Sandro - aus und vorbei

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„Was?", brüllte ich entsetzt in mein Handy. Ich konnte Marc, den Kopf meiner Security Leute, regelrecht zusammenzucken sehen. Es war nicht gerade üblich, dass ich meine Stimme erhob.
„Ich dachte, Sie würden das wissen wollen!", rechtfertigte er sich. Wollte ich das überhaupt wissen? Ja und nein schoss es gleichzeitig durch meinen Kopf, da konnten sich wohl Kopf und Herz nicht einigen. Wer konnte es ihnen verübeln? Immer noch total geschockt setzte ich mich auf das Sofa und schloss die Augen. Das war eine Tatsache, mit der ich nicht umgehen konnte, nie im Leben damit gerechnet hatte. Es lag schlicht und ergreifend außerhalb meiner Vorstellungskraft.
„Chef?", erklang es an meinem Ohr. Ach ja, Marc war ja noch in der Leitung. Mich ganz in meinem Entsetzen suhlend, bedankte ich mich geistesabwesend und legte auf.

„Was ist los, Schatz?", schnurrte Sebastian an mein Ohr und begann meinen Hals hinauf zu küssen. Verwirrt und angewidert zuckte ich weg. „Du musst gehen!", fuhr ich Sebastian an, sprang auf und war bereits auf dem Weg zur Tür. „Ich melde mich wieder!"
Da war ich auch schon im Flur und drückte den Knopf des Aufzuges. Ich musste das mit eigenen Augen sehen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Bestimmt handelte es sich um eine Verwechslung.

„Was soll der Scheiß! Erst bestellst du mich her und dann schickst du mich weg?", wurde ich von hinten angebrüllt. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit. Ich musste runter. Ich musste ihn sehen. Es mit eigenen Augen sehen.

„Es geht grad nicht!", presste ich wütend durch die Zähne. Ich sollte meinen Frust und meine Wut nicht an Sebastian auslassen, er konnte nun wirklich nichts dafür.

„Hallo? Geht's noch? Ich kann jeden haben! Ist dir das klar?", schrie er mich weiter an. Dabei verfärbten sich seine Wangen rot und Spuckepartikel flogen durch die Luft. Was zum Geier fand ich bloß an dem Typen? „Na, dann such dir am Besten, ganz schnell jemanden Anderen!", schrie ich ebenso wütend zurück. Ich hatte grad keine Zeit auf so eine Kindergartenscheiße.

Der Dong des Fahrstuhls erklang und ich fuhr nach unten, den entsetzten Gesichtsausdruck von Sebastian einfach ignorierend. Ein vages Gefühl sagte mir, das ich ihn wohl grade zum letzten Mal gesehen hatte. Und doch juckte mich diese Tatsache keines Wegs.

Mit jeder Sekunde und jedem Meter den der Lift zurücklegte, steigerte sich die Nervosität in meinem Magen. Was würde ich sehen? Wie würde ich reagieren? Und vor allem, was hatte das jetzt auf einmal zu bedeuten? Viel zu schnell erreichte ich das Heaven und ging ohne Umwege auf den Darkroom zu. Mit jedem Schritt kroch die Angst, was mich darin erwarten würde, tiefer in meine Glieder. Lähmte mich, verlangsamte meinen Gang. Aber ich konnte nicht stehen bleiben, ich musste das mit meinen eigenen Augen sehen. Sonst würde ich es nie glauben können.

Ich bahnte mich gerade durch die Menge, als Luigi den Darkroom verließ. Sich den Gürtel richtend trat er ins Licht, gefolgt von einem niedlichen Twink, mit dem ich, wenn ich mich nicht ganz irrte, selbst schon das Vergnügen hatte. Mein Magen rebellierte und ich musste mich zusammenreisen, um Lu nicht auf der Stelle auf seine teuren, italienischen Designer Schuhe zu kotzen.

„Sandro?", stieß er überrascht aus und fuhr sich verlegen durch die Haare. „Was machst du denn hier?", fügte er etwas verunsichert hinzu. Ich konnte ihn nur schweigend anstarren. Luigi, mein Lu! Der hetero Lu, der gewiss nicht schwul war, kam frisch gevögelt mit einem Kerl aus dem Darkroom ...

„Luigi ... kommst du ...!", sprach der Twink ihn an und zupfte an seinem Shirt. „Verpiss dich, Kleiner!", knurrte ich ihm, mit wütendem Gesichtsausdruck, zu. Verstört sah er von mir zu Lu und suchte, da Lu nicht auf ihn reagierte, anschließend das Weite. Gut für ihn, im Moment konnte ich mich nicht recht entscheiden, wem ich lieber eine verpasst hätte.

„Ich dachte, du bist oben ... mit Sebastian ..." „Und da dachstest du, du nutzt die Zeit, um dich hier vögeln zu lassen? Hier in meinem Heaven!!!!", unterbrach ich ihn wütend. Sämtliche umstehende Kerle in der näheren Umgebung glotzen uns sensationslüstern an. „So war das ...", begann Lu und griff nach meinem Arm. „Fass mich nicht an!", zischte ich, ihm ruckartig meinen Arm entziehend. Drehte mich auf dem Absatz um und hastete davon. Es war tatsächlich wahr ... Marc hatte sich nicht getäuscht, als er anrief und meinte, irgendein Kerl zog gerade Luigi mit in den Darkroom. Ich konnte es ja nicht einfach dabei belassen und ihm glauben, nein, ich musste es mit eigenen Augen sehen. Das hatte ich nun davon!

All die Jahre hatte ich gehofft, hatte mich zurückgehalten, wollte unsere beschissene Freundschaft nicht aufs Spiel setzten, und was machte dieser Wichser? Er fickte einfach mit einem Anderen und das vor meiner Nase? Ging es noch? Der Schmerz in meiner Brust wurde immer stärker und ich rang nach Luft. Meine Schritte wurden automatisch schneller, der Aufzug somit gleich erreicht.

„Bitte Sandro, bleib stehen!", ertönte hinter mir seine Stimme. Ich wollte sie nicht hören. Weder seine Stimme, noch seine Worte. Alles fraß sich in mein Inneres. Biss tiefer und tiefer hinein, um mich in zwei zu reißen.

Beim Aufzug angekommen, drückte ich immer wieder auf den Knopf, als würde ihn das dazu verleiten, das Erdgeschoss schneller zu erreichen. Das Gefühl hier verschwinden zu müssen wurde immer stärker, es fühlte sich an, als würde mir der Teufel im Nacken sitzen.

„Sandro!", flehte er flüsternd. Meine Knie wurden weich, mein Herz raste mir schon längst davon, nicht mehr viel und ich würde zusammenbrechen. Wieso konnte dieser verdammte Aufzug nicht schneller kommen? „Lass mich doch bitte erklären.", bat er weiter. Ich umklammerte meine Arme, obwohl mich diese Geste nicht wirklich vor ihm schützen konnte und doch gab sie mir etwas Sicherheit. „Ich habe genug gesehen!", presste ich hervor.

„Küss mich ..."

Entsetzt fuhr ich herum. Es war nur ein Flüstern und doch drang jedes seiner Worte wie spitze Stacheln in mein Herz, zerstachen, zerstörten es. Und er stand vor mir und blickte mir unschuldig direkt ins Gesicht. Seine schönen, braunen Augen viel zu weit aufgerissen, als stünde er ebenfalls unter Schock.

„Was?", ungläubig starrte ich ihn an. Hinter mir ertönte die Glocke des Fahrstuhls, er schien ein Faible für Dramen zu haben. „Ich ... ich würde gerne wissen ... ob ... ob es mit dir ... anders wäre ...", druckste er herum. „Anders als mit wem?", fauchte ich ihn an, obwohl mir die Antwort nur zu bewusst war. „Als ... als ...", stotterte Lu herum. „Spuck es schon aus, Lu! Als mit den anderen Kerlen, wolltest du doch sagen!", fuhr ich aufgebracht dazwischen. „Weißt du was ... Du hast mich schon geküsst!", machte ich in meiner Wut und Verzweiflung weiter.

„Ja ich weiß ... aber ..."

Es dauerte nur Sekunden bis diese drei Worte in meinem Schädel explodierten ... „Du weiß noch von dem Kuss? Du hattest keinen Black out?", mit offenem Mund sah ich ihn schockiert an. Das wurde ja immer besser hier. Hatte er sich tatsächlich am nächsten Morgen verpisst? Mit vollem Bewusstsein? Und mich in einem Trümmerhaufen zerplatzter Träume sitzen lassen? So gefühlskalt und egoistisch konnte er doch gar nicht sein.

Schweigend stand er vor mir und knetete nervös seine Finger.

„Hattest du einen Black out?", wollte ich erneut wissen. Drücken konnte er sich heute nicht mehr. Ich wollte die volle Wahrheit und verdammt noch mal ich verdiente sie auch. „Nein ..." Wie von einem Schlag getroffen, taumelte ich nach hinten und lehnte mich stützend an die Wand. All die Mauern, all die Stärke, die ich über die Jahre aufgebaut hatte, klappte in sich zusammen. Heiße Tränen schossen mir in die Augen.

„Warum tust du mir so weh?", entkam es fast tonlos über meinen Lippen. Trauer, Schmerz und Wut kämpften in meinem Inneren um die Vorherrschaft. „Bitte ... Sandro!", flehte Lu. „Bitte ... es tut mir leid!"
Es tat ihm leid? Das ich nicht lachte! Seit 14 Jahren trampelte er auf meinen Gefühlen herum und bildete sich jetzt ein, mit einem ‚Es tut mir leid!' wäre alles wieder Wölkchen. Die Wut gewann eindeutig die Oberhand und ließ mich kurz das schwarze Loch vergessen, ihn das ich kopfüber gefallen war.

„VER ... PISS ... DICH!!!", zischte ich blindwütig jede Silbe einzeln. „Verpiss dich aus meinem Leben! Ich will dich NIE, NIE wieder sehen!"

Wandte mich um und betrat den Aufzug. Mit ihm war ich fertig. Es war genug. Er hatte mich lange genug für blöd verkauft! Damit war jetzt Schluss, ein für alle Mal. Ich brauchte ihn nicht!

Um auf den Schalter mit dem Stockwerk zu drücken, musste ich mich ihm wieder zuwenden. Kurz streifte ihn mein Blick, auch wenn ich es mir innerlich eigentlich verboten hatte..

Mit hängendem Kopf und hängenden Schultern stand er da und ballte die Fäuste. Mein Herz machte einen Hüpfer und alles in mir schrie nach ihm. Die Türen schlossen sich und versperrten jeden weiteren Blick auf ihn. Verbannten ihn aus meinem Blick, aus meinem Leben. Ohne ihn hatte ich keinen Grund mehr schwach zu sein.

Gedankenverloren griff ich in die Tasche und holte mein Handy hervor. Es hatte wirklich was Gutes, Marc auf der Kurzwahl zu haben. „Tu mir einen Gefallen! Leg die Drecksau für mich um!", knurrte ich in den Hörer und legte auf.

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt