Kapitel 15

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Ich ich öffnete eine Hälfte dunklen Flügeltür aus Holz und trat in die Bibliothek. Die riesigen Regale voller Bücher in allen möglichen Sprachen - vielleicht nicht allen Sprachen - ließen die Schüler wie kleine Zwerge aussehen, so massiv wirkten sie uns gegenüber. Einige Schüler hatten es sich direkt beim Eingang in der Sitzecke bequem gemacht und arbeiteten still an ihren Aufsätzen oder Hausaufgaben, als wüssten sie nicht, dass gerade Mittagspause war. Ich sah jedoch Elisabeth nicht unter ihnen.
Mrs. Kings, die damalige Sekretärin, war nun - trotz ihres stattlichen Alters von irgendwas bei 80 Jahren - Bibliothekarin hier an der Schule. Sie hatte wie meine Eltern, die dunklen Wochen in denen der Adanyi die Gemeinde in Angst und Schrecken versetzt hatte, überlebt. Ich glaube wegen ihr waren Tante Mel und Zarek gerade hier. Sie kümmerten sich dankbar und liebevoll um die alte Dame.
"Mrs. Kings?", fragte ich vorsichtig über ihr Pult hinweg. Sie legte das Buch, was sie gerade mit zitternder Hand abgestempelt hatte beiseite, und sah mich an.
"Ria! Was darf ich für dich tun Liebes?", ihre Stimme war herzlich und warm, aber auch sehr leise und durchs Alter gezeichnet.
"Ich suche Elisabeth. Ist sie hier?"
"Natürlich. Sie sitzt hinten bei der französischen Literatur.", antwortete sie mir und lächelte mich an. Ich erwiderte dankend das Lächeln und lief zu Elisabeth. Ich hörte wie Mrs. Kings ein weiteres Buch abstempelte und beiseite legte, bevor ein andere Schüler kam und um Hilfe bat. Mrs. Kings war die wohl herzlichste Person an dieser Schule und neben dem Hausmeister Mr. Conrad die einzige Mitarbeiterin, die jeder liebevoll und mit aller größtem Respekt behandelte. Benahm sich den beiden gegenüber jemand schrecklich, wurde jeder aus der Schule wütend und zog die Person zur Rechenschaft.

Meine Schritte hallten zwischen den Regalen wieder und als ich endlich die Regale mit französischer Literatur fand, hätte ich am liebsten laut geseufzt vor Freude, endlich das Regal gefunden zu haben. Irgendwie verstand ich, warum Elisabeth immer hier war. Man müsste wenigstens ein Jahr täglich herkommen, um sich überhaupt zurecht zu finden.
Ich schaute vorsichtig um die Ecke des regals und sah sie an einem kleinen Tisch, über ein Buch gebeugt, sitzen.
"Elisabeth?", fragte ich leise und vorsichtig. Sie erschrak und klappte reflexartig das Buch zu. Das Mädchen brauchte einen Moment, um sich in der Wirklichkeit zurecht zu finden und zu begreifen, dass ich sie wirklich angesprochen hatte. Sie hatte ihr hellbraunes Haar zu einem lockeren Dutt gebunden und nur die vorderen Strähnen, die fast blond waren, hingen heraus. Ihre honigbraunen Augen wurden von einer Brille mit feinem schwarzen Rand umrahmt. Sie trug kein Make-up und das brauchte sie auch nicht, wie festellte, als ich näher kam. Zum ersten Mal viel mir auch auf, dass Elisabeth Sommersprossen hatte. Wenn auch nicht viele. Aber es sah wirklich niedlich aus.
"Darf ich mich setzte?", fragte ich und lächelte sie zärtlich an. Sie nickte etwas unbeholfen, machte mir dann aber Platz, indem sie ihre Blätter zusammenpackte.
"Ähm wieso...", begann sie und starrte mich unsicher und fragend an.
"Jake.", antwortete ich knapp und betrachtete den Buchtitel.
"Oh.", kam es von ihr und ich bemerkte wie sie sich etwas verkrampfte. Sie war unheimlich klug und wusste daher ganz genau, was ich damit sagen wollte.

"Er hat mich darum gebeten mit dir zu sprechen.", erklärte ich vorsichtig. Ihre honigfarbenen Augen trafen meine und ich konnte Traurigkeit in ihnen erkennen.
"Ria - Ich darf dich doch so nennen oder?"
Ich nickte und sie schien erleichtert. Ich sah langsam, was Jakes Problem war. Ria war unheimlich klug, belesen, freundlich und ich nahm auch an gütig, aber sie war ein introvertierter Mensch.
"Jake, ähm wie soll ich sagen..."
"Elisabeth.", unterbrach ich sie ruhig und höflich. "Entschuldige. Ich kenne Jake schon sehr lange und wenn er mal wirklich mit jemanden außer mir spricht, dann kann das leicht in die Hose gehen. Vor allem in so einer Situation wo er so leicht verunsichert werde kann. Ich kann mir vorstellen, was für ein zusammen gestammeltes etwas er von sich gegeben hat." Zu meiner Überraschung begann sie verlegen zu lächeln und ein leichter rosa Schimmer überzog ihre Wagen.
"Du hast ja keine Ahnung was für einen Müll er da von sich gegeben hat. Wenn er überhaupt etwas gesagt hat, habe ich nur sehr wenig verstanden." Typisch Jake. Ich verkniff mir meine Bemerkung über dieses Lykaner und wartete darauf, dass Elisabeth weiter sprach.
"Ich spreche drei Sprachen fließend und kann ausreichend in vier weiteren unterhalten, aber was auch immer Jake da von sich gegeben hat, hab ich wirklich nicht verstanden. Aber ich glaube ich hab im Nachhinein doch verstanden, was er mir sagen wollte." Ich hatte nur ansatzweise geahnt, wie viele Sprachen sie sprach, aber dass sie sich in 7 Sprachen mit Leuten unterhalten konnte, war schon beeindruckend. Kein Wunder, dass sie ständig schulische Auszeichnungen für die Sprachkurse bekam.

"Jake hat dich als seine Mate erkannt.", bestätigte ich ihr. Sie hatte die Hände zwischen ihre Beine geklemmt und wartete ruhig auf meine Erklärungen. Innerlich machte ich mich schon einmal darauf gefasst, Jake später die Ohren lang zu ziehen. "Er hat dich als Mate erkannt, aber weiß nicht, wie er damit umgehen soll, wie du ja schon mitbekommen hast. Aber er versucht sich wirklich Mühe zu geben. Er hat sogar wissen wollen, wie er dir am besten alles erklären soll. Ich hab ihm geraten dir in Ruhe alles zu erklären, dir Zeit zu geben, alles zu verstehen und dich dann zu entscheiden. Du bist genau wie ich mit Lykaner aufgewachsen und weißt, dass keiner von ihnen sich aussuchen kann, wen er als Mate bekommt." Sie lächelte und Verständnis legte sich in ihre Augen. Mir kam der Gedanke, dass Elisabeth Jakes Mate aus einem noch ganz anderem Grund war. Sie glich ihn aus. Er war verschlossen, sprach wenig und zeigte kaum was ihn beschäftigte. Elisabeth würde das wett machen. Ihr konnte man ihre Gefühle ansehen. Sie würde ihn erden und beruhigen können, sollte er wütend werden oder die Kontrolle verlieren. Sie würde ihn gleichzeitig aber auch nie zwingen, sich zu öffnen oder von ihm verlangen, Gefühle zu zeigen und vor allem würde sie sein Bedürfnis nach Ruhe verstehen.
"Er hat sich so tollpatschig benommen, dass es fast schon wieder süß war.", sagte sie und richtete ihren Blick auf mich. "Ich kann mir vorstellen, dass Jake alles andere als froh darüber war, herauszufinden, das sich seine Mate bin. Und tatsächlich weiß ich nicht, ob ich ihm nicht jemand anderen lieber wünschen würde. Ich weiß, dass mich fast die gesamte Schule Bücher Betty nennt. Mir macht das natürlich nichts aus, weil ich weiß, dass ich viel mehr bin als dieser Name. Aber ich glaube nicht, dass Jake das auch weiß." Ich hörte ihr aufmerksam zu. Ihre Stimme hatte etwas so faszinierend schönes an sich, dass nicht anders konnte, als weiter zu zu hören. Zudem wählte sie ihre Worte sehr bedacht.

"Ich habe immer gedacht, dass Jake erkennen würde, dass du seine Mate bist. Damit bin ich wahrscheinlich auch nicht die einzige, aber dem ist nicht so."
Ich schluckte. Hatten wirklich so viele erwartet, das sich Jakes Mate war?
"Ich bin mit Jake aufgewachsen. Er ist meine Familie und dafür liebe ich ihn. Mir ist auch erst heute eigentlich bewusst geworden, dass er mein Seelenverwandter ist. Aber das ist nicht zu vergleichen mit der Verbindung, die er mit dir haben wird, solltest du dich für ihn entscheiden.", gab ich zu und spürte wie mein Herz ein wenig leichter wurde, jetzt, da ich diese Erkenntnis laut ausgesprochen hatte. "Jake wird immer meine Familie bleiben und mein bester Freund, aber dich wird er immer lieben auf eine so tiefe Weise. Wir beide können uns das nicht vorstellen, wie.... stark dieses Band ist. Aber ich glaube, dass Jake dich sehr gerne kennenlernen würde und es wird seine Zeit dauern, bis Jake als Person das selbe für dich empfindet, wie sein Wolf, aber glaub mir... am Ende wird es das wert sein."
Ich hatte unbewusst die Hand nach Elisabeth ausgestreckt, die sie zögerlich ergriffen hatte. Tränen schimmerten ihr in den Augen und ihr Lächeln war so unglaublich war. "Und ich würde mich sehr freuen, dich auch besser kennen zu lernen. Du wirst hoffentlich Jakes zweite Hälfte, seine Familie, sein zu Hause. Und ich wünsche mir, dass er durch dich unendlich glücklich wird und ein kleiner egoistischer Teil in mir will auch, dass du zu meiner Familie gehörst und später allen Kindern die merkwürdigsten Sprachen beibringst. Ich meine du wärst so eine coole Tante."

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Wolfsblut - ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt