiel mir das rot geblümte Sofa im Wohnzimmer. Überall lagen Stapel mit Büchern herum, die keinen Platz mehr in dem riesigen Regal gefunden hatten. Hier und da sah ich auch Theaterhefte von Schulproben. An den Wänden hingen Plakate von Theaterstücken und Broadway Produktionen und sogar einige niedliche Kinderbilder von Elisa. Das Haus war einfach ein Ort zum wohlfühlen. Chaotisch aber warm. Yuhkai und ich hatten uns auf das Sofa gesetzt während Jake auf dem Sessel uns gegenüber Platz nahm. Anders als seiner Gefährtin schien ihm die Situation nicht peinlich zu sein. Elisa hatte hingegen noch immer tiefrote Wangen und traute sich noch immer nicht ganz, uns anzusehen, als sie sich auf den Boden vor Jake setzte und die Beine anwinkelte. Seine Hände fanden automatisch den Weg zu ihren Haaren. Es war niedlich, wie er verräumt mit einer der losen Haarsträhnen spielte.
„Okay, kann bitte jemand etwas sagen", flehte Elisa und an. „Oder ich Dreh hier gleich noch durch." Jake der Idiot lachte und drückte ihr wieder einen Kuss aufs Haar, was Elisa nicht gerade zu beruhigen schien.
„Wir wollten nur nach euch sehen", begann ich und sah zu meinem besten Freund. „Und uns vergewissern, dass es Jake gut geht." Sie lächelte leicht und langsam ließ die Röte in ihrem Gesicht nach.
„Danke", meinte Jake. Seine Stimme ernst. „Mir geht es besser. Aber ich sollte dich das lieber fragen." Ich schluckte. Ich wusste, dass Jake nicht auf meine Bewusstlosigkeit anspielte, sondern auf etwas anderes. Mein Magen schien sich zu drehen. Dankbar, dass Kai nach meiner Hand gegriffen hatte, sah ich ihn an. Ich konnte dem Drang, ihm einen Kuss auf die Schulter zu drücken, nicht widerstehen. Er lächelte mich liebevoll an, bevor er sich zu mir beugte und mir einen Kuss auf die Schläfe gab. So neu es auch war, es fühlte sich so unglaublich gut an. Richtig.

„Mir geht es den Umständen entsprechend", antwortete ich endlich und sah die beiden wieder an.
Jake nickte, wirkte jedoch nicht überzeugt.
„Ria geht es körperlich wieder sehr gut", sagte Yuhaki und Malte mit dem Daumen kleine Kreise auf meinem Handrücken. „Zum Glück. Aber wir sollten uns Gedanken darüber machen, was gerade mit ihr passiert. Sobald Ria sich verändert, erkennt mein Wolf sie noch stärker als seine Gefährtin, aber es macht mir auch Angst. Immerhin war sie dort im Wald, nachdem Erik seine Jungs dich so zugerichtet haben, nicht mehr sie selbst. Sie hat mich am Anfang nicht einmal erkannt." Ich schluckte. Diese Tatsache bereitete mir mehr Sorgen, als alles andere.
„Okay, also Jake hat mir nur kurz erzählt, das etwas vor sich geht. Aber es wäre hilfreich, wenn mir jemand komplett erklären könnte, was hier passiert", sagte Elisa und blickte zu uns auf. Ohne ihre Brille sah sie irgendwie nicht ganz nach sich selbst aus. Aber nur fast. Ich atmete tief durch und begann alles von Anfang an zu erklären. Doch dieses Gefühl, dass ich seit Jahren spürte, konnte ich einfach nicht in Worte fassen. Was mich am meisten ängstigte, waren nicht die besorgten Blicke der anderen, sondern der Gedanke, erneut die Kontrolle zu verlieren. Bis jetzt waren diese körperlichen Veränderungen immer aufgetreten, sobald ich stark emotional reagierte. Wer konnte mir also die Sicherheit geben, dass es nicht erneut passieren würde? Niemand. Und das machte mir Angst. In diesem Zustand, wie im Wald, hatte ich am Anfang ja nicht einmal meinen Gefährten erkannt.

„Oh man", stieß Elisa aus und ließ sich zurückfallen. Jake legte beschützend die Arme um ihre Schultern. Aber auch er sah besorgt aus.
„Ich habe Angst", gestand ich und sah zu Boden. Ich hatte keine Kraft die anderen anzusehen. „Ich habe keine Ahnung was mit mir passiert oder warum. Aber es macht mir Angst." Yuhkai zog mich sanft zu sich heran und gab mir einen Kuss auf die Schläfe. Seine Augen waren wieder wölfisch geworden.
„Wir werden Antworten finden", sagte er und sah mir fest in die Augen. „Gemeinsam."
Elisa stand auf und kam um dem kleinen Couchtisch herum. Ihre Arme schlangen sich um mich. Ich konnte spüren, dass sie nervös war, aber sie lies es sich nicht weiter anmerken.
„Yuhkai hat recht. Wir werden herausfinden, was mit dir passiert", sagte sie. „Aber vielleicht wäre es ratsam, deine Mom einzuweihen. Immerhin war sie ein Adanyi. Unglaublich stark und voller wissen, dass sie über Jahrhunderte angesammelt hat. Vielleicht hat sie eine Idee, wie wir dir helfen können." Jake stimmte ihr zu und blickte mich an.
„Du hättest das die ganzen Jahre nicht allein durchmachen müssen, ich hoffe, dass du das weist", sagte er. Seine Stimme war weich und ich konnte hören wie besorgt er war. Aber ich kannte Jake gut genug, um zu wissen, dass er sich selbst verurteilte, meine Veränderungen nicht schon früher mitbekommen zu haben.
„Ich weiß", bestätigte ich und lächelte ihn zaghaft an. „Und dafür bin ich dir unglaublich dankbar. Euch allen. Wirklich." Er kam auf mich zu und blieb dicht vor Yuhkai und mir stehen. Er wägte etwas für einen Moment ab, doch als Yuhkai ihm kurz bestätigend zunickte, zog Jake mich hoch in eine feste Umarmung. Ich schlang die Arme um seinen Oberkörper und war dankbar für ihn. Einfach weil er er war. Und kein anderer. Und ich war dankbar Yuhkai, der diese Umarmung zuließ. Er betrachtete uns zwar mit einem warmen Ausdruck auf dem Gesicht, doch ich spürte über unsere Verbindung, dass es ihm gar nicht passt.

Ich grinste, bevor ich mich von Jake löste und boxte ihn dann in den Arm. Er zuckte zurück, bevor er sich grimmig den Arm rieb.
„Wofür war das", fragte er.
„Für deine blöde Antwort vorhin an der Tür", gab ich zurück und sah Elisa an. „Du hast ab sofort die Verantwortung für ihn. Viel Spaß." Seine Gefährtin lachte bevor sie Jake an sich zog und einen entschädigenden Kuss auf die Lippen drückte. Ja, die beiden passten wirklich gut zusammen.
„Ich werde es mir merken."
„Na danke", murmelte Jake, bevor er Elisa für einen tiefen, festen Kuss näher an sich presste. Ich sah weg und betrachtete lieber meinen eigenen Gefährten. Seine eisblauen Augen waren auf mich gerichtet und Bilder, wie er über mir lag, nackt und mit diesem verführerischen Lächeln, erreichten meine Gedanken. Sofort begann mein Puls zu rasen und Wärme breitete sich zwischen meinen Schenkeln aus. Mein Hals wurde trocken. Das würde er zurück bekommen. Definitiv. Jake, der sich aus dem Kuss mit Elisa gelöst hatte, sah und wissend mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Ich glaube ihr solltet gehen", schlug er vor und noch eher wir antworten konnten, hatte er Elisa über seine Schulter geworfen und eilte mit ihr zur Treppe. Ich konnte noch nicht einmal eine ordentliche Verabschiedung hinterher rufen, da hatte mein eigener Gefährte mich schon aus dem Haus gezogen. Seine Bewegungen waren schnell. Übermenschlich. Und bevor ich überhaupt final realisiert habe, was hier gerade geschah, saß ich schon hinter ihm, die Arme um ihn geschlungen, und jagten über die Straße zurück nach Hause.

Wolfsblut - ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt