Lu - la famiglia

317 48 18
                                    

„Luigi ...", ertönte der schrille Ausruf meiner Mama. Schon fiel sie mir strahlend um den Hals. Das Ganze hier war eine rein spontane Aktion. Absolut nicht durchdacht. Ich konnte seine Zweifel einfach nicht mehr mit ansehen. Wie er da saß und von seiner Angst erdrückt wurde.

Mir war bis jetzt nie aufgefallen, was er so alles mit sich herumschleppte. Über die Jahre war Sandro eigentlich immer selbstbewusster geworden und seit dem er das Heaven hatte, dachte ich mir eigentlich, er hätte mit all seinen schlechten Erfahrungen und Erlebnisse abgeschlossen. Das dem nicht so war, bekam ich jetzt zusehen. Schon fast panisch saß ich mit ihm im Sand und überlegte, wie ich ihm am besten helfen konnte. Ihn von mir überzeugen konnte. Ich würde ihn nicht verlassen. Nicht heute, nicht morgen!

Und da kam es mir, lag ja eigentlich auf der Hand. So packte ich ihn kurzerhand, bugsierte ihn in sein geliebtes Auto und fuhr die knappen 200 km zu meinen Eltern.

Nicht einmal kam mir bis jetzt der Gedanke, meine Eltern würden mich, für meine Entscheidung verurteilen. Ich war 28, ich war Erwachsen und führte seit vielen Jahren ein eigenständiges Leben. Sie würden es schon akzeptieren, schließlich war ich ihr Liebling. Und trotzdem überkam mich grade ein mulmiges Gefühl, als mich meine liebste Mama an ihre Brust drückte.

„Wieso hast du nicht Bescheid gegeben?", anklagend rückte sie ein Stück von mir ab und musterte mich von Kopf bis Fuß. Tränen glitzerten in ihren Augen und sie presste mich erneut an sich. Meine Mama war noch kleiner als ich, so dass ich sie um einige Zentimeter überragte. „Du siehst blass aus!", schon ergriff sie mein Kinn und nahm mein Gesicht unter die Lupe. „Und du hast Augenringe!" Ihren Adleraugen konnte nichts entgehen und doch wollte ich nicht hier zwischen Tür und Angel mit der Tür ins Haus fallen. „Maaamaaa ...", entkam es mir genervt und ich entzog ihr mein Kinn. „Mir geht es gut!", versicherte ich im nächsten Augenblick, weil Gewitterwolken in ihrem Gesicht Einzug nahmen. „Ich habe jemanden mit gebracht." Versuchte ich, von mir abzulenken. Augenblicklich sah meine Mama an mir vorbei und entdeckte Sandro. Kurz leuchtete ihr Gesicht auf, bevor es sich erneut zuzog. „Perbaccov!", schon stemmte sie ihre Hände in die Hüften und sah von Sandro zu mir und wieder zurück. „Mein Junge, du siehst ja noch schlimmer aus, als mein Sohn!" Ich sah über die Schultern in das bleiche Gesicht von Sandro. Der fühlte sich gerade nicht wirklich wohl in seiner Haut. Fast bereute ich meine spontane Aktion. Das hier fing gerade an, nach hinten los zugehen. Ich wollte ihm doch nur in ein herzliches, familiäres Umfeld locken und vergaß dabei ganz die überführsorgliche Art meine Ma. Aber da machte sie auch schon einen Satz nach vorne und drückte nun Sandro an sich. Sah sehr lustig aus, denn sie ging ihm gerade mal bis zur Brust. „Sandro" erneut drückte sie ihn an sich. „Dich haben wir ja noch länger nicht gesehen, wie diesen verlorenen Sohn da drüben." Ihr strafender Blick traf mich und das schlechte Gewissen nagte tatsächlich etwas an mir. Ich war das letzte Mal vor über einem Jahr hier gewesen. Irgendwie kam immer etwas dazwischen. Sandro hingegen war schon 3 Jahre nicht mehr hier gewesen. Seit er mit der Renovierung des Heavens anfing, hatte er mich aus Zeitmangel nicht mehr begleitet. Auch wenn sie ihn jetzt herzlich umarmte, sie hatte es ihm doch krummgenommen. „Arianna ...", hauchte Sandro fast tonlos ihren Namen und erwiderte ihre Umarmung. Trotz seiner großen und durchtrainierten Statur, sah er so haltlos und liebesbedürftig in den feinen, zarten Armen meiner Mama aus, dass mir mein Herz überging und ich ihn nur noch selbst in die Arme reißen wollte. Aber ich durfte ja nichts überstürzen. Auch wenn ich immer noch nicht das Gefühl hatte, meine Eltern würden uns nicht verstehen. Sollte ich es ihnen vielleicht trotzdem schonend beibringen.

„Wo ist Papa und die Mädchen?", fragte ich stattdessen. Wären meine zwei Schwestern hier gewesen, wären wir längst überrannt worden. Vor allem Sandro. Viola und Chiara waren Zwillingen, süße, unschuldige 16 Jahre alt und seit ich Sandro das erste Mal mit zu uns genommen hatte, unsterblich vernarrt in ihn. Früher hatte ich nur genervt mit den Augen gerollt, heute konnte ich die Beiden nur zu gut verstehen. Wie konnte man diesen Mann auch nicht lieben? „Hach, wo sind meine Manieren ... kommt doch erst einmal rein!" Nur widerwillig löste sie sich von Sandro und trat einen Schritt zurück. Eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares hatte sich gelöst und sie strich sie sich elegant hinters Ohr.

Seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie sich kaum verändert, sah mit ihren 54 Jahren immer noch jung und wunderschön aus.

Sie hielt uns die Tür auf und wir folgten ihr ins Innere des Hauses. Es roch nach Kaffee und Mandel, augenblicklich fing mein Magen an zu knurren. Das Frühstück lang eindeutig schon viel zu lange zurück.
„Tesoro mio, wann hast du das letzte Mal gegessen? Wenn ich dich so ansehe ..." Rügend traf mich ihr Blick, während ihre Hand auf meinem Arsch nieder sauste. „Der war eindeutig schon Knackiger!" „Aua ...", beschwerte ich mich und erntete seit langem wieder ein echtes Lachen von Sandro. Schon recht mein Freund ... aber du wirst bestimmt genauso dein Fett abbekommen. „Hattet ihr einen Hungerstreik geführt?" Vorwurfsvoll wanderte ihr Blick zwischen uns her. „Du hast ja auch nichts mehr dran!" Dabei zwickte sie Sandro in die Hüfte, der überrascht zur Seite wich. Das schadenfrohe Grinsen konnte und wollte ich mir nicht verkneifen.

„Papa und die Mädels?", erinnerte ich Ma an meine Frage, in der Hoffnung sie erneut von uns beiden abzulenken. „Die sind beim Wandern." Sie sah sich suchend um, bis ihr Blick an der Uhr hängen blieb. „Schätze in zwei, drei Stunden sind sie da! Kaffee?" „Hast du ...", weiter kam ich nicht, weil meine Mama natürlich meine Gedanken lesen konnte. „Natürlich hab ich gerade frische Cantuccini gemacht! Setzt euch in den Wintergarten, ich hole alles." Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da verschwand sie schon in der Küche. Ich nutzte die kurze Verschnaufpause, griff nach Sandro und zog ihn in eine Umarmung. „Danach war mir schon die ganze Zeit!", raunte ich ihm sehnsüchtig ins Ohr. Hauchte ihm einen kurzen Kuss auf die Nase und löste mich schnell wieder vor ihm. Irgendwie war mir nicht danach, von meiner Mama beim Knutschen erwischt zu werden. „Du musst das nicht tun ..." Er griff nach meiner Hand und drückte sie kurz. „Nicht wegen mir! Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie dich verstoßen! So wie ..." „Was wird denn hier getuschelt?" Ma kam wie immer zu dem unpassendsten Zeitpunkt, schwer bepackt mit Kaffee und Keksen, aus der Küche.

Tief sog ich die Luft ein und versuchte aufrichtig zu lächeln. Nahm ihr das Tablett ab und ging voran in den Wintergarten. Klar bestand die Möglichkeit, dass meine Eltern meinen spontanen Lebenswandel nicht akzeptierten. Aber sie waren meine Familie und ich hatte nicht vor, von jetzt an Verstecken zu spielen. Sie hatten schlicht und ergreifend keine andere Wahl, denn ich hatte auch keine. „Seit wann ist er denn so ein Stinkstiefel?", hörte ich hinter mir meine liebe Mama verschwörerisch flüstern. „Schon immer, würde ich sagen!", flüsterte Sandro ebenso verschwörerisch zurück. Hielten die mich für taub? „Sie müssen seine Launen ja nicht ertragen!", setzte mein Freund, freundlicherweise noch hinzu. Oh Geduld, wo bist du nur abgeblieben? Etwas genervt stellte ich das Tablett, vielleicht ein wenig zu kraftvoll auf dem Tisch ab. Die Gläser klirrten, der Kaffee schwappte über und ich wandte mich mit funkelnden Augen an Sandro. „So, so ..." Sein zuckersüßes Lächeln konnte ihm jetzt auch nicht mehr helfen. „Immer? Das hätte ich jetzt bitte etwas ausführlicher!" „Lu ... das war doch nur Spaß!", versuchte er mir reuevoll zu versichern. „Also würdest du mich nicht als Stinkstiefel bezeichnen?", fragend verschränkte ich die Hände vor der Brust. Armer Sandro, der sah grad aus wie ein begossener Pudel. War ja auch gemein ihn vor meiner Mama, die übrigens grinsend zwischen und hin und her blickte, so vorzuführen. „Nein, wirklich nicht!", kopfschüttelnd sah er mich ernst an. Ich sollte mich wirklich was schämen, ihn so auf die Schippe zu nehmen, machte ich aber nicht. „Tzz ...", zischte ich ihm zu und wandte mich demonstrativ ab und versuchte das hochkommende Lachen zu verdrängen. Mir gelang etwas, was meine Ma nicht gelang, denn sie brach in schallendes Gelächter aus. „Oddio! Kinder, ihr hört euch an, wie ein altes Ehepaar!" Immer noch lachend wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

„Findest du? Derweil sind wir doch erst seit gestern zusammen..."

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt