Sandro - alles auf Anfang

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Ich hatte mich unter der Bettdecke verkrochen und hätte heulen können. Tat ich aber nicht! Tränen waren ein Zeichen für Schwäche und ich war nicht schwach. Ich hatte mir geschworen, nie wieder schwach zu sein. Bis jetzt hatte ich mich auch super an meinen Vorsatz halten können. Das grade eben, hatte mich bloß etwas aus dem Konzept gebracht. Nur ein kleiner Rückschlag ... nichts von Bedeutung ... Es war einfach zu früh gewesen, sich Hoffnungen zu machen. Wir waren beide sentimental und besoffen, da konnte so was schon passieren. Es hatte keine Bedeutung für ihn ... Es hatte keine Bedeutung für mich ... ein hysterisches Lachen entkam mir.
Ich war schon immer beschissen darin, mir Sachen einzureden und mich selbst zu belügen.

Ich hatte da mal einen Hamster, ich war in etwa sechs Jahre alt, oder so um den Dreh. Er hieß „Ham-Star" und ich hatte ihn abgöttisch geliebt. Ihn fast drei Jahre lang gehegt und gepflegt, mein halbes Leben sozusagen und eines Abends ist er einfach nicht mehr aus seiner Höhle gekommen. Fast zwei Wochen lang hatte ich ihn noch weiter gefüttert, obwohl mir klar war, dass er längst das Zeitliche gesegnet hatte. Und was hatte es mir gebracht? Nichts, außer Ärger und Gestank.

Das war meine erste bewusste Lüge, vor mir selbst. Dann folgten noch viele, vor allem nach dem ich Lu kennen gelernt hatte. Ich mochte ihn nur, weil er mein Retter war! Ich träumte ständig von ihm, weil ich ein traumatisches Erlebnis zu verarbeiten hatte, dass wir dabei meist nackt waren und unanständige Dinge miteinander trieben, stand einfach außer Frage. Ich würde nicht heulen! Angepisst von mir selbst, schleuderte ich die Bettdecke zur Seite und marschierte stampfend ins Bad. Eine kalte Dusche, einen Kaffee und die Welt wäre wieder im Lot. Wie war das nochmal mit dem Belügen?

Mit kalten Wasser und einer halben Flasche Duschgel versuchte ich mir den gestrigen Abend und die Nacht abzuwaschen. Half nichts, musste trotzdem reichen. War das nicht toll, wenn man keine andere Wahl hatte?
Nackt stand ich vor dem Waschbecken und rubbelte mir die Haare trocken. Ein Blick genügte, keinen Zweiten riskieren zu wollen. Scheiße, war gar kein Ausdruck. Meine blauen Augen wirkten, viel zu groß, zu weit aufgerissen in meinem blassen Gesicht. Würde ich es nicht besser wissen, könnte man meinen, ich stünde unter Schock. Aber das war völlig absurd ... Es hatte sich nichts verändert, alles würde sein wie die letzten 14 Jahre und das war auch völlig okay. Ich würde mein Leben weiter leben wie gehabt. Lu war eine Hete und das würde er auch immer bleiben. Also alle leere Hoffnungen hin oder her, dann konnte ich sie mir auch gleich sparen.

Das Läuten meines Handys, riss mich aus meiner ... hmmm ... ja, Selbstmotivation klang doch so vernünftig. Vielleicht war es ja ... Shit auch, das mit der Hoffnung lief ja genauso gut, wie mit dem Selbstbelügen ... Was für tolle Voraussetzungen ...

„Rossini", bellte ich in den Hörer, da eine unbekannte Nummer anrief. Niemand hatte meine Nummer, ohne, dass ich es ganz persönlich genehmigt hatte und somit dessen Nummer ebenfalls hatte. Um eine Rufumleitung von meinem Geschäftstelefon handelte es sich auch nicht. Irgendein Kopf würde heute dafür rollen.

