Kapitel 27

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Die Nacht war wieder schlimm. Nein, sie war scheiße. Leben ohne Arbeit machte mich schlaflos und doch verdammt müde und faul. Ich wollte nicht aufstehen, aber ich hatte Durst. Und Hunger. Ich hatte seit Wochen nichts gescheites gegessen. Jou lag in ihrer gewohnten "ich-ersticke-am-Kissen-Haltung". Keine Ahnung, ob das ihre Art war sich das Leben zu nehmen, oder ob sie durch andere Körperteile atmen konnte, aber es sah dämlich aus. Ich machte einen großen Schritt über sie, trat dennoch auf ihren Fuß. Ein Knacksen entkam den Knochen und ich verzog mein Gesicht. Sie wurde nicht wach und so tapste ich mit nackten Füßen über den den Vinylboden.

Ich huschte die Treppen hinunter und öffnete in der Küche den Kühlschrank. Es sah abgemagert aus und war nicht viel voller als mein Magen. Sofort zog sich dieser schmerzhaft zusammen und ich gab die Suche nach Essen auf. Dann Trinken. Eine Flasche Jack Daniels lag auf dem Tisch. Eigentlich dachte ich an soetwas wie Orangensaft, aber was soll's.

Ich griff nach der Flasche und bemerkte, dass sie auf war. Zuerst schaute ich mich um, zuckte dann mit den Schultern und pfefferte mir alles in den Hals. Viel war dort nicht drin. Zumindest nicht genug für mich. Dachte ich jedenfalls. Lag wohl an Bill. Ich schaute durch das riesige Terassenfenster und sah in der dunklen Umgebung einen glimmenden Punkt. Sah aus wie ein Stern. Nur, dass er absurd nah war und ziemlich klein und orange wirkte. Oh Gott, wie wenig vertrug ich?

Erst nach einigen Malen Blinzeln verstand ich, was es war und öffnete die Tür. Es war angenehm warm draußen und ich tippte vorsichtig voran.

Ich hörte leise Musik und sah den Display im Mondlicht glänzen. Es war tatsächlich wieder Vollmond. Das ging schnell. Wieder trug er bloß eine Boxerhorts und rauchte. Auch wenn ich es widerlich fand, empfand ich es nach jedem Zug als aufregend, den Duft einzuatmen. Nach einer eigenen Kippe aber traute ich mich nicht zu fragen. "Kannst du nicht schlafen?"

"Doch.", antwortete ich knapp und wir starrten beide in die Ferne. Blöde Fragen erforderten blöde Antworten.

Er lachte nicht sondern nahm einen weiteren Zug.

"Schon kacke alles.", murmelte ich. Warum? So legendär war der Satz nun ehrlich nicht. Aber ich schob es auf den Alkohol. Alkohol war ein guter Sündenbock.

Er schnaubte und zog wieder. Er ließ es auf sich wirken und atmete langsam und hörbar aus. Wieder sagte niemand was. Ich konzentrierte mich auf den Nachgeschmack des Jack Daniels und fragte mich, warum ich eigentlich so einen Kindergarten-Schlafanzug rumtrug. Und das Schlimmste war sogar, dass er mein einziger war. Irgendwie ganz schön unattraktiv. Davon mal abgesehen, dass mein abgemagerter Körper und meine drakulaweiße Haut ohnehin schon für'n Arsch waren.

"Auch eine?" Er schüttelte die Packung Zigaretten und zog sie vor mich. Zögernd schüttelte ich mit dem Kopf. Er zog eine für sich raus. Seine alte schwelte langsam vom Boden aus und das Zischen seines Feuerzeuges war zu hören. Ich betrachtete ihn. Er konzentrierte sich auf die Spitze seiner Kippe und man sah von der Seite seine Augenringe, seine runtergezogenen Mundwinkel und sein generell mitgenommenes Gesicht. Seine Piercings hatte er seit Tagen nicht mehr an. Mir wurde schwindelig. Sofort setzte ich mich wortlos auf den Boden und legte meinen Kopf auf die Fingerspitzen. Ach, jetzt fiel es mir ein. Das Handy spielte den Track irgendwelchen Dingends Lullabye. Auf jeden Fall war es Hozier. Mein Hinterkopf zog sich unangenehm zusammen und ich presste die Augen noch stärker zusammen.

"Alles okay?", fragte er rau und setzte sich dann neben mich. Er legte seine Hand auf meine Schulter und übte aufmerksamverleitenden Druck darauf aus. Wir mussten wie die letzten Penner dieser Welt aussehen. Ich wie ein Trinker- und er ein Kiffersuchti. Und Jou halbtote Drogenabhängige. Penner halt.

"Wie viel verträgst du bitte?", zischte ich und massierte mir die Stirn.

"Wie?"

"Der Jack Daniels, Mann."

Er lachte. Aber es war eher ein Reflex. Keine Reaktion oder Ähnliches.

"Ich dachte du hast den Getrunken. Ich hab ihn nicht einmal angerührt.", brummte er und seine Hand glitt von meiner Schulter. Augenblicklich fühlte es sich dort kalt an. Oh Mann.

"Jou vielleicht?"

Er zog. "Vielleicht."

Ich hob meinen Kopf und betrachtete ihn. Mir blieb beinahe die Luft weg. Er sah zwar scheiße aus, aber selbst das machte ihn gerade äußerst reizvoll.

Er bemerkte meinen Blick und hob fragend seine Zigarette. Er wartete meine Antwort ab. Auge auf Auge. Gott, ich bekam Gänsehaut.

Langsam begann er mich zu verstehen und sein Blick zückte runter zu meinen Lippen, die ich langsam spreizte. Ein letzter Zug fuhr zwischen uns hindurch und nachdem er zur Seite ausatmete und sich dann zu mir lehnte, waren seine Lippen auf meinen und seine Hand unter meinem Ohrläppchen. Er hatte absolut Recht. Er wusste mit Mädchen umzugehen und so glitt seine zweite Hand bis zu meiner Taille. Mir war so unbeschränkt schwindelig und ich verschränkte meine Hände auf seinem Nacken. Ich ließ mich fallen, doch er würgte mir den Fall ab und hielt mich fest. Erst dann drückte er mich langsam runter, die Lippen nicht stoppend. Mir tat alles weh und doch tat alles so gut. Er, dieser Alkohol, diese Ruhe und Entspannung.

Unzögerlich glitt er mir unter das Kleid und ich begann jetzt schon zu schwitzen. Ich keuchte, mir blieb nicht bloß einmal der Atem stehen und er streckte meine Arme auf dem Boden aus. Seine Haare fielen wieder vor und er atmete schwer, während er sich dann von mir löste und langsam den Stoff über meinem Körper hochzog. Oh scheiß doch auf die Unattraktivität.

Seine leicht rauen und trockenen Fingerspitzen fuhren über meinen Bauch und berührten meine Brust. Ich biss fast schmerzhaft in die Lippen und sog scharf die Luft ein. Meine Augen schlossen sich und augenblicklich legten sich wieder Lippen auf meine. Zum Teufel, war dieses Arschloch verlockend.

Zum Teufel.

Fick ihn doch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt