Sicht Julian
Gerade als ich am Fahrstuhl stand fiel mir ein, ich hatte doch noch Marcos Pullover. Ich sollte ihm den Pulli gleich mitbringen, sonst vergessen wir es beide, so verpeilt wie wir immer sind. Ich lief also zurück, schloss die Tür auf und betrat das Zimmer.
,,Sorry, ich hab nur was ver-..." geschockt über den Anblick der sich mir bot, blieb ich mit geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen mitten im Raum stehen. ,,Kai? W-was? Wieso? Ich meine, warum hast du...?" Ich brachte keine ordentlichen Sätze zustande. Ich stand viel zu sehr unter Schock. Das was ich dort sah, ließ mir Tränen in die Augen steigen. Mein bester Freund, nur in Boxershorts, welcher sich gerade Sachen aus seinem Schrank suchte. Seine Beine waren von Schnitten übersäht und an seinem Körper konnte man keinen Gramm Fett mehr erkennen. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen. Ich schlug die Hand vor mein Gesicht und trat näher auf ihn zu. Er versuchte seinen Körper mit den Sachen in seiner Hand zu verstecken, doch es half nichts. Ich habe es eh schon gesehen. Meine Tränen liefen und auch er begann fürchterlich zu weinen. Schon als er gestern in meinen Armen geweint hat wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Aber das es so schlimm war, dass er sich selbstverletzt und bestimmt zehn Kilo abgenommen hat, hatte ich nicht geahnt.
,,Kai, wieso?" schluchzte ich und sah ihm in seine wundervollen blau-grünen Augen, welche nicht mehr so vor Freude strahlten wie damals. Sie waren kalt und man konnte den Schmerz in ihnen erkennen.
,,Es tut mir leid Jule. Es tut mir so leid. I-ich kann einfach nicht mehr." Weinte er und ich zog ihn in meine Arme, wo er seinen Kopf in meine Halsbeuge vergrub.
Seine Schultern bebten und er zitterte, während ich ihm beruhigend über den Rücken strich. Auch mir liefen weiterhin die Tränen über die Wangen. Meinen Havy so zu sehen zerbrach mein Herz. Er war so abgemagert, ich hatte schon Angst ihn zu zerbrechen. Ich habe es nicht gemerkt. Ich habe nicht gemerkt, wie schlecht es ihm geht. Was bin ich nur für ein schlechter bester Freund? Was muss nur passiert sein, dass dieser wundervolle Mensch sich so fühlt und sich selbst solche Schmerzen zufügt? Wer ist Schuld daran? Egal wer es ist, ich werde ihm oder ihr in den Arsch treten, bis er nicht mehr sitzen kann. Keiner fügt meinem Kai ungestraft solche Schmerzen zu, dass er sich selbst verletzt. Dieser Mensch der daran Schuld ist, bekommt von mir höchstpersönlich ein VIP-Ticket in die Hölle.
,,Ist schon gut Havy. Wir stehen das durch, gemeinsam. Das verspreche ich dir."
,,Es tut mir so leid Jule. Ich wollte nie, dass du das sehen musst." Gestand er mir, noch immer am weinen.
,,Aber Havy, dafür bin ich doch dein bester Freund. Ich bin da für dich, wenn es dir schlecht geht. Aber du musst reden. Bitte Kai. Wieso hast du das gemacht? Was war der Grund?" Fragte ich weiter nach.
,,Jule, bitte. Ich kann es dir nicht sagen." Schluchzte er.
,,Kai rede mit mir. Ich will es einfach verstehen. Denkst du ich seh mir weiterhin an, wie mein bester Freund sich selbstverletzt und sich zu Tode hungert? Willst du mich verarschen? Seit wann geht das denn schon so?" Rief ich aufgebracht und entfernte mich ein wenig von ihm. Mittlerweile saß er auf dem Bett und ich stand ihm gegenüber.
,,Noch nicht so lange." Hauchte er leise.
,,Was heißt, noch nicht so lange?" Fragte ich wütend.
,,Das mit dem selbstverletzen und hungern hat vor etwa einem Monat angefangen, davor hab ich nur darüber nachgedacht." Flüsterte er.
,,Und da kommst du nicht auf die Idee, mal mit jemandem zu reden? Kai, du brauchst Hilfe. Das ist nicht normal. Warum hast du mir nie etwas gesagt?" Ich war ziemlich verletzt. Wieso lässt er keinen an sich ran? Was kann bitte so schlimm sein?
,,Man Jule ich kann es dir nicht sagen. Versteh das doch bitte. Ich kann es nicht. Denkst du nicht ich würde, wenn ich könnte? Du wärst der erste, dem ich es erzählt hätte. Ich kann es aber nicht." Rief er verzweifelt. Mein Herz brach mit jedem Satz ein Stückchen mehr.
,,Du erzählst mir jetzt was los ist. Sofort. Ich geh nicht von deiner Seite, bis du es mir erzählt hast. Sag mir den verdammten Grund." Redete ich weiterhin auf ihn ein. Ich setzte mich neben ihn und nahm seine Hand in meine. Er sah mich nicht an.
,,Kai, sieh mich an." Befahl ich. Er schüttelte mit dem Kopf. Meine freie Hand wanderte zu seinem Kinn, welche es zu mir drehte, so dass er mich ansehen musste.
,,Bitte, rede mit mir. Ich kann dich nicht so sehen." Sprach ich nun sanft mit einem zittern in der Stimme. Er soll einfach mit mir reden, ist das zu viel verlangt? Er schüttelte den Kopf, riss seine Hand aus meiner und drehte seinen Kopf wieder weg.
,,Dann geh doch einfach. Das ist dir doch noch nie schwer gefallen." Mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus. Was hatte er da gesagt? Will er mich jetzt komplett verarschen?
,,Na schön. Wie du willst. Stoß mich von dir weg. Stoß jeden von dir weg, der versucht dir zu helfen. Aber sag nicht ich hätte es nicht versucht." Ich stand auf und lief Richtung Tür. Das ist wahrscheinlich das dümmste was ich gerade machen kann, aber ich kann gerade einfach nicht mehr in seiner Nähe sein.
,,Jule, ich-" hauchte er leise und zerbrechlich. Am liebsten würde ich mich wieder umdrehen und ihn in meine Arme schließen, aber dafür bin ich gerade zu verletzt. Ich sah ihm an, dass er bereute, was er gerade gesagt hatte. Doch ich war noch viel zu aufgewühlt, um jetzt wieder klar denken zu können.
,,Spar es dir Havertz. Weißt du Kai, ob du es glaubst oder nicht, es gibt Menschen, die sich um dich sorgen. Aber ich kann dir nicht helfen, wenn du gar nicht willst, dass dir geholfen wird." Das waren die letzten Worte, bevor ich aus der Tür trat und das erste mal seit dem Gespräch wieder atmen konnte. Ich glitt mit dem Rücken an der Tür hinab und ließ meinen Tränen freien Lauf. Wieso redet er nicht mit mir? Was habe ich falsch gemacht? Liegt es an meinem Wechsel nach Dortmund? Aber er ist doch auch nach London gezogen. Ich verstehe ihn einfach nicht. Wieso kann er sich mir nicht einfach öffnen? Ich will doch nur, dass es ihm gut geht. Ich will meinen alten Havy zurück.
Und damit herzlich willkommen zur Lesenacht. Das nächste Kapitel kommt in einer Stunde. Ich hoffe es gefällt euch. Wie immer wäre ich euch sehr dankbar, wenn ihr eure Meinung in den Kommentaren hinterlasst :)
-M <3
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We can go through it, together!
FanfictionWie abhängig man von einem Menschen sein kann merkt man meist erst, wenn es zu spät ist. Und dann tut der Gedanke an diese Person mehr weh, als jede Klinge, jedes Hungergefühl, jeder Messerstich. Liebe lässt uns Dinge tun, von denen wir niemals dach...