„Da ist aber einer schlecht drauf!", bekam ich ins Ohr gesäuselt. „Wer ist da überhaupt dran?" Die Stimme kam mir vage bekannt vor, recht zuordnen konnte ich sie trotzdem nicht. „Jetzt enttäuschst du mich aber, schöner Mann.", flötete mein Gegenüber. „Sebastian ...", ich schloss die Augen und seufzte auf. „Woher hast du meine Nummer?" Es war nicht so, dass ich mich nicht über seinen Anruf freute, aber da stand diese Sache mit dem Kopf im Raum. „Mein Hübscher, was spielt es schon für eine Rolle? Ich habe dich vermisst ...", hauchte er mir zuckersüß ins Ohr. „Du bist noch keine 24 Stunden weg ...", stellte ich, weniger zuckersüß fest. Soweit reichte die Sehnsucht dann doch nicht. „Was ist denn dir über die Leber gelaufen? Ich dachte, du würdest dich freuen! Aber scheinbar hatte ich mich da gehörig getäuscht." Aufgebracht schnappte Sebastian nach Luft. Verdammt auch! Einen weiteren Streit wollte ich eigentlich auf gar keinen Fall riskieren. „Tut mir leid, Basti!", sprach ich reumütig ins Handy. „Ich mag es nur nicht, wenn jemand ungefragt meine Nummer hergibt." Das war zumindest die halbe Wahrheit. Das ich gerade keinen Nerv für ihn übrig hatte, musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden.
„Du hast sie mir ja nicht angeboten!", wurde ich im nächsten Augenblick angefahren. Klar war das Ganze jetzt meine Schuld, was hatte ich mir nur dabei gedacht?
„Und du hast nicht gefragt ...", versuchte ich es in einem sanften und netten Tonfall, obwohl mich diese Unterhaltung ganz langsam anfing zu nerven. Dazu diese beschissenen Kopfschmerzen. „Hätte ich sie denn bekommen?", wollte Sebastian schmollend wissen. „Aber natürlich!", versicherte ich ihm. Entsprach ja auch irgendwo der Wahrheit, jetzt noch mehr wie vorher. „Okay ...", langsam wurde sein Tonfall versöhnlicher. „Hattest du einen guten Flug? Das Hotel in Ordnung?", heuchelte ich Interesse. Mit so was konnte man alle um den Finger wickeln. Auch Sebastian biss an und fing an detailreich zu erzählen. Langsam entspannte ich mich wieder. Der Streit war abgewandt und ich konnte in Ruhe meinen Kaffee trinken. Hin und wieder gab ich einen Kommentar von mir, ließ aber überwiegend ihn die Unterhaltung bestreiten. Verträumt sah ich dabei aus dem Fenster und verdrängte alle sich einschleichenden Gedanken an Gestern. „Du, es tut mir leid, aber ich muss wieder aufhören. Mein Taxi ist da.", unterbrach Sebastian seinen eigenen Monolog. „Schade ... hab mich gefreut, deine Stimme zu hören." Es war nicht direkt eine Lüge, aber eben auch nicht wirklich die Wahrheit. Irgendetwas dazwischen. Aber hallo... er hatte einfach einen psychisch labilen Moment erwischt, da durfte man nicht so viel erwarten... „Ja ... ich mich auch! Donnerstag bin ich wieder in Deutschland. Sehen wir uns dann?"
„Klar. Schickst du mir eine Nachricht mit den Daten?", bat ich ihn. „Ich speichere dich dann ab." „Hmmm ... wenn du dir das nicht merken kannst ..." Unzufriedenheit schwang in seiner Stimme mit. Genervt verdrehte ich die Augen. Gut, dass er es nicht sehen konnte. „Bis bald! Ich freu mich schon." Nicht auf seine Aussage einzugehen, war das Beste, um ja keinen neuen Streit zu riskieren.

Wir verabschiedeten uns und ich legte auf. Sofort wählte ich und wartete. „Es tut mir leid!!!", wurde in den Hörer gerufen, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte. „Er hat mich eine geschlagene Stunde genervt. Und nach dem er anfing, mir ganz genau zu beschreiben, was ihr so alles nicht jugendfreies getrieben habt, musste ich kapitulieren ..."
„Trotzdem!", fuhr ich Noah an. „Frag das nächste Mal nach! Was wenn er nur wieder ein dummer Stalker wäre ... Dann hätte ich ihn jetzt an der Backe ..."
„Aber er hat dir doch gefallen! Und die Stunde Schwärmerei über dich, hat mir nicht das Gefühl gegeben, dass es nicht gut zwischen euch laufen würde. Wieso hast du dann diese kontraproduktive Laune?", wollte der liebe Fotograf wissen. „Ach ... vergiss es. Du hast recht. Es ist halb so wild. Ich mag ihn. Aber bitte das nächste Mal ...", ich hatte echt keinen Nerv mehr übrig für Diskussionen.
„Ist ja gut!", unterbrach er mich. „Das nächste Mal frage ich vorher nach! Aber ich wollte dich einfach nicht wecken! Er hat mich um 6 Uhr in der Früh aus dem Bett geklingelt.", erklärte er mir weiterhin. „Wieso bist du überhaupt schon wach? Hast du schon mal auf die Uhr gesehen?"
Nein, ich hatte nicht auf die Uhr gesehen. Wollte ich auch nicht. Was machte es schon für einen Unterschied, wie viele Stunden dieser beschissene Tag noch hatte, bevor er zu Ende gehen würde?

„Ist was passiert?", bohrte Noah erneut nach. „Noah bitte! Ein anderes Mal.", flehte ich ihn an. Ich wollte die ganze Sache mit Lu vergessen und jetzt nicht anfangen zu erörtern wieso und warum ... „Vielleicht wäre es an der Zeit, ihn aus deinem Leben zu verbannen? Denkst du, du wirst je frei für einen anderen sein, wenn du insgeheim auf ihn wartest? Erneut, an diesem wunderschönen guten Morgen, schloss ich die Augen und sog scharf die Luft ein. „Er ist mein bester Freund!", stieß ich in den Hörer, nach dem ich mich etwas beruhigt hatte. „Nein! Er ist deine unerreichbare Liebe, aber nicht dein Freund!", quälte er mich weiter. „Oh Noah ... bitte! Nicht am frühen Morgen! Nicht nach meiner beschissenen Nacht!", seufzte ich niedergeschlagen ins Telefon. „Irgendjemand muss es dir ja mal vor Augen halten! Es gab so viele nette Jungs, die wirklich Interesse an dir hatten, aber du bist blind für Alle! Und das mit Sebastian macht er dir bestimmt auch kaputt!", überging der Gute meinen Einwand. Langsam wurde ich wirklich sauer! Der Eine wusste gar nichts mehr, der Andere meinte dafür, alles besser zu wissen. „Lass gut sein, Noah!", bat ich ihn mit gereizter Stimme.
„Kann ich nicht, wenn ich zusehen muss, wie du dich damit kaputt machst!", nun mit sanfter Stimme versuchte er mich, zu besänftigen. „Arrivederci!!", schmetterte ich ihm entgegen und legte auf. Wieso wollten auf einmal alle mit mir streiten? Das war eindeutig nicht mein Tag!

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt