Kapitel 37

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Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon hier draußen auf dem Dach saß. Es hätten Minuten oder auch Stunden sein können. Die Luft wurde endlich kühler, doch die Dachschindeln hatten die Wärme des Tages gespeichert. Wolken ließen den Mond immer wieder verschwinden und heute Nacht waren die Sterne kaum zu sehen. Ich hatte, seitdem ich auf das Dach geklettert war, versucht, kein einziges Mal an Yuhkai zu denken, was mir jedoch nur einiger Maßen gelang. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich überlegte was er gerade tat. Und mit wem. Er wollte zu seinen Freunden, aber blieb es dabei? Immerhin hatte ich, in der Schule, die Blicke einiger Mädchen gesehen.... Dieser Gedanke war selbstsüchtig und durchtrieben von Eifersucht. Das war mir klar. Immerhin hatte ich keinen Anspruch auf ihn und wusste nicht einmal wirklich, ob er das gleiche empfand. Ja, ich hatte mitbekommen, dass es ihn nicht völlig kalt ließ und er manchmal genau so reagierte wie ich, aber bedeutete das automatisch, dass er das selbe empfand? Es war zum Haare raufen! Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen. Das letzte Mal, dass ich solche verwirrenden Gefühle hatte, war, als ich vor Jahren herausgefunden hatte, dass ich mich in Erik verknallt hatte. Damals hatte es zwar nicht lange gedauert, bis wir zusammengekommen waren, aber immerhin war ich nur zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen. Vorpubertär. Da waren solche Unsicherheiten und Schwärmereien normal, aber jetzt war ich älter. Fast erwachsen... Fühlte es sich vielleicht deshalb anders an, als damals mit zwölf? Tief atmete ich durch und versuchte Ordnung in meinen Kopf und in meinen Körper zu bekommen. Dieser Lykaner konnte einen echt fertig machen, ohne überhaupt anwesend zu sein. Vielleicht war es ja doch nicht ganz so schlecht, dass er die letzten Stunden nicht da gewesen war. Wer weiß, welche Gedanken ich ihm aus Versehen wieder geschickt hätte. Außerdem nahm er jede noch so kleine körperliche Veränderung war und das war gerade - bei meinen Gedanken und dem, was das mit mir anstellte - alles andere als hilfreich. Für einen Moment schloss ich die Augen und die Gedanken stoppten. Wenn auch nur für einen winzigen Moment. Und dann war da noch diese andere Sache. Die Gefühle, die durch mich hindurchgejagt waren, vor einigen Tagen, bescherten mir noch immer Gänsehaut. Das was ich wegen Jake gespürt hatte, diese Wut, war nur teilweise meine eigene gewesen und dann hatte dieses etwas in mir, die Kontrolle übernommen...

„Was machst du hier draußen", hörte ich plötzlich jemanden Fragen. Ich drehte den Kopf und sah den Lykaner, der mir seit Stunden nicht aus dem Kopf ging an. Ein schelmisches Grinsen lag auf seinen Lippen, als er sich ein Stück weiter auf das hievte. Ich setzte mich auf und beobachtete, wie Yuhkai vorsichtig abschätzend nach unten sah und sich dann doch dafür entschied, zu mir aufs Dach zu kommen. Er wirkte erstaunlicher Weise sehr sicher. Anders als Erik. Fast, als hätte er dies schon öfter getan. Ich lächelte ihn sanft an und verfolgte jede seiner Bewegungen, bis er sich neben mich sinken ließ und die Beine anwinkelte.
„Das ist einer meiner Lieblingsplätze. Ich bin gern hier draußen", erklärte ich und sah wieder hinauf zum Himmeln. „Manchmal um meine Ruhe zu haben und manchmal, um einfach nachdenken zu können." Er nickte, als hätte er sofort verstanden, was ich damit meinte und folgte schweigend meinem Blick. „Ich hab dich überhaupt nicht zurück kommen gehört."
„Ich war in Wolfsgestalt unterwegs. Würde mich sehr wundern, wenn du mich hören würdest", kam es von ihm. „Über was hast du nachgedacht?" Über ihn. Über uns. Über alles. Aber das konnte ich ihm nicht sagen. Nicht jetzt und vor allem nicht so.
„Darüber, wie sich alles verändert hat", antwortete ich. Es war die Wahrheit, wenn auch nur sehr oberflächlich. „Und irgendwie macht es mir Angst."
Besorgt musterte Yuhkai mich. Es war das erste mal, dass ich es laut aussprach. Das alles machte mir Angst. Ich verliebte mich in den Lykaner, zu einem der wohl schlechtesten Zeitpunkten. Er war hier, um mit anderen in Sicherheit zu sein, während sein Rudel von Unbekannten angegriffen wird und unser Rudel ist auch in Gefahr. Es war ein verrammt schlechter Zeitpunkt, um solche Gefühle für ihn zu entwickeln. Und dann war da noch die Tatsache, dass ich mich veränderte. Ich verlor die Kontrolle über mich selbst und konnte nicht einmal etwas dagegen tun. Geschweige denn hatte ich auch überhaupt keine Ahnung, was ich dagegen tun sollte.
„Ria, sprich mit mir", forderte er und beugte sich etwas nach vorn, um mich anzusehen.
„Das alles hier... wieso jetzt? Als würde es nicht reichen, dass die anderen Rudel - dein Rudel - angegriffen werden, nein, ich muss mich natürlich auch noch in irgendetwas verwandeln."

Er schwieg für eine Weile und schien zu überlegen.
„Es hat mir auch Angst gemacht dich so zu sehen. Du hast mich im ersten Moment nicht einmal erkannt und das hat mich verrückt gemacht", gestand er. Er fuhr sich mit der linken Hand durch die Haare. Das war es also gewesen, was ihm solche Sorgen gemacht hatte. Ich fühlte mich schuldig, obwohl ich nicht einmal etwas dafür konnte.
„Du hast mich gefunden", hauchte ich und behielt meinen Blick fest auf seinem Gesicht. Seine Schulter berührte mich federleicht, wann immer er einatmete. Uns trennten nur wenige Millimeter und trotzdem wollte ihm näher sein. „Danke, dass du mich gefunden hast." Er schien für einen winzigen Moment vergessen zu haben, wie man atmete. Eine warme Brise kam auf und ließ mich seinen Geruch wahrnehmen. Er roch unglaublich gut. Nach einer feinen Mischung aus Sandelholz und schwarzem Tee. Ich zog diesen Geruch - seinen Geruch - förmlich in mir auf. Ich wollte ihn nie wieder vergessen. Ein kribbeln machte sich in meinen Bauch bemerkbar und breitete sich über meinen Körper aus. Yuhkai hatte mich gefunden, hatte mir geholfen und verdammt noch Mal, ich hatte mich in ihn verliebt. „Du hast mich gefunden."
Seine Augen funkelten eisblau auf, doch in ihnen stand Wärme und... Liebe. Er beugte sich nur wenige Zentimeter weiter zu mir. Die Stellen, an dem seine Schulter und sein Arm mich berührten glühten. Wellen von Wärme und diesem fantastischen Kribbeln, als würden winzige Elektronische Ladungen in mir freigesetzt, ebbten über meinen Körper hinweg. Etwas quälendes legte sich auf sein Gesicht, als er zwischen meinen Augen und meinem Mund hin und her sah. Als würde auch seine Selbstbeherrschung am seidenen Faden hängen. Mein Herz zerschlug mit beinahe die Brist, so heftig schlug es. Und ich war sicher, dass es ihm genau so erging. Nein, wir waren definitiv nicht mehr die kleinen Kinder von damals!
„Ich werde dich immer finden, Ria."
Das war alles. Alles was ich hören musste. Was ich zu hören brauchte. Ich stürzte mich in diesen Kuss hinein. Meine Lippen trafen auf seine und ich stöhnte in diesen Kuss hinein. Seine Lippen waren weich, so unfassbar weich. Und mit einem Mal, als er realisierte, was hier geschah, erwiderte Yuhkai diesen Kuss. Er erwiderte ihn und ein winziges, sehnsüchtiges Knurren entrann seiner Kehle. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ein Kuss sich so anfühlen konnte. Liebevoll, fordernd, rettend und lebensnotwendig. Dieser Kuss war alles und noch mehr. Seine Zunge streifte leicht auf meiner Unterlippe entlang und ich öffnete ihn. Gab ihm und mir die Erlaubnis mehr zu fordern und mehr zu wollen. Sein Arm schlang sich um meine Taille und zog mich zu ihm. Eng aneinander gepresst saßen wir hier auf dem Dach und verloren jeglichen Halt zur realen Welt. In diesem Moment, fühlte ich alles. Die Liebe, die Begierde, die verblassende Angst und dieses Gefühl nach Heimat. Yuhkai war mein zu Hause. In meinem Inneren explodierte ein Feuerwerk aus Gefühlen. Alles kribbelte und erwachte zum Leben. Seine Arme umschlungen meine Taille, als er mich auf seinen Schoß zog. Ja! Ich wollte deinen Körper fühlen, diese Wärme ohne diesen Kuss zu unterbrechen. Yuhkai stöhnte und verstärkte den Griff. Ab jetzt gab es kein zurück mehr. Keine kritische Selbstbeherrschung, keine hauchdünne Kontrolle mehr. Ab jetzt gab es nur noch uns und diese Gefühle füreinander. Und all diese Emotionen legte ich in diesen Kuss! Plötzlich fühlte ich es. Diese Verbindung zu ihm, dieses feine Band, wie sie sich wob und zwischen uns wuchs....

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Hallo,

ja. Ja endlich. Ich hatte diesen Kuss auf dem Dach schon seit Tagen im Kopf und als ich dann auch noch den Song: Love Song von Maoni gefunden habe war es gesetzt. Dieser Song löst einfach genau dieses Kribbeln bei mir aus. Und ich liebe es.

Hört gerne Mal rein, oder vielleicht kennt ihr ihn ja auch schon?

Liebe Grüße
Jessy

Wolfsblut - ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt