Kapitel 16

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Es war Mitte der Nacht und ich lag regungslos da und starrte auf die Decke. Einige Male war ich in einen Schlaf getreten, aber wurde unwillkürlich ins Wachleben zurückgezerrt. Der Grübel darüber, was ich tun sollte um Bill so nahe wie möglich zu bleiben, schüttelte mich. Die Antwort auf die so vielen Fragen, konnte ich unmöglich auf eigene Faust herholen. Ich brauchte Hilfe. Von Tom.

Ich erhob mich ermüdet und dennoch hellwach und trat aus dem Zimmer mit der Hoffnung, dass Tom noch wach im Wohnzimmer kauerte. Doch anscheinend war noch viel mehr Zeit vergangen, als ich gedacht hatte. Der Fernseher murmelte etwas französisches vor sich hin und präsentierte den Weltall und ihre Sterne. Toms Beine lagen breit da und sein Kopf lag im Nacken auf der Lehne des Sofas. Sein Mund war offen und zu seiner Rechten lag immer noch locker die Fernbedienung.

Ich seufzte in mich hinein und überlegte ihn aufzuwecken. Die Scherben des Glastisches waren auf einen Haufen gekehrt und keiner hatte seinen Stolz überwunden ihn wegzuräumen. Ich entschied mich um und ging in die Küche. Dort standen einige leere Bierflaschen auf der Arbeitsfläche. Fast wunderte ich mich, aber zuckte schließlich mit den Schultern. Männer.

Eine der Flaschen war noch halb voll und ich trank einen Schluck daraus. Darauf folgten einige weitere bis die Flasche schneller leer war, als ich mitkam. Ich lehnte mich an die Theke und fixierte meinen Blick auf das Weiß der Oberfläche.

Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn?

Was wäre dann? Wäre es richtig? Würde ich Konsquenzen tragen? Was ist mit den Risiken? Aber auch Vorteile. Ist Bill es mir wert? Oder ist er mir überhaupt noch etwas wert?

Ja. Ja, er war mir noch eine Menge wert. Viel zu viel haben wir gemeinsame Zeit verbracht. Viel zu oft habe ich ihn in die Arme geschlossen. Ich suchte nach der nächsten Bierflasche. Es trieb mein Hirn an. Ich holte aus dem Kasten die zweite Glasflasche und öffnete es mit dem auf dem Tisch liegenden Flaschenöffner. Sofort landete die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meinem Magen und ich keuchte. Es tat gut, machte mich wach und schien mich auf neue Ideen und Gedanken zu bringen.

Plötzlich hörte ich das Schloss drehen. Ich hielt Inne und rührte mich nicht. Leise öffnete sich die Wohnungstür und vorsichtige Schritte waren zu hören. Ein Atmen. Nur eines, nicht zwei. Kein Schmatzen, kein Murmeln, kein Küssen. Ich legte die Bierflasche auf die Arbeitsfläche und wartete darauf der Person entgegenzutreten. Und da war die Person auch schon. Die neonfarbene Jacke stach immer noch ins Gesicht und seine Pilotenbrille hing diesmal auf dem Ausschnitt seines Shirts. Der Schlüsselring war über seinem Zeigefinger, während seine restlichen Finger der Schlüssel festhielten.

Unsere Blicke trafen sich. In jeder Hinsicht erschrocken und gespannt, beide Gesichtszüge ganz perplex und genauso erwartet wie auch unerwartet. Nach einigen stillgestandenen Sekunden zuckte sein Blick auf die Bierflaschen. Sein Brustkorb hob und senkte sich immer noch von seiner zurückgelegenen Strecke. Meiner hob und senkte sich mehr. Ihn in meinem Sichtfeld betrachten zu können, ohne diese Kälte auf seinem Blick zu sehen, war so absolut surreal, dass ich mich nicht sattsehen konnte.

"Hast du die Flaschen getrunken?", fragte er und seine Stimme war rau. In seiner Stimme lag Neutralität, während die nervös aneinanderreibenden Finger immer noch das Gegenteil bewiesen. Ich schüttelte meinen Kopf, was ihn nicht überzeugte.

"Wo ist Jess?", fragte ich dagegen.

"Betrinkst du dich deswegen?"

"Ich habe das alles nicht getrunken."

In beiden Stimmen lag diese eisige Kälte, die wir beide unernst meinten. Warum auch immer. Er trat näher und betrachtete immer noch die Flaschen.

"Du bist eifersüchtig.", stieß er hervor. Ich wusste nicht, ob es ein Entschluss oder eine Frage an mich war, also schwieg ich. Seine tättowierte Hand umschloss eines der braunen Behälter und wieder wanderte sein Blick zu mir. Er musterte mich von Oben bis hin nach Unten und blickte wieder auf das leere Bier.

"Du hast geweint.", sagte er. Ich schwieg wieder.

"Hast du?", fragte er schließlich doch und schaute mich an. Ich presste meine Kiefer aneinander und schluckte. Ihm entwich ein Grinsen und er kicherte heiser auf. Seine weißen Zähne glänzten wieder und die Situation so surreal, wie eingespielt.

Eingespielt. Spielchen.

Natürlich. Er spielte Spielchen. Und das war meine Chance.

"Was willst du?", fragte ich.

"Was denkst du denn, was ich will?", feixte er und diesmal ließ er seine Augen nicht von mir gehen, legte das Bier auf die Theke und trat mir gefährlich nahe. Ich spürte seine Körperwärme auf meiner Brust und er legte den Schlüssel in die andere Hand.

"Wo ist Jess?", wiederholte ich meine Frage.

"Meine Freundin ist nicht hier, das ist Fakt." Ein schelmisches Grinsen folgte und seine braunen Augen funkelten betörend.

Seine Freundin. Pah.

Ich schaute auf sein Shirt. Unbewusst steuerte meine Vorstellungskraft auf das zu, was sich unter seinem Chaos von Klamotten befand. Ich räusperte mich zu meiner eigenen Verteidigung und blickte wieder zu ihm. Sein Grinsen war nur noch ein funkelndes Lächeln und sein Gesicht näher.

Beschämt erwischte ich mich dabei an meiner Lippe herumzukauen und riss mich wieder zusammen. Seine Zähne fletschten wieder und sein Gesicht zuckte näher in meine Richtung. Sein warmer Atem stoß gegen meinen. Unsere Nasenspitzen waren einige wenige Zentimeter voneinander entfernt, meine Ohren schalteten jegliche Arbeitskräfte ab und es wurde heiser. -Stickiger.

Ich brach ab. Meine Fäuste schlugen ihn wieder von mir weg und mein Atem ging schnell, nachdem er vor wenigen Sekunden fast stehen geblieben wäre. Ich ging davon und blieb vor der Tür stehen. Ich wollte was sagen, mit Worten um mich schlagen, doch da kam nichts. Sein Blick wieder so außerordentlich kühl, die Situation hatte keine Spuren auf ihm hinterlassen, es war wie gelöscht. Nie passiert. Wut fraß sich in mich hinein. Worte schlossen sich ein, drängten sich in die Mitte meines Magens und schlugen Saltos.

Ich lief davon. Er hatte mir nicht hinterhergerufen. Er hatte nicht gesagt, dass es ihm Leid täte. Er hat nicht die Schuld auf den Alkohol geschoben. Er hat mich nicht am Handgelenk festgehalten. Er hat nicht einmal irgendetwas gesagt. Ich begab mich mein Zimmer, zog dort meine Klamotten aus und legte mich unter die Bettdecke. Das Bild von ihm, gekleidet wie ein zum ersten Mal feiern gehender 14-jähriger, stanzte sich in mein Gedächtnis und gleitete mit mir in einen wutentbrannten Schlaf.

Freak.

Fick ihn doch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt