Kapitel 9

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"Bill, ich hole Tom.", sagte ich ihm leise und versuchte mich von ihm zu lösen. "Nein.", keuchte er gedämpft in meine Schulter. "Nein, nein, nein.", murmelte er nach einer kleinen Pause leise hinzu. Er war so schwer und schien an mir zu hängen, sodass ich gar keine Chance hatte, mich zu befreien.

Ich versuchte trotzdem mein Bestes und griff nach seinen Handgelenken. Angestrengt verzog ich mein Gesicht.
Das wird eine tolle Nacht., dachte ich empört.

Irgendwann zuckte er unerwartet auf und traf mit seinem Kopf auf mein Kinn. Ich zischte schnell durch meine Zähne, legte eine Hand darauf und schloss die Augen.
Bill atmete übertrieben erschrocken tief ein und legte seine Hand auf meine.

Ich musste schlucken und schaute ihn an. "Sch-scheife.", fluchte er benebelt und begann stark mit seinem Kopf zu schütteln. "Daf wollte ish niffft", spuckte er und ich könnte wütend zuschlagen.

Schon wieder war er dicht! Schon wieder brachte er mich zur Weißglut, ich war nicht mehr weit davon entfernt! Und was war mit dieser Brünetten überhaupt?! Das ist mein Freund, pah! Wäre er ihr Freund, hätte sie sich jetzt gekümmert, nicht ich!
Ich hatte nicht vor, ihn die ganze Nacht stinkend an mir hängen zu lassen.

Es ging mir furchtbar an die Gurgel und ich presste meine Zähne zusammen und verpasste ihm eine Ohrfeige. Mein Puls beschleunigte sich wieder, als ich sah, wie sein Kopf, der in die gegenüberliegende Richtung schnellte, seinen ganzen Körper mittrug und sein Gleichgewicht außer Kontrolle geriet.

"Ish hap ef verdient!", keuchte er nur laut und ich schreckte zu ihm und hielt ihm meine Hand vor den Mund. "Shh!", zischte ich erschrocken und blickte zur Toms Schlafzimmertür. Wir müssen echt leise sein., beschloss ich und schaute Bill an.

Seine Augen waren weit aufgerissen und trafen auf meine. Er flüsterte perplex in meine Hand. Ich nahm sie weg und wartete geduldig darauf, dass er es wiederholte. "Wir müshen leife shein.", hauchte er wie ein kleines erschrockenes Kind.

Ich seufzte frustriert. Ja, klar müssen wir leise sein. Weil, wenn dein Bruder erstmal sieht, was du wieder mit dir angestellt hast, kommst du nicht leicht davon.

Ich schaute wieder über sein mit Eyeliner und Lippenstift bemaltes Gesicht. "Komm, geh dir erstmal dein Gesicht abwaschen.", flüsterte ich ruhig und ließ ihn los. Er drehte sich um und machte einige Schritte auf das Bad zu, bis er schließlich über seine eigenen Beine stolperte. Ein lauter dumpfer Fall erklang und zusätzlich ein lautes Klatsch, als seine Handflächen den Boden trafen.

Ich lief zu ihm. Mein Herz schlug wieder schneller. Wenn Tom wach werden würde, dann weiß Gott was er mit Bill anstellte. Außerdem würde Tom mir nicht glauben, dass ich ihn eigentlich versucht hatte zu wecken.

Bills Gesicht kauerte zwischen seinen Armen und sein Oberkörper zuckte leicht.
"Bill? Bill, komm steh auf.", nuschelte ich bittend und drehte ihn angestrengt auf den Rücken. Ein breites Grinsen ruhte auf seinem Gesicht und er legte die Hände auf die Augen. "Wie geil war dash denn?", flüsterte er und lachte leise.

Ich seufzte wieder. Wut brannte in meinen Fingerspitzen. Das war alles überhaupt nicht meine Aufgabe! "Bill bitte, komm.", entgegnete ich geduldig und zog ihn an seinem Arm hoch. Es dauerte eine Weile bis er hochgeklettert war, aber schließlich stand er.

Ich betrachtete sein verträumtes Gesicht schwer und legte schlussendlich seinen Arm um meine Schultern. Anders würde ich mein Bett für den Rest der Nacht wahrscheinlich nie wieder sehen. Ich schlenderte langsam mit ihm ins Bad und stellte ihn über das Becken.

Ich nahm einige Wattepads und saugte darin den Make-Up-Entferner ein. Langsam führte ich es zu seinem gespannten Gesicht und begann das Meisterwerk zu entfernen. Dem Himmel sei Dank blieb er still und schloss nur die Augen.

Sein Gesicht war so makellos. Ich strich ihm über die Stirn, über die Wangen, bis über zum Kinn und zurück zur Nase. Seine Nase war so spitz und lang, trotzdem zart und ich richtete ihm sein verrutschtes Septum. Langsam merkte man, wie er ebenfalls zur Ruhe kam und seufzte.

"Alles in Ordnung?", fragte ich schließlich und nahm die Watte von seinem Gesicht.
"Ja.", murmelte er und seine Stimme klang klarer. "Ich bin nur müde."
Ich machte weiter und versuchte mich zu beeilen. Nicht, dass er mir gleich wieder auf dem Boden einschlief.

Als ich fertig war, streichte ich ihm seine Barthäärchen gepflegt nach unten und er öffnete die Augen. Ich schmiss das Wattepad in die Tonne und deutete ihm mit einer Handbewegung an, dass er sich über das Becken bücken sollte.

Er gehorchte schweigend und ich machte das Wasser an. Mit Absicht war es kalt, um ihn vielleicht doch aus seinem Zustand zu holen. Ich holte ein kleines Handtuch und machte es nass, ehe ich begann ihm sein Gesicht zu erfrischen.

"Du kannst von Glück reden, dass wir Tom nicht geweckt haben.", sagte ich schließlich um die angespannte Stille etwas aufzulockern. Ich machte den Wasserhahn aus und nahm ein trockenes Tuch.

"Ja.", murmelte er abwesend und ich trocknete ihm das Gesicht ab. Er öffnete seine Augen, und diese funkelten. Seine blasse Schicht über den Augen war verschwunden und er sah viel klarer aus.

Ich legte das Tuch beiseite und zog ihm die Ketten und Armbänder aus. Ich spürte seinen Blick auf mir und es brannte. Trotzdem versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen.

Ich legte die Ketten auf das Regal über dem Waschbecken, als ich hörte, wie er leicht grinste. "Du bist wunderschön.", sprach er zart und ich erstarrte. War das eine Einbildung? Ich zögerte in seine Richtung und zog langsam meine Hände an mich. Sein sanftes Grinsen verschwand nicht und es verwirrte mich etwas.

Eine lange Stille entstand und ich wechselte den Blick zur Seite. Meine Lippen öffneten sich um etwas zu sagen, doch vor Fassungslosigkeit fehlten mir die Worte. Meine Hände begannen zu schwitzen und ich kräuselte mit den Fingern nervös an meinem Schlafanzug.

Die Aussage traf mich. Dennoch schob ich meinen Schmeichel zur Seite und versuchte der Realität erneut in die Augen zu sehen. Sein Grinsen war schon begieriger und gemeiner. Ich sah ein, dass ich die Worte nicht hätte aufsaugen sollen.
Er hatte mich verarscht. Zutiefst. Und ich war verdammt nochmal blind.

"Bill, stell dich mal kurz in die Wanne.", murmelte ich sanft um ihm die Ahnung zu ersparen. Er reagierte und hinterfragte nicht. Immer noch funkelte er mich an, seine Gedanken voll darauf konzentriert, was er getan hatte. Ich lächelte ihn anmutig an. Jetzt würde er das spüren, was er mir angetan hatte.

Schnell zuckte ich den Duschkopf vom Halter und schlug den Wasserhahn hoch und richtete den Duschkopf auf Bill. Er keuchte und riss sich aus seinen Gedanken. Schnell streckte er seine Arme vor und versuchte dem Wasser zu entkommen. Er saugte tief Luft durch den Mund ein und kniff die Augen zu. Als ich das Wasser zu drehte, atmete er schwer und setzte sich erschrocken auf den Boden der Wanne und zitterte vom kalten Wasser.

"Oh, Bill, du bist so wunderschön.", sprach ich. Die Ironie ließ grüßen. Ich beobachtete wie sein Oberkörper sich auf und ab bewegte und wie er versuchte zu Bewusstsein zu kommen. Aus seinen schlaff hinunterhängenden Haarsträhnen floss Wasser und plätscherte auf das Wasser unter ihm. Endlich hob er seinen Kopf, allerdings immer noch schwer atmend.

"Wofür?", hauchte er.

"Da fragst du noch? Meinst du, es ist toll verarscht zu werden? Bill, immer wieder!
Und jetzt auch noch einen auf total dicht machen und dich von mir tragen lassen?", sprudelte es aus mir heraus und ich legte den Duschkopf auf den Wannenboden.

Er zog sein T-Shirt aus und begann das Wasser daraus auszuquetschen. Ich versuchte meinem Blick stand zu halten und auf seine Antwort zu warten, ohne mich von seinem Oberkörper ablenken zu lassen.

"Du hast mich beleidigt, Nancy.", sagte er nur kühl, hing sein Shirt über den Wannenrand und strich sein nasses Haar nach hinten. "Ich habe das Recht darauf, es dir heimzuzahlen. Denn-", er machte eine Pause und trat aus der Wanne. "Wie du mir, so ich dir.", vollendete er seinen Satz und schaute ein letztes Mal in meine Augen. Sie waren so dunkel, so streng und ernst, dass es mich in irgendeiner Hinsicht einschüchterte.

"Na gute Nacht auch.", zischte er genervt und watschelte aus dem Bad. Frustriert ließ er mich mit seinen kaltgesagten Worten allein.

Fick ihn doch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt