Kapitel 15

612 31 8
                                    

So schnell wie ich also in der Bar ankam, so schnell war ich auch wieder weg. Wie auf Kommando seiner Worte stiegen mir die Tränen hoch und flossen mir wie Lava über meine Halskuhle. Natürlich musste ich weinen. Was blieb mir denn auch anderes übrig? Als wäre das Gespräch mit Jou nicht schon Druck genug, kommt er mir auch noch in die Quere und kippt sein Marmeladenglas aus. Und dann war da noch diese Jess, die mir den Würgreiz hätte auslösen können. Trotzdem spürte ich ein Gefühl in mir hochsteigen, womit Bill tatsächlich Recht hatte. Ja, verdammt, ich war eifersüchtig. Jess hat mir meinen Platz geraubt. Ich war sonst diejenige, die mit ihm Zeit verbrachte. Es war erschreckend, wie ich mir so viel Mist in den Kopf eingeredet hatte.
Bill war nicht mehr der Alte und das würde sich bis zu seinem Tod nicht ändern.

Als ich vor unserem Hotel stand, setzte ich mich labil auf die Bank und trocknete meine Tränen mit den Ärmeln meiner erbärmlichen Bluse ab. Alles war schwarz. Man sah nur die schwachen Straßenlaternen flackern. Einzelne Flugzeuge dröhnten im Himmel und leisteten meinem Schniefen beruhigende Gesellschaft. Allmählich wurde es kälter und ich legte gekreuzt meine Handflächen auf die Oberarme um diese warm zu halten.

Plötzlich hörte ich regelmäßige aber schnelle Schritte. Es waren Absatzschuhe und diese hallten über die leeren Straßen.

"Nancy?", rief Jou, die mir hinterher gerannt war und beschleunigte ihren Gang, als sie mich erkannte. Mit schwerem Atem setzte sie sich zu mir und legte ihre Hand auf meine Knie.

"Nancy, es tut mir so leid.", keuchte sie immer noch außer Puste und rang nach Sauerstoff. Ihr Mund war hörbar trocken. Ich spürte, wie der Wind mir die restlichen nassen Flächen aus dem Gesicht wehte und drehte mich zu Jou.

"Wirklich, es tut mir so wahnsinnig leid. Ich habe heute einfach so viel Müll geredet.", entgegnete sie und schaute mich erwartungsvoll an. Ich zuckte mit den Schultern und zog mir die Nase hoch. Ich war gar nicht in der Lage noch über irgendwas groß nachzudenken. Fakt war, dass der Abend zumindest mehr als schief gelaufen war. Sie überlegte noch etwas zu sagen, doch ließ es sein, als sie wohl erkannte, dass die Müdigkeit wie ein Schleier über mich fiel. Sie nahm mich sanft am Handgelenk und suchte Blickkontakt.

"Lass uns reingehen. Es ist kalt hier draußen.", enschloss sie und stand auf, was ich ihr nachahmte.

"Außerdem musst du echt mal ausschlafen. Morgen habt ihr sowieso keine Termine, da bleibst du erstmal bis Mittag im Bett."

Schweigend stimmte ich ihr zu und lief langsam hinter ihr her. Oben angekommen schloss ich die Tür auf und wir betraten die Hotelwohnung. Das Licht war an und ich wunderte mich einwenig. Hatte Bill das Licht vergessen auszumachen, oder war jemand da? Hat Bill nicht gesagt, dass Tom schliefe? Man bewies mir das Gegenteil, als Tom aus der Küche hervortrat. Nur eine karrierte Boxer bekleidete seinen Intimbereich und ein mit Wasser gefülltes Glas schimmerte unter dem Licht des Raumes in seiner Hand.

"Hey, wie war euer Abend?", fragte Tom mit einem gastfreundlichen Grinsen und nahm einen Schluck seines Wassers. Ich antwortete nicht und zog mir die Schuhe aus. Stattdessen informierte Jou ihn über unsere gemeinsam verbachte Zeit.

"Wir waren erst im Café und sind dann spontan in einen Club gegangen." Tom wollte gerade etwas erwidern als er mich sah, doch Jou zuckte ein murmelndes Bill heraus, worauf er sich seine Worte verkniff. Ich strich mir die vielen Strähnen aus dem Gesicht, legte meine Tasche neben die Schuhe und machte mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Schließlich, fragte Tom doch noch brummend, als ich hinter der Tür verschwand. Ich blieb stehen und folgte ihrem Gespräch.

"Bill ist mit irgendeiner Frau aufgetaucht. Ich hab nichts gehört, aber gesehen wir er sich vor ihr aufgebaut-"

"Hat er sie geschlagen?", fragte Tom schockiert.

"Was? Nein, er hat ihr nur den Weg versperrt als sie raus wollte. Er hat sie geärgert.", sprach Jou und einwenig Stille kehrte ein, bis Tom schließlich seufzte und sie wieder ansetzte zu reden.

"Die wird damit überhaupt nicht mehr fertig. Sie redet sich immer noch ein, er sei der gute Alte.", sagte sie verzweifelt und Tom stellte das Glas auf der Arbeitsfläche ab.

"Wir müssen was tun, Mann. Rede mit ihr mal etwas öfter. Du bist Bills Zwilling, vielleicht glaubt sie dir da mehr, dass es an ihm nichts mehr zu renken gibt.", probierte sie es und Tom seufzte. Ich lachte leise auf. Wie konnte man sich so derbe Gedanken machen? Ich bin ja nicht depressiv, ich habe bloß etwas zu viel für heute nachgedacht. Ein kurzer Kuss war aus der Küche zu hören und ich hörte Schritte.

"Ich geh jetzt nach Hause. Wenn was sein sollte, dann melde dich, ja?", redete Jou und ich nickte bloß. Sie ging und verschwand nach einem weiteren leisen Schmatzer hinter dem Hotel. Als die Tür zu viel, kam Tom und lehnte sich an den Türrand. Seine Arme verschränkten sich vor seiner Brust und er musterte mich. Ich setzte mich auf den Bettrand und lächelte ihn schwach an. Sein Blick zeigte keine Reaktion und so steckte ich das Lächeln sofort wieder weg und drehte meinen Kopf zu Boden.

"Bill also, richtig?", fragte er und seine Stimme war kühl. Fast so, als wäre er sauer.

"Du musst mit mir nicht darüber reden. Ich weiß, dass es dich langsam irre macht, dich über ihn zu unterhalten.", antwortete ich und versuchte seinem eisigen Ton stand zu halten.

"Falsch. Es macht mich irre nicht zu wissen, was du über ihn denkst.", sagte er. Ich blickte zu ihm hoch und sah seine tief dunklen Augen, die undeutende Emotionen vor mir ausschütteten.

"Tom, was möchtest du hören?", fragte ich gespannt. Er holte tief Luft, schloss seine Augen und ließ seine Arme fallen. Langsam trottete er zu mir und setzte sich neben mich.

"Ich möchte wissen, in welcher Beziehung du mit Bill stehst.", seufzte er und schaute mir wieder in die Augen. Diesmal war der Braunton seines Augenpaars zarter und glühender.

"Beste Freunde?"
Die Antwort kehrte eher als Frage wieder an mich selbst zurück. Tom legte seinen Kopf auf die Finger, dessen Arm sich mit dem Ellebogen auf seinem Schoß abstützte. Einen Moment lang dachte er nach, schüttelte mit dem Kopf und schaute dann wieder zu mir. Sein Blick diesmal verzweifelter als vorher.

"Nicht in welcher Beziehung du stehen willst, Nancy.", korrigierte er mich. "Sondern in welcher du jetzt stehst." Ich senkte meinen Kopf und das war ihm Antwort genug.

"Ihm ist Freundschaft egal, Nancy. Ihm ist Liebe egal. All die großen Gefühle sind dem 'nen Scheiß wert. Ich dachte du weißt das.", entgegnete er. Ich wollte gerade ein Ich weiß zumurmeln, bis mir auffiel, dass ich es eben nicht wusste. Ich konnte es mir nicht eingestehen.

"Das ist wie Gut und Böse. Wie Schwarz und Weiß. Oder wie Wasser und Öl. Du kannst so viel tun wie du willst, ihr werdet euch nicht binden. Natürlich heißt das nicht, dass es in ihm keine Hoffnungen mehr gibt, aber Nancy. -Du hast es versucht und er hat es nicht gesehen. Geh weiter, verdammt. Sei einfach seine Make-Up Artistin und hab ein neutrales Verhältnis zu ihm. Das wird dir besser tun, als das was du jetzt tust. Du verschwendest deine Energie. Selbst ich gebe langsam auf.", redete er auf mich ein und Tränen riefen wieder nach dem Ausgang.

"Aber was ist mit der Freundschaft, die mal existiert hat? Die kann doch nicht einfach so verschwunden sein.", krätzte ich und mein Hals schnürte sich unangenehm zusammen. Er seufzte wieder.

"Bill hat sich verändert.", wiederholte er. "Die einzige Variante wäre, wenn du dich seinem Charakter anpasst und nicht er deinem. Aber dann müsstest du es in Kauf nehmen, seine Spielchen zu spielen."

Fick ihn doch!

Das waren die Worte, die auch Jou noch am Abend ausgesprochen hatte.

Wenn ich ihn also nicht mehr dazu bringen könnte, ihn an mich anzupassen, müsste ich mich dazu bereit erklären, richtig?

"Du bist müde. Leg dich lieber schlafen.", riss Tom mich aus meinen Gedanken und ich nickte bloß. "Und denk bitte genau darüber nach, was du tust. Ich bin im Wohnzimmer, wenn du mich brauchst."

Mit einem tröstenden Lächeln trat er aus meinem Zimmer und als das Schloss klickte, ließ ich mich auf meine weiche Matratze fallen. Ich hasste die Was-wäre-wenn-frage zwar, aber diesmal musste ich mich damit auseinander setzen.

Was wäre, wenn ich mich zu Seinesgleichen anpasse?

Fick ihn doch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt