„Findest du? Derweil sind wir doch erst seit gestern zusammen ..." Hallte der gesagte Satz, im darauffolgendem Schweigen, nach und ich hätte am liebsten meine Stirn an die nächste Wand geknallt. Dieser Kerl ... Der konnte doch nicht einfach so vor seiner Mama stehen und ihr solch Tatsachen, so unverblümt, vor die Füße werfen.
Aber wie es im Leben nun mal war, konnte Lu das tatsächlich genauso machen. Ich unterdrückte das Gefühl, panisch den Raum zu verlassen. Stand stattdessen betreten da und musste unwillkürlich einige Jahre zurückdenken.
Ich war grade mal dreizehn und mit meinen Eltern im Urlaub. Kuba, Cayo Levisa. Weiße Strände, türkisblaues Meer und wunderschöne Korallenriffe. Schöner könnte es ja eigentlich gar nicht mehr sein und doch lag ich nur genervt am Strand und blätterte immer noch wütend in meinem Buch.
Eigentlich hätte ich alleine zuhause bleiben wollen, schließlich war ich erwachsen genug und doch hatten sich meine Eltern, wie eigentlich immer, über meinen Kopf hinweg gesetzt und mich hierher, in dieses Paradies, geschleppt. Hätten sie damals geahnt, was passieren würde, hätte sie mich wohl mit Kusshand daheim gelassen und so kam es, wie es kommen musste. Ich lag also, immer noch mit eisiger Laune am Strand und versuchte mich weit weg von meinen Eltern zu wünschen, da kam er. In meinen damaligen Augen ein Gott. Groß, braungebrannt, durchtrainiert und mich mit einem Cocktail in der Hand schief angrinsend. Bis dato hatte ich mich wenig für Mädchen interessiert und dieser junge Gott von einem Barjungen, hatte mir das Interesse endgültig verdorben.
Mein Leben bestand ausdrücklich aus lernen, lernen und lernen, sowie langweiligen Nachmittagsveranstaltungen wie Klavier spielen, Golfen und Schach. Schließlich sollte aus mir ein ansehnlicher Mann werden, bei dem die Gesellschaft blass vor Neid wurde. So zumindest der Plan meiner Eltern. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass unser Verhältnis nicht gerade das Beste war, aber in diesem Urlaub geriet es an einen Tiefpunkt, von dem es sich bis heute nicht erholt hatte. Sie waren reich, eingebildet und egozentrisch und egal, was ich auch tat, es war in ihren Augen nie genug.
Sie machten mich wahnsinnig mit ihren Vorstellungen und ihren Erwartungen, in einer Welt, von der ich nichts wissen wollte. Auch wenn es mir heute hin und wieder wehtat, an unsere nicht vorhandene Beziehung zu denken. War ich dennoch die meiste Zeit froh darüber, dieser Hölle entkommen zu sein. Wobei ich es zu schade fand, dass ich nicht das Gesicht meines Vaters gesehen hatte, als er die Artikel über das Heaven gelesen hatte. Aber ich schweifte ab.
Ich lag also auf dieser Liege. Sah hoch und verknallte mich zum ersten Mal in meinem Leben und das auch noch in einen Kerl.
Wie dieser mich von oben herab musterte, mit diesen dunklen Augen und diesem verdammten Grinsen auf den Lippen. Da wurde mir heute noch ganz anders. Und was machte man als Dreizehnjähriger, wenn vor einem ein scheinbarer Gott vom Olymp hinabstieg und einen auf diese verbotene Art und Weise ansah? Ganz genau! Man blamiert sich. Denn, immer noch mit offenstehendem Mund und mittlerweile sabbernd, griff man nach dem, natürlich alkoholfreien Cocktail. Berührte dabei aus Versehen die Finger dieses Gottes, erschrak über die Gänsehaut, die einen überzog, sowie die tolle Latte, die sich nun unkontrolliert und fröhlich in der hautengen Badehose regte und sich natürlich sehr gut durch den enganliegenden Stoff abzeichnete. Ließ das Glas fallen, sprang aus dem Sessel und rannte mit hochrotem Kopf, um sein Leben. Um sich kurze Zeit später, in seinem Hotelzimmer zu verkriechen. Mir war noch nie im Leben etwas so peinlich gewesen. Selbst wenn ich heute zurückdachte, war das wirklich der peinlichste Augenblick in meinem bisherigen Leben. Ab da versuchte ich es, den Kerl zu meiden, was mir sogar außerordentlich gut gelang. Den Mister Adonis schien vom Erdboden verschluckt worden zu sein. So gingen einige Tage ins Land und ich hatte schon die Vermutung, zu lange in der Sonne gelegen und mir diese ganze Situation eingebildet zu haben. Das machte mich nachlässig.
So saß ich nichts ahnend am Strand, es fing bereits an zu dämmern, und genoss die Stille. Die meisten Gäste waren bereits beim Abendessen. Ich hatte nur Glück, dass meine Erzeuger noch nicht von ihrem Schnorchelausflug, in den Korallen, zurück waren, sonst wären wir natürlich ebenfalls im Hotel. Gott bewahre, dass man nicht zeitig das Abendessen zu sich nahm ... So vor mich hinträumend sah ich also aufs Meer hinaus und fantasierte von diesem unendlich heißen Kerl.
„¿Cómo andas?", riss mich eine raue Stimme aus meinen Träumereien, worauf ich erschrocken herum fuhr. Da hatte sich tatsächlich, von jetzt auf gleich, mein verlorener Gott materialisiert. Ich konnte ihn nur noch sprachlos anstarren. Grinsend ließ er sich vor mir in den Sand fallen. „Na, alles klar bei dir?", fragte er mich in seinem kubanischen Spanisch, was ich dank meiner erzwungener Sprachkurse, sogar halbwegs verstand. Für irgendetwas konnten Eltern scheinbar doch gut sein. Leider halfen sie einem nicht dabei, seine Sprache wieder zu finden und sie auch zu benutzen. So starrte ich ihn weiterhin schmachtend an. „Du bist ja süß!" Grinsend verstrubbelte er mir die Locken, bevor er mir die Hand hinhielt. „Ich bin Javier und du bist Sandro, nicht wahr?" Überrascht darüber, dass er wusste, wie ich hieß, konnte ich nur noch nicken. Lachend zog er die immer noch ausgestreckte Hand, die mein vernebeltes Gehirn nicht überrissen hatte zu nehmen, zurück. „Bist du immer so ..." Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen und fuhr sich dabei durch seine vom Wind zerzausten, dunklen Haare. „... Sooo still?" Legte seinen Kopf schief und beäugte mich wieder mit diesem schelmischen, schiefen Grinsen. Jetzt war ich komplett hin und weg. Mein Hirn endgültig Brei. „Schätze schon ...", beantwortete er sich seine eigene Frage, als von mir immer noch keine Antwort kam. Verlegen kratze ich mich am Kopf und versuchte zurück zu grinsen. „Soo süß ...", schmunzelnd beugte er sich nach vorne und bevor ich die Situation richtig einschätzen, beziehungsweise überhaupt irgendetwas realisieren konnte, zog er mich an meinem T-Shirt heran und gleich darauf spürte ich schon seine Lippen auf den Meinen.
„Oh mein Gott ...", ertönte von irgendwoher die Stimme meiner Mutter. Wie treffend, denn das waren genau die Worte, die auch durch meinen Kopf geschossen sind. Wer hätte schon gedacht, dass sie und ich einmal der gleichen Ansicht wären.
Javier löste sich augenblicklich von mir, sprang auf und lief davon. Ich konnte ihm nur noch perplex hinterherschauen. Dieser Gott, hatte mich geküsst. Ich wurde zum ersten Mal geküsst und es hatte sich so unendlich gut angefühlt. Ich wollte mehr, mehr von seinen Küssen, mehr von ihm.. „Sag mal, spinnst du!" Meine Mutter packte mich am Arm und zog mich ruppig in die Höhe. Die hatte ich bereits wieder vergessen gehabt. Eigentlich hätte es mir peinlich sein sollen, oder zumindest hätte es mir was ausmachen sollen, dass sie mich mit Javier erwischt hatte. Aber da war nichts, außer diesem unendlich schönen Gefühl in mir, diesen tausend Schmetterlingen, die sich vor Freude überschlugen.
„Was ist hier los?", ertönte da auch schon die Stimme meines Vaters. „Ricardo, Ricardo ...", rief meine Mutter verzweifelt. „Er hat ... er hat ...", stotterte sie aufgelöst weiter und tat mir fast leid. Ich hingegen konnte die Situation immer noch nicht begreifen. Alles wirkte, als würde ich eine Sitcom anschauen, als würde das Ganze gar nicht mit mir passieren. „Was Stella?", unterbrach mein Vater barsch ihren Hysterie Anfall. Augenblicklich hörte meine Mutter auf, straffte ihre Schultern und zeigte angewidert mit dem Finger auf mich. „Er hat einen Mann geküsst ..."
Es herrschte Schweigen. Mein Vater vor Entsetzten und ich weil ich nicht so wirklich wusste, was ich darauf sagen sollte. Ich hatte einen anderen Mann geküsst. Oder besser, ein anderer Mann hat mich geküsst ... Ich war schwul... War ich schwul? Zum ersten Mal realisierte ich tatsächlich, dass es sich bei Javier um einen Kerl handelte. Ich war so von ihm eingenommen, von seiner Schönheit, dass ich die Tatsache, dass er das gleiche Geschlecht hatte, einfach ignoriert hatte.
Für das mein Gehirn zuvor eine Pause eingelegt hatte, ratterte es jetzt dafür umso mehr. Folgendermaßen war ich so mit mir selbst beschäftigt, dass ich die Hand, die mit rasender Geschwindigkeit auf mich, oder besser gesagt auf meine Wange niedersauste, nicht bemerkte. Erst als der Schmerz sich in meiner Backe ausbreitete, riss ich die Augen auf und sah direkt in das hasserfühlte Gesicht meines Vaters, bevor dieser meine Mutter am Handgelenk packte und von mir wegzog. Ohne ein Wort gingen beide davon und ließen mich am Strand zurück. Ich war abgeschrieben. Nun war ich tatsächlich der missratene Sohn.
Zwei Tage später ging der Flug zurück nach Italien. Meine Eltern hatten nur das mindeste mit mir gesprochen. Javier hatte ich überhaupt nicht mehr gesehen. Kaum, dass wir zuhause ankamen, eröffneten mir meine lieben Eltern, ich würde nach den Ferien nicht wie gehabt in meine alte Schule gehen, sondern auf ein Internat in Deutschland. Das war es dann auch schon. Ich hatte mich geoutet, bevor ich selbst überhaupt wusste, was Sache war. Und seit diesem Abend war ich für meine Eltern gestorben. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass Lu nicht das gleiche Schicksal erlitt.
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Blue eyes (Cupcakes 2)
Roman d'amourSandro & Lu - Stell dir vor, du bist 27 Jahre alt, stehst mit beiden Beinen im Leben, du hast tolle Freunde, einen tollen Job, deinen Spaß, die Frauen stehen Schlange und auf einmal ... Zweifel ... Nein ... anders ... stell dir vor, dein bester Freu...