Sandro - Aussprache

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Das Nerv tötende Läuteten an meiner Tür, riss mich aus meinem wohlverdienten Schlaf. Der war die letzten Tage sowieso nicht besonders und jetzt, da ich grade erst richtig weggedämmert war, misshandelte jemand förmlich meine Klingel und läutete Sturm. Das Leben war ungerecht!
Und wieder dieser nervige Ton, der jetzt die ersten Kopfschmerzen bei mir auslöste. Frustriert warf ich die Decke zur Seite und schwang meine Beine aus dem Bett. Egal um wen es sich bei diesem Arschloch handelte, der würde die Predigt seines Daseins erleben.

Nur kurz kam mir der Gedanke, es konnte sich vielleicht um Luigi handeln... da diese Tatsache aber sichtlich unrealistisch war, verwarf ich sie schnell wieder. Nur in der Schlafanzugshose bekleidet schlürfte ich gähnend auf die Tür zu. Mein Kopf dröhnte immer mehr und die Glocke zeigte kein Erbarmen, fröhlich läutete sie weiter vor sich hin.

„Ja?", schnauzte ich in die Gegensprechanlage, nach dem ich auf das Knöpfchen gedrückt hatte. „Mach, verdammt nochmal, auf!", wurde ich genauso liebevoll angeschnauzt. Na das würde ja ein toller Start in den Tag werden. Ich drückte auf den Summer und lehnte die Tür an, verschwand im Bad und holte mir ein Aspirin. Das würde ich dringend brachen. Ich konnte schließlich nicht schon, mein Blick streifte dir Uhr, großer Gott, es war erst kurz vor sieben, um diese Uhrzeit meine Probleme in Alkohol ertränken.

„Sandro!", hallte mein Name schneidend durch die Wohnung. Mit den Tabletten in der Hand verließ ich das Bad und wagte mich in die Höhle des Löwen. Alex stand wutentbrannt und mit verschränkten Armen im Wohnzimmer und ließ nun nicht gerade wohlwollend seinen Blick über mich gleiten. „Gib mir eine Minute!", seufzte ich niedergeschlagen und holte mir ein Glas Wasser aus der Küche. „Ist er hier?", rief er mir nicht mehr gar so wütend nach. „Wer?" Mit meiner zischenden Medizin betrat ich wieder das Wohnzimmer. Alex hatte es sich auf dem Sessel bequem gemacht, der würde also nicht so bald verschwinden. „Na, wer wohl! Stell dich nicht dümmer, als du bist!", schnauzte er mich erneut an. Irgendwas sagte mir, dass Aspirin für diese Unterhaltung nicht ausreichen würde, vielleicht hätte ich sie doch in Wodka auflösen sollen.

Ich führte mein Glas an die Lippen und trank das widerliche Zeug auf ex. „Also?", drängte Alex ungeduldig, nachdem er mich beim Trinken beobachtet hatte. „Wenn du Lu meinst ... nein... wie du siehst, ist er nicht hier! Aber du kannst gerne noch in den Schränken und unterm Bett nachsehen! Wenn es nach mir ginge, könnte er auch am Grund eines Sees liegen und Fischfutter spielen." Allein seine arrogante und selbstgefällige Haltung, wie er im Sessel saß und dennoch missbilligend auf mich herabsah, brachte mein Blut zum Kochen. Schon von unserer ersten Begegnung an, fühlte ich mich in seiner Gegenwart sichtlich unwohl. Neben seiner selbstbewussten und dominanten Ausstrahlung kam ich mir noch kleiner und schmächtiger vor. All die Jahre hatte er mich von oben herab betrachtet, mich in ihrem Dreier Gespann gerade mal toleriert. Jedes Mal, wenn sein Blick mich streifte, fühlte ich mich wie der kleine, ängstliche Junge, der ich schon längst nicht mehr war.

„Er war seit gestern auch nicht mehr hier?", wollte er nun nicht mehr so beißend wissen. Ich schüttelte den Kopf und sah ihm dabei zu, wie er sich niedergeschlagen durch die Haare fuhr. Der große Alex, der Fels in der Brandung, schwankte. Ein seltener Anblick, denn ich durchaus zu genießen wusste. Ja, es war falsch und doch eine Genugtuung. Endlich war er mal, und wenn nur für Sekunden, schwächer als ich. „Er ist weg ... er hatte bei uns übernachtet nach eurem Streit. Als wir am nächsten Morgen ins Wohnzimmer kamen, waren das Sofa leer und Luigi verschwunden. Ich ließ ihm bis abends Zeit, dann fuhr ich zu ihm ... seine Wohnung leer, seine Ninja weg ... heute Morgen hab ich ihn im Büro angerufen ... er hat sich freigenommen." Müde fuhr er sich über die Augen, schien sich wirkliche Sorgen um seinen Freund zu machen. Ein schlechtes Gewissen überkam mich, wegen meiner Genugtuung. „Nein ... tut mir leid. Ich hab ihn seit unserer Auseinandersetzung weder gesehen, noch was von ihm gehört."
Alex sah auf, holte tief Luft und starrte mich einige Sekunden an, bevor er loslegte. „Ich bin nicht ganz unschuldig, was euren Streit angeht.", sprudelten die Wörter, mit der entweichenden Luft, aus ihm heraus. „Wie kommt's?" Dabei schoss eine meiner Augenbrauen in die Höhe und ich sah ihn skeptisch an. Lu würde doch jetzt nicht  Alex vorschicken, um mich weich zu klopfen ... nein ... das war wirklich nicht denkbar. Nicht Alex. „Also ... wir hatten da so ein Gespräch ...", er unterbrach sich selbst und sah mich ziemlich zerknirscht an. „Bevor du jetzt dann ausflippst, Elias hat mir schon gehörig den Kopf gewaschen! Also bei diesem Gespräch ging es darum, das Luigi nicht wusste, ob er nun schwul wäre, oder, ob er nur scharf auf dich sei ... da hab ich halt ..." unsicher fuhr er sich durch die Haare. „Da hab ich ihm geraten, es einfach mal mit einem anderen Kerl auszuprobieren ..." „Du hast ihm also geraten, sich in meinem Club einen Kerl auf zu reisen?", fragte ich explizit noch mal nach, denn so viel Dummheit hätte ich Alex jetzt wirklich nicht zugetraut. „Nee ... das er es im Heaven und somit vor deiner Nase gemacht hat, das ist allein auf seinem Mist gewachsen!" Dabei hob er abwehrend die Hände. „Weißt du, was ich glaube?"
„Nein, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen?", stellte ich einfach mal eine Vermutung auf. „Ich glaube, er wollte, das du ihn erwischst. Obwohl er so viel Angst vor der Veränderung hatte, wollte er doch, dass irgendwas passiert. Sicher nicht eine seiner besten Ideen ... und doch hat es endlich alles ins Rollen gebracht ..." schweigend hörte ich ihm zu und spielte abwesend mit meinem Wasserglas. Es war sogar mit Sicherheit Absicht gewesen, vor meinen Augen mit einem anderen zu vögeln, nur war ich mir ziemlich sicher, dass er mir damit eines reinwürgen wollte. Vielleicht sogar aus Eifersucht auf Sebastian, wer wusste das schon.
„Willst du wirklich eure Beziehung wegwerfen?", riss er mich aus meinen Überlegungen. Lachhaft. Was dieser Alex für Vorstellungen hatte. „Welche Beziehung denn bitteschön?", beantwortete ich seine Frage mit einer Gegenfrage. „Also bitte, seit Jahren, verbringt ihr jeden Tag miteinander und wenn das einmal nicht klappt, dann telefoniert ihr. Ihr feiert sämtliche Feste zusammen, er übernachtet ständig bei dir. Ihr macht alles miteinander, ihr redet über alles. Das Einzige was fehlt, ist der Sex und da Luigi jetzt scheinbar doch über seinen Schatten gesprungen ist und einsieht auch körperlich scharf auf dich zu sein, steht dem auch nichts mehr im Wege. Wo liegt also das Problem?" Wollte der gute Alex aufgebracht, nach seiner Triade, wissen. „Emm ...", immer wieder ließ ich seine Worte durch meinen Kopf kreisen. Er hatte recht und unrecht zugleich. Zumindest konnte ich nicht zugeben, dass er Recht hatte. „Das machen Freunde so ... ihr habt genauso Kontakt und so weiter!" „Ihhhjaaa ... also rumgeknutscht hab ich mit Sicherheit nicht mit ihm, selbst im Vollsuff, da liegt wohl das ganze Privileg bei dir." „Du weißt auch davon? Wie toll!, meine Stimme trief förmlich vor Sarkasmus. „Wie lange schon?" Wieder wirkte er zerknirscht, ja großer Alex, da bist du wohl volle Kanne ins nächste Fettnäpfchen gesprungen.
„Ihr seid also alle hier rumgestanden und habt euch darüber amüsiert, dass der dumme Sandro wieder einmal keine Ahnung hat?" Obwohl ich bei meiner Stimmlage darauf Wert gelegt hatte, so zu klingen, als würde ich keine Widerworte dulden, ließ sich Alex nicht abschrecken. „Nein ... Sandro nein, das ist nicht wahr! Ich alleine wusste es und ich habe Luigi zu verstehen gegeben, dass ich dieses Verhalten missbillige! Es war nicht richtig von ihm, dass ..."
„Ich brauche dein Mitleid nicht!", fuhr ich dazwischen. Wieso war er überhaupt noch da? Er wollte doch nur wissen, ob Lu da war. Jetzt konnte er sich doch getrost schleichen. „Das hat doch nichts mit Mitleid zutun!", völlig überrascht sah er mich an. „Was willst du dann hier? Du kannst mich doch nicht Mal leiden!"

Wieder dieser betretene Gesichtsausdruck, ab und an konnte er wirklich dämlich schauen. Ich sollte ihn endlich vor die Tür setzten und mir einen Kaffee besorgen. Das blöde Aspirin hielt auch nicht das, was die Werbung so farbenfroh versprach. Sollte es ein nächstes Mal geben, sollte ich wohl die Wodka-Variante testen.
„Wer sagt denn, das ich dich nicht leiden kann?" Na super Alex, was soll jetzt diese blöde Frage! Spul doch einfach die letzten 15 Jahre zurück und beantworte dir, der einfachheitshalber, deine Frage selbst. Dachte ich mir, geantwortet hatte ich bloß mit einem „Ich". „So würde ich das jetzt nicht sagen ...", druckste er nun herum, sich sichtlich unwohlfühlend. „Wie dann?" Mir war durch aus bewusst, dass ich ihn etwas vorführte. Aber etwas Rache, nach all den Jahren, war durch aus im Rahmen. „Ich kann dich einfach nicht verstehen ... deine Handlungen nachvollziehen ..." „Ah ja ... und die wären?" Meine rechte Augenbraue schoss in die Höhe und ich musterte ihn fragend. „Na ja, weißt du ...", stammelte er vor sich hin, bevor er sich fing. „Als wir dich damals, an diesem Abend, kennengelernt hatten, da hast du Lu angesehen, als hätte ihn der Himmel geschickt und seit jenem Sommertag, hat sich dein Ausdruck nicht verändert! Für mich ist es einfach nicht nachvollziehbar, wieso ein Mensch so lange Zeit seine Liebe verschweigt und sie dann letzten Endes wegschmeißt." Endete er und war wieder bei „Sandro du machst einen Fehler, geh zu Lu zurück" angelangt. „Aha ... was hätte ich denn machen sollen? Hätte ich ihn angebaggert, wären wir die letzten Jahre gewiss keine Freunde gewesen ... ich wollte nicht riskieren ihn zu verlieren. Kannst du das nicht verstehen?" Gegen Ende zitterte meine Stimme etwas. Wieder Schwäche ... zuerst gegenüber Lu, jetzt gegenüber Alex, ich sollte dringend über ein Dasein als Eremit nachdenken. Schwäche zeigen, Schwäche eingestehen, war immer noch ein Problem für mich. Damit kam ich einfach nicht klar, auch all die Jahre später nicht. „Gut.", gab Alex nach. „Das versteh ich sogar. Zwar erst seit ich Elias kenne, aber ja. Ich würde ihn auch in meinem Leben haben wollen, egal zu welchem Preis. Aber jetzt ist doch genau das eingetroffen, was du dir immer gewünscht ..."
„Nein ...",fiel ich ihm lautstark ins Wort. Sprang von meinem Patz auf dem Sofa auf und lief im Zimmer umher. „Wie kommst du nur darauf, ich hätte jahrelang davon geträumt, das mich meine Liebe des Lebens, verarscht, belügt und betrügt? Und jetzt soll ich deiner Meinung nach, dankbar sein?!", meine Stimme wurde immer lauter, meine Hände zitterten und ich schloss sie zu Fäusten. „Das ..."
„Halt die Klappe Alex und las mich ausreden!", unterbrach ich ihn wütend. „Und jetzt soll ich dankbar sein, dass er es lieber mit Anderen treibt, als das er mir soweit vertrauen würde und zu mir kommen würde? Das sollen 15 Jahre meine Hoffnungen und Träume gewesen sein?", blindwütig blieb ich beim Fenster stehen und sah hinaus. Die Sonne ging gerade auf und ließ alles in einem weichen Licht erstrahlen. Diese Szene passte genauso gut zu meiner Gefühlslage, wie Atomwaffen zu Greenpeace. Alex schwieg. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben und das tat unendlich gut. Schön, dass dem Klugscheißer endlich die Worte ausgegangen waren. Jetzt musste er sich nur noch verpissen. Dann würde alles gut werden. Der Alltag würde einkehren und ich würde mein Leben leben, wie gehabt. „Er liebt dich!", begann Alex zu reden. Ich hatte mich scheinbar doch zu früh gefreut. Wieso konnte das Gute nicht einfach auf meiner Seite sein?
„Er hat gesagt, er lässt dich in Ruhe, weil er dich nicht verdient. Weil du jemand besseren verdienst!" Etwas in meinem Inneren begann zu wanken. Nein ... das durfte nicht sein. Ich hatte mir geschworen, dass ich es nicht zulasse, dass mir irgendjemand wieder wehtat. Erst recht nicht Lu! „Er wollte dir nie wieder wehtun, deswegen ist er gegangen, nicht weil du ihm nicht wichtig bist! Er ..."
„Geh ...", selbst in meinen Ohren klang ich schwach und verletzt.
„Wirf es nicht weg, Sandro!" Seine eindringliche Stimme traf nicht nur meine Ohren, sie traf mein Herz ...
„Geh!", schrie ich ihn an und unterdrückte grade noch den Reflex mir kindisch die Ohren zuzuhalten. Wortlos erhob er sich, ich hörte nur noch wie sich seine Schritte entfernten und kurz darauf die Tür ins Schloss fiel. Gut, er war endlich weg! Er hätte mich fast soweit gehabt. Fast wäre ich eingeknickt. Das durfte nicht passieren. Ohne Lu zu leben war die richtige Entscheidung, oder?

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt