Kapitel 11

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Ich trank den warmen Kaffee schnell, gesellte meine Tasse der von Tom und huschte quer durch die Wohung in mein Zimmer. Ich ließ mich auf mein bereits abgekühltes Bett fallen und strich mir über mein Gesicht. Ich hörte Tom im Wohnzimmer Entschuldigungen überschlagen und unangenehm den Hinterkopf kratzen.

Er entschuldigte sich für das Missverständnis und bot einen neuen Termin an, der wohl entgegnet wurde, da seine Stimme immer dumpfer und murmelnder wurde. Als er dann schließlich auflegte, hörte man ein schwaches und bedrücktes Stöhnen. Es herrschte Stille im Haus, die nur einige Male von Toms verzweifelten Seufzern durchbrochen worden waren und dann hörte man das quietschen des Sofas, auf das er sich wohl gesetzt hatte.

"Unsere Karriere ist am Arsch.", flüsterte er in die Handflächen auf seinem Gesicht.
"Am Arsch."

Ich rappelte mich auf und fuhr mir über meine blonden Haare. Langsam stand ich auf und lehnte mich an den Türrand, während meine Arme sich auf meinem Bauch verschrenkten.

Tom schaute auf. Sein Blick ging in meine Richtung, allerdings traf er mich nicht als Objekt sondern bohrte sich unabgenehm durch mich hindurch in das Zimmer hinter mir. Er war irgendwo in Gedanken, dachte über irgendwas nach und war völlig aus der Welt gerissen. Einzelne Gedankensprünge flohen aus seinem Mund.

"Unsere Familie.", hauchte er.
"Unsere Karriere."

Mein Blick fuhr intensiv über sein Dasein. Seine Finger kauerten in den Haaren seines gesenktes Kopfes und jede Muskelfaser seines Körpers spannte sich an, da sein nackter Oberkörper nicht einmal zuckte. Dennoch war die leicht dunkle Farbe aus seiner Haut gesaugt und flehte immer noch seinem Schlaf entgegen. Seine Beine, die in seiner grauen Jogginghose verpackt waren, waren starr. Seine Augen waren bereits auf den Boden fixiert.

"Unser Bill.", flüsterte er und diesmal sah man das Zucken seiner Muskeln. Es hat ihn getroffen. Er ist am Ende seiner Überlegungen angekommen. -An der Grenze.

"Fuck." Sein Körper fuhr für einen Augenblick lang runter und seine Augen schlossen sich. Es herrschte trotz seiner kurzen Entspannung eine abstoßende Nervosität, die mich ihn noch tiefer ansehen lassen ließ. Wie viel Sorge lag in diesem Mann, dass es ihn so absolut kränkte?

"Tom, du-", begann ich ihn zu trösten, doch seine hastige Bewegung schnitt mir das Wort.

"Fuck, mein Bruder verreckt in der Gesellschaft und weiß nicht einmal was er tut!", brüllte er und schmiss den Glastisch vor ihm um. Ein Moment in Lichtgeschwindigkeit, der mich erschrak.

"Tom!", rief ich perplex und lief auf ihn zu.

Sein Atem ging schnell und man hörte die letzten klirrenden Glasscherben klingen, bis wieder Stille in den Raum kehrte. Ich legte meine Hand auf seinen Arm. Seine Adern tauchten aus den eben noch schlaffen Armen auf und sein Brustkorb stieß Feuer und Energie aus.

"Tom, du musst dich beruhigen, bitte.", sagte ich und suchte Blickkontakt. Seine Augen aber waren wieder auf den Boden gerichtet und er schien mich gar nicht richtig aufzufassen.

"Alle hassen ihn.", knurrte er und seine weißen Zähne fletschten, während seine Muskeln unter den Armen wieder stark anspannten, was ich deutlich auf der Hand, die auf seiner Haut lag, spürte.

"Aber eins weiß ich..", setzte er an.
"Ich werde ihn nie hassen. Egal was er tut, egal was er will und egal welcher Leidenschaft er sich widmet. Er ist mein Bruder."

Ich überdachte mir seine Aussage und sah zu dem in Trümmern liegenden Tisch hinüber, bis ich mich wieder zu Tom drehte.

"Niemand wusste, dass es so weit kommt.", versuchte ich es ruhig.

"Ich liebe ihn viel zu sehr um es zu zulassen, dass er auf der Welt als Außenseiter und Narr abgestempelt wird.", zischte er und schien meinen Versuch auf ihn zu zukommen total zu ignorieren. "Du hast alles getan-"

Und wieder schnitt er mir das Wort.

"Nein, Nancy!"

Diesmal stoß sein Kopf in die Höhe und sein Blick traf den Meinen.

"Ich habe nichts getan! Nichts! Denn hätte ich etwas getan, wäre er hier! Er wäre hier und würde mit mir Frühstücken und seinen Kaffee trinken! Er würde sich über sein bockiges Haar aufregen und wir würden wieder in knapper Sekunde, aber zufrieden und glücklich, zusammen dieses dämliche Interview bei Okapi führen, auf das sich Tausende französische Teenies freuen!", schrie er. Ich erstarrte.

Mein Blick wanderte von seinem einem Auge zum anderen. Sein Blick so sicher und trotzdem so verzweifelt und wütend. Hitze loderte zwischen uns, die sich Wort für Wort aufbaute. Er hatte Recht. Er hatte so absolut Recht, dass es mir die Sprache verschlug. Wo war Bill, den es vor einigen Jahren gab? Der, den alle liebten. Der, der der Gesellschaft ein Vorbild war, da seine Liebe beneidenswert war. Wo steckte seine "Liebe auf den ersten Blick", die er sich für das eine Mädchen aufbewahrt hatte? Sie war weg. All seine Hoffnung und Geduld war verschwunden.

Tom huschte rasend neben mir vorbei und lief in sein Zimmer, dessen Tür mit einem lauten Knall zugeschlagen wurde. Ich setzte mich auf das beige Sofa und betrachtete den Glastisch, den Tom vor einigen Augenblicken achtlos umgeworfen hatte. Ich legte meinen Kopf in die Hände, bis ich plötzlich einen funktionierenden Schlüssel in der Richtung der Hoteltür wahrnahm.

Ein Kichern stach raus und ein anschließendes tiefes Murmeln war dumpf durch die noch geschlossene Tür zu hören.

Schließlich fiel die Tür aus dem Schloss und die Stimmen waren nun klarer. Mein Kopf hob sich langsam und da war er.

Seine blonden Haare fielen glatt über seinen Kopf und die vielen Accessiors begannen Töne zu spielen. Eine weiße Lederjacke lag über dem dunklen T-Shirt und eine simple Jeans verschlang seine Beine. Sein Arm umschlung eine brünette Frau, die ich sofort wieder erkannte. Es war die Frau der letzten Nacht, die Bill als ihren bezeichnete.

Seine Lippen berührten die ihre und ein freches Grinsen lag auf der Frau.
"Ah, hi.", sagte Bill nur, als er mich auf dem Sofa sitzen sah. Sein respektloses Auftreten stieg mir wieder den Hals hoch.

Hi.

Fick ihn doch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt