Lu - home sweet home

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Diese peinliche Stille wurde langsam etwas ungemütlich. Ma beäugte mich mit ungläubigem Ausdruck und Sandro schien mit seinen Gedanken sonst wo zu sein. Aber hey, ich hatte mir nichts bei meiner Aussage gedacht. Jeder andere Zeitpunkt wäre genauso unpassend gewesen. Also durfte ich mich auch nicht beschweren. Nach einer Weile doch etwas beunruhigt wollte ich grade zum Sprechen ansetzten, da ergriff meine Mama Sandros Ellbogen, worauf dieser erschrocken zusammenfuhr. „Ist das wahr?" Ungläubig blinzelnd sah sie zu ihm hinauf. „Veräppelt er mich grade, oder hat er es tatsächlich, nach all den Jahren, begriffen?"

Mir fiel der Kinnladen herunter. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Mir hatte einfach die Zeit gefehlt, um mir solche Gedanken zu machen. Aber mit absoluter Sicherheit hatte ich nicht mit dieser Aussage gerechnet. Ich öffnete den Mund, suchte verzweifelt nach Worten, nur um ihn unverrichteter Dinge wieder zu schließen. „Hat dir deine Mutter nicht beigebracht zu antworten, wenn man dir eine Frage stellt?" Erbarmungslos boxte sie den bleich gewordenen Sandro in die Seite. „Emm ... ja ... natürlich!", stotterte mein Herzallerliebster verzweifelt und tat mir nur ein klein wenig leid. „Er veräppelt dich nicht." Setzte er noch schnell erklärend hinzu, führte es aber nicht weiter aus. „Oookay ...", kam er langgezogen von ihr. „Oookay?", wollte ich, meine Stimme endlich wieder gefunden, dieses ‚okay' doch bitte etwas genauer erörtert haben. „Nun setzt euch doch, der Kaffee wird kalt.", sprach sie, statt sich zu erklären, und setzte ich als erste an den Tisch.

Verzweifelt sah ich zu Sandro, der ebenso zurückblickte. „Setzten!" Durchbrach meine Mutter unseren Blickkontakt und wir folgten unverzüglich, synchron ihrem Befehl. Eine Arianna sollte man einfach nicht reizen.

Schweigend verteilte sie den Kaffee und die Kekse und wir schwiegen erwartungsvoll mit. „Mama ..." konnte ich die Stille nicht mehr ertragen. Sie hatte es gewusst? Hatten es alle gewusst und nur ich war der Blinde? Wieso hatte nie jemand auch nur ein Wort gesagt? „Hmmm ... cuore mio ..." Warmherzig blickte sie von ihrem Kaffee auf und lächelte mir aufmunternd zu.

„Du hast es gewusst?"
„Was tesoro mio, das du deinen besten Freund ein wenig zu sehr magst?" Spitzbübisch lächelte sie mich an. „Aha ...", ich fühlte mich grade echt wie in einem schlechten Film. Die ganze Situation wirkte mehr als surreal. Hatten sich sämtliche Mächte gegen mich verschworen und wollten mich ein klein wenig auf die Schippe nehmen? Seufzend ließ ich mich in die Lehne sinken und schloss kurz die Augen. „Wie lange schon?", wollte Mama wissen und ich behielt vorsichtshalber die Augen zu. „Dasselbe könnte ich dich auch Fragen ..." Ich wusste selbst, das ich wie ein bockiges Kind klang, aber das konnte doch wirklich nicht sein, all die Jahre und kein Mensch sagt auch nur ein Wort?

„No, no ...", sie beugte sich über den Tisch und strich mir zärtlich über den Arm. „Cuore mio, wieso dieses Gesicht? Du willst wissen, seit wann ich es geahnt hatte? Lass mich überlegen ..." Nun lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und strich nachdenklich eine Strähne aus ihrem Gesicht. „Ja, ja doch ... das erste Mal war es, als du Sandro das erste Mal mit heim gebracht hast und es nicht ertragen konntest, das deine Schwestern dir die ganze Show stahlen und er auf einmal nicht nur Augen für dich hatte. Und danach folgten sehr viele kleine Augenblicke. Da eine Geste, dort ein Blick ..."
„Wer wusste es noch?", fuhr ich sie härter an, als ich wollte. Hat mich meine ganze Familie jahrelang beobachtet und sich über ihren naiven, blinden Sohn lustig gemacht? Ich konnte nur hoffen, dass keine Wetten liefen. Aber weder Alex noch Michael waren hier, somit standen meine Karten gut. „Wissen ...? Oh, tesoro mio, ich wusste es ja nicht mit Sicherheit. Ich hatte es nur vermutet!" Doch das war nicht das, was ich hören wollte. „Wer noch?", meine Stimme nicht viel mehr als ein Zischen. Ich fühlte mich verraten, von meiner Mama, von meiner Familie und das tat verdammt nochmal weh. „Luigi ...", ertönte mein Name aus den Mündern meiner Ma und Sandro, worauf sie sich ansahen und lächeln mussten. Wie ein verschworenes Team. Nur ich, ich saß immer alleine auf meiner Ersatzbank und wartete darauf ins Spiel gepfiffen zu werden. Missgelaunt verschränkte ich die Arme vor der Brust und sah demonstrativ zur Seite. „Jetzt mach mal langsam, junger Mann!", fuhr mich Mama mit strengem Ton an. „Ich denke nicht, dass es sonst jemand mitbekommen hatte." „Aja ... warum dann du?", meine Stimme troff nur so vor Unglaube. „Weil ich immer noch deine Mutter bin und dich, seit deiner Geburt kenne vielleicht?", gereizt brauste auch ihre Stimme auf. „Was ist mit Papa?", ich gab es nicht auf, ich wollte diese Sache jetzt endgültig aus der Welt haben. „Da kann ich dir mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass er nicht den blassesten Schimmer davon hat! Und du wirst den Teufel tun und es ihm heute sagen!" Keine Widerworte duldend, schoss ihre Augenbraue in die Luft. „Was?", fragte ich perplex nach, es bestand immerhin die Möglichkeit, mich verhört zu haben. „Was genau verstehst du nicht, tesoro mio?" Ihre Laune schien immer noch auf dem kritischen Punkt rumzueiern, was nicht gut enden könnte für mich. Also versuchte ich mich an einem Lächeln und fragte erneut, wieso ich Papa nichts sagen dürfte. „Weil er aus allen Wolken fällt? Ich habe mich damit abgefunden, keine Enkel zu bekommen. Er träumt immer noch davon! Und mit deinem Feingefühl einer Dampfwalze wirst du im noch einen Herzinfarkt verpassen. Nein, nein ... wenn ihr weg seid, werde ich es ihm nach 3 bis 4 Flaschen guten Wein, ganz schonend beibringen." Müde fuhr sie sich durchs Gesicht und wirkte älter, als vor ein paar Minuten. Ich schien ihr wohl den letzten Nerv zu rauben. „Es tut mir leid, Mama ...", lenkte ich reumütig ein. Sie sollte wieder fröhlich sein und lächeln. Ich war gewiss nicht hierhergekommen, um sie nieder zu machen. „Also ... wie lange seid ihr tatsächlich schon zusammen?", wollte sie grinsend wissen, alles andere schien vergessen zu sein. Ja, so war sie, mit nichts aus der Bahn zu werfen. Ich sog die Luft ein und wollte gerade schnaubend antworten, da fiel mir Sandro in Wort. „Wirklich erst seit gestern, Arianna."

Er war nett, charmant und höfflich wie eh und je und sein Lächeln so zauberhaft, das ich nur mit den Augen rollen konnte. Meine Ma hingegen schmolz dahin. „Oh wie wunderbar, dann ist ja alles noch sehr frisch!", dabei klatschte sie fröhlich in die Hände. „Ja, das ist es.", erwiderte Sandro immer noch lächelnd. Ich hielt mich einfach aus der Unterhaltung raus, griff nach meiner Tasse und nippte an meinem lauwarmen Kaffee. Gänsehaut überzog meine Unterarme, lauwarmer Kaffee war einfach nur grausam. Tapfer nahm ich einen großen Schluck, um dem Elend bald ein Ende zu machen. „Wie war die erste Nacht? Oder lief da schon vorher was zwischen euch beiden?", frage Mama verschwörerisch. Ich verschluckte mich dermaßen an meinem Kaffee, dass ich nur noch hustend nach Luft schnappen konnte. Sandro erhob sich gelassen aus seinem Stuhl und klopfte mir leicht auf den Rücken. „Nein, es lief noch nichts zwischen uns.", erklärte er nicht im mindesten peinlich berührt meiner Ma. Wie konnte dieser Kerl nur so cool bleiben? Der diskutierte hier unser nicht vorhandenes Sexleben mit meiner Mutter, als würde es sich hierbei um das morgige Wetter handeln. „Ach so ... das ist ja langweilig!" Ma lehnte sich in ihren Stuhl zurück und genoss grinsend meinen immer noch anhaltenden Überlebenskampf.

„Geht's wieder?" Sandros besorge blauen Augen tauchten in meinem Gesichtsfeld auf und überdeckten den schadenfrohen Ausdruck in ihrem Gesicht. Dieses Biest machte das alles mit Absicht! Ich liebte meine Ma ... ich liebte meine Ma ... vor lauter mentaler Meditation hatte ich völlig das Husten vergessen. Na was soll's, es würde mir sicher nicht abgehen. „Alles okay?" Liebevoll strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht, um anschließend über meine Wange zu fahren. Von seinem Anblick hypnotisiert konnte ich nur noch zu ihm hinaufschauen. „Nun küsst euch doch schon!", kommentierte Ma erbarmungslos die Situation und ich verdrehte zum wiederholten Mal an diesem wunderbaren Nachmittag die Augen. „Auch wenn ich es nicht sehe, weiß ich das du deine Augen verdrehst, tesoro mio!", schallte da auch schon ihre Stimme an mein Ohr. Ich setzte gerade an, ihr zu erwidern, da verschloss Sandro meine Lippen mit einem kurzen, sanften Kuss. Meine Augen fielen zu und ich genoss diese kurze Berührung, die mir das Gefühl gab, ganz weit weg von allem zu sein. In einer schönen, einsamen Seifenblase. Nur mit ihm. „Das geht aber besser, da müsst ihr noch einiges an Übung reinstecken!" Wurde unsere Tat bemängelt, kaum, dass sich unsere Lippen trennten. Ich schlug die Augen auf und blickte in das grinsende Gesicht von Sandro. „Fahren?", wisperte ich fragend gegen seine Lippen. „Fahren...", bekam ich fast tonlos, dafür schelmisch grinsend zurück.

Also erhob ich mich, griff Sandro am Arm und zog ihn mit mir, das fragende Gesicht meiner Ma einfach ignorierend. „Was wird denn das?" Überrascht folgte sie uns zu der Eingangstür.

„Arrivederci, Mama! Wir fahren dann mal üben!", rief ich ihr über die Schultern, bevor ich die Tür aufriss und Sandro mit mir nach draußen zog. Lachend blieb sie in der Tür stehen und winkte uns einfach hinter her. Ja, das war meine Mama.

Wir setzten uns ins Auto und Sandro fuhr los. „Wohin?", wollte er wissen, als wir die Einfahrt passiert hatten. „Nach Hause ..." Müde ließ ich mich in den Sitz gleiten. Der Nachmittag bei meiner Ma hat mich fix und fertig gemacht. „Ist das jetzt bei dir oder bei mir?"

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt