Kapitel 40

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Mir dröhnten die Ohren und mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb. Die Tränen hatten sich aus meinen Augenwinkeln gelöst und feuchte Spuren auf meinem Gesicht hinterlassen. Yuhkai war verzweifelt gewesen, als ich ihn von mir gestoßen hatte. Das war deutlich zu sehen und zu fühlen gewesen. Ich hatte mitbekommen, während ich stumm geweint hatte, wie er Liams Zimmertür zugeschlagen hatte und dann war nur noch lautes Poltern zu hören gewesen. Aber jetzt war es vollkommen still. Zitternd schaffte ich es, mich auf die Kante des Bettes zu setzten. All diese unglaublich schönen und lebendigen Gefühle waren mit einem Mal ertränkt worden, von einer hässlichen Realität. Yuhkai hätte fast die Narbe auf meinen Rippen berührt. Die wülstige Narbe, die ich seinetwegen hatte. Mir war sie nie so bewusst gewesen, wie in diesem Moment. Ich hatte Yuhkai nie davon erzählt, nur Andeutungen gemacht, dass seinetwegen mein Sexleben ruiniert war. Es war absolut nicht fair, ihn jetzt so - ohne Erklärungen - fortgeschickt zu haben. Es war einfach nicht fair. Die Erinnerungen an mein ersten Mal mit Erik waren wieder aus einer Ecke meines Gedächtnisses hervorgekrochen und hatten alles andere überschattet. Wir waren fünfzehn gewesen, als wir unser erstes Mal gehabt hatten. Es war ein schöner Abend gewesen, nach dem Kino waren wir zu ihm gefahren und hatten uns in sein Zimmer zurückgezogen. Irgendwann wurde aus dem Küssen und den Berührungen mehr und damals hatte es sich richtig angefühlt. Ich war bereit gewesen und so verliebt in ihn. Er war vorsichtig und sanft gewesen und es hatte einfach alles gestimmt. Ich hatte mich gut gefühlt und der Moment hätte nicht besser sein können, bis zu dem Moment, in dem er mir den BH hatte ausziehen wollen und die Narbe berührt hatte. Erik hatte mit einem Mal das Gesicht verzogen und sich zurückgezogen. Auf seinem Gesicht stand so etwas wie Ekel. Es hatte mich verunsichert und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich für diese Narbe geschämt. Wir hatten danach zwar immer noch miteinander geschlafen, aber seitdem war er immer darauf bedacht, mich nie wieder an den Rippen zu berühren. Sex hatte es in der Beziehung zwar gegeben, aber irgendwie hatte ich mich nie wirklich fallen lassen können, ohne an diese ekeligen und hässlichen Erinnerungen zu denken. Es war wie eine Blockade, die sich aufbaute, sobald ich daran dachte.

Mit den Fingern fuhr ich mir über die Wangen, um die letzten Tränen zu vernichten. Nein! Es war nicht fair. Weder Yuhkai gegenüber, noch mir. Und da wurde es mir plötzlich bewusst. Es war nicht Yuhkai, der mein Sexleben zerstört hatte, sondern Erik. Er war derjenige, der sich vor dieser Narbe geekelt hatte. Sie war immer ein Teil von mir gewesen und er hatte sie mit diesen negativen Empfindungen beladen. Es war nicht fair und einmal mehr war ich froh, dass ich endlich den Mut gehabt hatte, die Beziehung zum Sohn des Alphas zu beenden. Ich sah zur Tür, als könnte ich Yuhkai auf der anderen Seite des kleinen Flures sehen. Er hatte nichts falsch gemacht und ich hatte ihn von mir gestoßen. Kurz verkrampften sich meine Hände in den Decken meines Bettes, bevor ich ich den Entschluss fasste, dass ich Erik und diesen negativen Erinnerungen nie wieder solche Macht geben würde. Yuhkai war nicht Erik! Leise stand ich auf und schlich aus meinem Zimmer. Liams Tür war nur angelehnt. Yuhkai hatte noch nicht einmal das Licht eingeschaltet. Noch einmal atmete ich tief durch, bevor ich meine Hand flach auf die Tür legte und sie aufschob. Im trüben Licht des Mondes, konnte ich die Umrisse des Lykaners erkennen. Er saß auf der Ecke des Bettes. Seine Haltung war niedergeschlagen. Yuhkai hatte die Ellenbogen auf dem Knien abgestützt und die Hände im Nacken abgelegt. Er sah verzweifelt und wütend aus. Und wieder bildeten sich Tränen in meinen Augen. Es tat mir so unglaublich Leid .
„Yuhkai", hauchte ich und meine Stimme war kaum mehr als ein schüchternes, niedergeschlagenes Wimmern. „Yuhkai?" Er regte sich nicht. Zaghaft tastete ich nach dem Lichtschalter und mit einem leisen Surren erhellte sich der Raum. Endlich ließ er die Arme sinken. Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten und lockerten sich direkt darauf wieder.

„Ich", begann er und ich augenblicklich unterdrückte ich das aufkommende Schluchzen. Seine Stimme klang gebrochen. Hoffnungslos. „Ich hatte dich nicht als Mate erkannt. Ich hatte dich erkannt. Aber das war etwas, was ich unbedingt wollte. Mit dir. Ich wollte dich Ria. Ohne, dass du meine Mate warst. Ich..." Yuhkai schien nach den richtigen Worten zu suchen, sah mich aber kein einziges Mal an. Meine Unterlippe bebte und ich krallte mich am Türrahmen fest, um nicht den Halt zu verlieren. Er klang gebrochen und traurig. „Das hat alles komplizierter gemacht. Ich habe dich nicht als Mate erkannt, bis zu dem Tag im Wald. Du warst nicht du, aber was auch immer dich verändert hatte, erkannte mein Wolf. Als seins. Als seine Mate." Tränen standen ihm in den Augen, als er endlich aufsah. Mir blieb die Luft zum Atmen weg. Mate. Ich war seine Mate. Irgendwie. Yuhkai presste für einen Moment die Zähne aufeinander und die Muskeln an seinem Kinn spannten sich gefährlich an. „Mit einem Mal, warst du meine Mate und ich wollte nichts sehnlicher, als das mit dir zu teilen. Aber ich hatte Angst, du bist tagelang nicht mehr aufgewacht und nicht ansprechbar gewesen. Und als du dann wieder du selbst warst, war dieses Gefühl, dass ich hatte - mit dir als meiner Mate - nicht mehr ganz so stark, aber es war noch immer da. Mein Wolf hat dich, in deiner unveränderten Gestalt akzeptiert und... dann hast du mich vorhin auch noch geküsst und ich wollte nichts weiter, als dich. Dich zu fühlen, zu riechen und dich zu lieben. Ich wollte dich markieren und dann hab ich durch diese Verbindung all diese Gefühle noch intensiver gespürt, weil sie auch von dir kamen. Du wolltest es genau so sehr und bei der Mondgöttin, glich hab es zugelassen. Ich hab mich in meinem gesamten Leben noch nie so verdammt lebendig gefühlt, wie in diesem Moment. Ich hab meine Mate endlich gefunden. Ich hab dich gefunden! Und du hast mich weggestoßen. Ohne Grund. Ich.... Ich habe mein ganzes Leben lang darauf gewartet, endlich das fühlen und erleben zu dürfen, wie meine Eltern. Wie deine Eltern. Diese Gefühle, dieses Glück, diese Liebe. Ich hatte in diesem Moment alles. Und dann... Ich..." Er weinte. Mein Herz zerbrach in tausend Stücke, als ich ihn weinen sah.

Mit schmerzhaft langsamen Schritten überwand ich die Distanz zu diesem Lykaner. Meinem Mate. Er weinte und weinte. Ich war seine Mate und irgendwie auch nicht vollständig. Und trotzdem hatte sein Wolf mich anerkannt. Akzeptierte mich. Zaghaft tastete ich in meinem Inneren nach diesem Band, dass ich zu spüren begonnen hatte und zog sanft daran. Sandte Gefühle aus, die ich nicht in Worte fassen konnte, in der Hoffnung, Yuhkai würde mich endlich wieder ansehen. Aber es prallte an ihm ab. Als hätte er eine Mauer um sein Inneres gelegt.
„Yuhkai, bitte", flehte ich ihn an und trat zwischen seine Beine. „Yuhkai, bitte. Sieh mich an. Nur ein einziges Mal. Bitte! Tränen liefen nun auch mit über die Wangen. Nein, ich würde nicht zulassen, dass Erik das hier zerstörte, bevor es überhaupt begann. Ich würde diesem Mistkerl keine Chance geben, das hier zu vernichten. Nicht jetzt und nicht so!
„Yuhkai... Bitte!"
Nichts. Keine Reaktion. Er hatte dicht gemacht.
„Bitte! Nur ein einziges Mal. Bitte sieh mich nur ein einziges Mal an, bitte!" Mit glasigen Augen und noch immer weinend sah er gequakt zu mir auf. Zitternd legte ich meine Hände an seine tränennassen Wangen. Innerlich, startete ich einen letzten Versuch, diese Mauer in ihm zu durchdringen.
„Ich akzeptiere dich als meinen Mate, Yuhkai. Ich akzeptiere dich!" Seine Augen nahmen augenblicklich dieses wunderschöne Blau an und endlich schaffte ich es, durch seine innere Mauer. Ein Feuerwerk an Emotionen explodierte in seinen Augen. Schluchzend versuchte ich zu atmen. Wartete darauf, was geschehen würde. Mir war alles egal, solange ich ihn nicht verlor. Doch dann änderte sich etwas. Ein einzelnes, zaghaftes Gefühl erreichte mich über dieses Band zwischen uns. Liebe. Er sandte mir das Gefühl von Liebe. Bedingungsloser Liebe. Schluchzend und so unendlich erleichtert warf ich mich in seine Arme. Presste mich an seinen warmen, festen Körper und zog seinen Duft ein. Yuhkais Arme schlangen sich um meinen Körper und klammerten sich an mich. Er vergrub das Gesicht an meinen Hals und weinte. Aber nicht mehr aus Traurigkeit und Verzweiflung, sondern aus Glück und vor Liebe. Fest umschlungen saßen wir da. Keiner von uns brauchte in diesem Moment Worte oder weitere Erklärungen, denn dass was nun zwischen uns war, war einzig und allein das was wir beide brauchten und wollten. Und es fühlte sich so unglaublich schön an!

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Hallo.

Ich hab mich selbst lange nicht mehr so zum weinen gebracht, wie mit diesem Kapitel.

Also lasst mir gerne Feedback da. 🥹

Liebe Grüße
Jessica❤️

Wolfsblut - ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt