Sandro - fleischgewordener Traum

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Ich unterhielt mich gerade mit Noah und Sebastian, als Lu umgezogen den Raum betrat. Mitten auf der Bühne, zwischen all der Schwärze und dem Feuer, stand er mit verschränkten Armen da und sah mit finsterem Blick zu uns herüber. Die weißen Flügel und die Hose passten so gar nicht zu seinem Racheengel Auftritt. Entschuldigend lächelte ich ihm entgegen, bevor Sebastian mich wieder in ein Gespräch verfing.

Ja ... Sebastian ... es war einfach nur der Wahnsinn ... ich war immer noch total geflasht! Ich hatte wirklich das Gefühl Lu gegenüber zu stehen. Einem jüngeren, etwas größeren und durchtrainierten Lu, aber dennoch Lu. Ich konnte mich einfach nicht sattsehen. Und wie er mich grade anlächelte, meine Knie wurden weich. All die Jahre, all die verlorene Hoffnung ... all die Nächte, die ich träumend von einer unmöglichen Zukunft verbracht hatte. Konnte das Schicksal es endlich gut mit mir meinen?

„Können wir endlich? Ich steh hier nicht zum Spaß rum!", donnerte die eisige Stimme von Luigi zu uns herüber und riss mich aus meiner neu erschaffenen Traumwelt. Mein guter Freund war wahrlich nicht mehr gut drauf, das schien sogar Noah bemerkt zu haben, denn sofort schickte er Paul nach einem schwarzen Eisenstuhl in Vintage-look. Als dieser endlich stand, gesellten auch wir uns zu Lu. Immer noch mit verschränkten Armen stand mein Racheengel da und musterte uns skeptisch. Was ihm wohl über die Leber gelaufen war? So schlimm war dieses eine Foto doch gar nicht, er tat ja grade so, als würden wir ihn zur Schlachtbank führen.

„Sebastian, darf ich dir meinen Freund Luigi vorstellen?", versuchte ich, die Situation etwas zu entspannen. „Hi.", sprach Sebastian Lu an, bekam aber keine Antwort von meinem sturen Freund. Ja, der Zug war wohl abgefahren. Lu's Laune würde sich so schnell nicht mehr bessern. „Soooo ... eine Art von Freund?", richtete Sebastian nun an mich und zwinkerte mir spitzbübisch zu.
„Nein, nicht so eine Art von Freund. Er ist mein bester Freund, stimmt es Lu.", beantwortete ich Sebastians Frage und klopfte Luigi dabei auf die Schultern. Noch immer Schweigen. ‚Großer Gott Lu, wo waren bloß deine Manieren abgeblieben?' Am liebsten hätte ich ihn einfach kräftig geschüttelt, aber dann wäre der Gute wohl völlig ausgetickt.
„Das ist gut! Gibt es den sonst einen Mr. Right?", wollte das Model wissen und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. „Finde es raus.", mein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.

„Das könnt ihr später klären.", riss uns Noah aus unserem Gespräch. „Sandro setzt dich doch mal auf den Stuhl und lehn dich zurück ..." Ich ließ mich auf dem Stuhl nieder und befolgte Noahs Anweisungen. „Genau so ... Graf vor Sandro auf die Knie ... pack ihn an der Krawatte ...", richtete er sich nun an Sebastian. „Sandro lös mal die Krawatte und öffne die ersten drei Knöpfe deines Hemdes. Du schaust so zugeknöpft aus ...!" Kurzerhand waren seine Aufforderungen befolg und er schaute zufrieden lächelnd in seine Kamera. Scheinbar nahm das Bild die richtige Gestalt an. „Sebastian nimm Sandro wieder an der Krawatte ... ja so ist gut ... nun zu dir Luigi, stell dich dicht hinter den Stuhl und halte Sandro mit beiden Händen an den Schultern fest ... so, als würdest du ihn zu dir ziehen wollen." Augenblicklich spürte ich Lu's Hände auf mir. Er griff fest zu und zog leicht an mir.

Irgendwie war die ganze Situation absurd, ja gerade paradox. Hinter mir stand die Liebe meiner Kindertage und vor mir kniete das, was ich mir all die Jahre erträumt hatte. Auf der einen Seite meine Vergangenheit, auf der anderen vielleicht meine Zukunft?
„Kann man dich heute noch irgendwo treffen?" Wollte genau diese, eventuelle Zukunft wissen und befreite mich so, aus meiner konfusen Gedankenwelt. „Ich glaube, wir hätten so unseren Spaß miteinander.", klärte mich Sebastian grinsend auf und leckte sich lasziv über die Lippen. Ein Klicken riss mich aus meinem gebahnten Blick. Diese Lippen ... Nach vierzehn Jahren war die Erfüllung so nah!

„Bin schon fertig! Luigi schau ... sogar nur mit einem Klick!", verkündete Noah stolz an Lu gewandt. „Wollt ihr es sehen?"
„Natürlich.", entkam es Sebastian und mir im Chor, wir erhoben uns von unseren Plätzen und gingen zu Noah, der bereits eifrig seine Kamera an den Laptop schloss. Nach ein paar weiteren Klicks erschien endlich das Foto. Fasziniert sah ich es an. Noah hatte nicht übertrieben, es war wirklich großartig. Ich saß leicht nach vorne gebeugt auf diesem Stuhl und verschlang Sebastian nahezu mit den Augen, dieser leckte sich gerade verführerisch über die Lippe. Man konnte die knisternde Spannung sehen. Dass Feuer der Leidenschaft spüren. Luigi dagegen stand wie in Eis gegossen und beobachtete die ganze Situation, mit missbilligendem Blick und einem wütenden Gesichtsausdruck von oben herab. Diese Arroganz passte eigentlich gar nicht zu ihm, machte diese Aufnahme aber zu etwas ganz Besonderem. „Lu schau, du kannst doch modeln!", lobte ich ihn, weil er wirklich eine gute Figur auf diesem Bild machte. Als ich keine Antwort erhielt, sah ich mich suchend um. Hmmm ... kein Luigi ... war mir gar nicht aufgefallen.
„Er ist gleich nach hinten gegangen.", klärte mich Noah auf. „Ich glaube, dass heute hat ihm nicht so gefallen."
„Ja, das denke ich auch!" Ein mulmiges Gefühl überfiel mich. Um Lu nicht länger zu reizen, verabschiedete ich mich schon mal mit einer Umarmung von Noah und anschließend von Sebastian, damit wir uns, sobald er umgezogen war, auf den Weg machen konnten. Kaum hatte ich mich von Sebastian gelöst, stieß Luigi auch schon zu uns.

„Auf geht's Lu. Ich habe Hunger, lass uns was Essen gehen!", begrüßte ich ihn mit guter Laune. „Kay ..." Mehr bekam ich nicht, mehr hatte ich aber auch nicht erwartet. Da meine überaus gute Laune für uns beide reichte, ignorierte ich den Miesepeter, griff nach seinem Ellbogen und zog ihn Richtung Tür. Über die Schulter rief ich Noah und Sebastian ein fröhliches „Arrivederci" zu, bevor wir den Raum verließen. Pfeifend ging ich zum Auto und Lu folgte mir wortlos. „Jetzt komm schon Lu, das war doch halb so wild!"
„Tzzz ...", zischte er mir lediglich zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Jetzt sei nicht mehr sauer! Schau mal, die Sonne geht grade unter, ist es nicht wunderschön?", schwärmte ich, in die Betrachtung des roten Himmels völlig versunken. Man würdigte viel zu selten solch kostbare Momente.
„Sag mal, was nimmst du den für Drogen?", wollte mein Miesepeter wissen. „Ohhh ... es kann reden!", ließ ich mich gar nicht erst auf diese schlechte Laune ein. Die ganze Welt schien gerade so leicht, so unbeschreiblich schön, da konnte er tun, was er wollte, ich würde mir meine Stimmung bestimmt nicht verderben lassen. „Auf was hast du Lust?", wollte ich wissen, weil mein Magen bereits in den Kniekehlen hing. Das Frühstück war schon viel zu lange her.
„AK, M16, Desert Eagle, Gatling ..."
„Lu ...", unterbrach ich seine Aufzählung. „Du hast gefragt ...", rechtfertigte er sich immer noch mürrisch. „Was du essen willst, wollte ich wissen! Und nicht deine Mordgedanken."
„Mit denen hab ich noch gar nicht angefangen. Salzsäure und ein Mobile aus Körperteilen kämen darin vor. Bist du sicher, dass du sie nicht hören willst?", verbreitete Luigi weiter seine Grabesstimmung. „Emmm ... grade eher weniger, vielleicht das nächste Mal!" Ich schloss meinen Aston Martin auf und wir stiegen gemeinsam ein. „Schade, dass du das Foto nicht gesehen hast, du sahst echt gut darauf aus!" Versuchte ich, ihn weiter aufzuheitern. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht?
„Hör mir bloß auf damit ... ich habe kein Interesse an so einem Scheiß!", fuhr Lu mich an. Da hatte ich scheinbar den wunden Punkt getroffen. „Keine Sorge! Ich nehme dich bestimmt nicht mehr mit!", erhob auch ich meine Stimme. Sein ewiges Gezicke kratzte langsam etwas an meiner Geduld.
„Das hätte auch nie wieder zur Diskussion gestanden, mein Guter. Für solch einen Mist bin ich mir echt zu Schade" „Du spinnst doch ... Du tust ja grade so, als hätte ich dich zu Gott weiß was gezwungen! Es war nur ein harmloses Fotoshooting!" Jetzt konnte ich mich selbst nicht mehr halten. Mir war bis jetzt nie aufgefallen, zu welch Arroganz mein guter Freund fähig war. Vielleicht machte Vernarrtheit wirklich blind! „Du meinst wohl eher das Verhökern von Kerlen!", schmetterte er mir entgegen. Wäre ich nicht der Fahrer gewesen, hätte ich jetzt liebend gerne einen Augenblick meine Augen geschlossen, aber so blieb mir nur das tiefe Durchatmen. Ich beschloss, einfach von hundert an rückwärts zu zählen, um mir so eine böse Antwort, die ich bestimmt später bereuen würde, zu verkneifen.

Wir fuhren gerade auf der Autobahn und eigentlich die Abfahrt zum Heaven abfahren müssen, entschloss mich aber dagegen und fuhr gradaus weiter.
„Was wird das?", wollte Lu unverzüglich wissen. „Ich fahr dich heim!", presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. Dreiundvierzig, zweiundvierzig, einundvierzig ...
„Und ich dachte, du willst etwas Essen gehen ... Du weißt auch nicht, was du willst!", wurde ich weiter angeschnauzt. Vierzig, neununddreißig, achtunddreißig ...
„Redest du jetzt nicht mehr mit mir, oder was?", wollte Lu gereizt wissen. Siebenunddreißig ... alles ist Gut ... sechsunddreißig ... ich muss nicht ausflippen ... fünfunddreißig ... ich bin ganz ruhig ... „Ich habe dich grad so satt, Lu! Das kannst du dir gar nicht vorstellen!", platzte es doch aus mir heraus. Omm ... Omm ... ich sollte dringendst wieder meditieren. Mein ganzes Inneres lag gerade im Ungleichgewicht.
„Ah ... ja ...!", kam es gedehnt von ihm und er wollte grade mit seinen Ausführungen starten. „Bitte, halt einfach die Klappe, Lu! Tu uns beiden den Gefallen und höre auf!", fiel ich ihm niedergeschlagen ins Wort. Ich wollte mich nicht mit ihm streiten, auch wenn er mich grade nur noch ankotzte, er war doch immer noch mein bester Freund. Ein kurzer Seitenblick zeigte mir, dass Lu die Lippen aufeinandergepresst und die Arme verschränkt hatte, aber er sagte kein Wort und dafür war ich ihm wirklich dankbar.

Eine Viertelstunde später hielt ich vor seinem Grundstück. Wortlos stieg er aus und schlug die Tür zu. Ohne sich umzublicken, öffnete er sein Gartentor und marschierte mit schnellen Schritten auf die Haustür zu. Seufzend ließ ich mich in den Ledersitz sinken und schloss kurz die Augen. Wir hatten uns in all den Jahren noch nie so gestritten. Vierzehn Jahre nichts und jetzt so was, wegen gar nichts ... Kopfschüttelnd startete ich das Auto und machte mich auf den Weg ins Heaven. Die ganze gute Stimmung im Arsch...

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt