Lu - keine Zweifel

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Auch heute schien die Sonne vom Himmel herab und wärmte, durch das offene Visier meines Helms, mein Gesicht. Herrlich, da kam richtiges Frühlingsfeeling auf! Ich liebte Italien, ich liebte das Meer, das subtropische Klima und ich liebte Sandro. Nur ein winziger Gedanke an ihn und ein Lächeln hob meine Mundwinkel an und wollte nicht mehr weichen.

Er war wirklich hier, ich konnte es immer noch nicht fassen. Wie er gestern einfach an den Strand geschlendert kam, mit dieser beschissenen Flasche Wodka in der Hand, sich zu mir unter die Decke setzte und mir schlussendlich all meine Dummheit und Naivität verziehen hatte. Wahnsinn! Mit einem fetten Grinsen im Gesicht und einem warmen Gefühl im Bauch genoss ich die kurze Fahrt vom Dorf zurück zur Hütte.

Wie war es überhaupt möglich gewesen, mich all die Jahre selbst so zu belügen? Jetzt, wo ich alles so klar sah, war mir dies schlicht ein Rätsel. Mein knurrender Magen unterbrach meine Gedanken und verlangte dingend nach Frühstück, so drückte ich das Gas meiner Ninja durch, um noch schneller mein Ziel zu erreichen. Das Essen hatte ich die letzten Tage völlig vernachlässigt, folglich war ich zur Strafe, mit einem Bärenhunger aufgewacht. Sandro lag neben mir und schlief tief und fest unter seiner Decke verkrochen, nur die Nasenspitze linste heraus. Zu gern hätte ich da einfach reingerissen.

Wieder dieses breite Lächeln, mir schien, als hätte ich dieses Dauergrinsen, seit gestern Abend im Dauer Abo. Ich lang also da und wurde immer unruhiger. Wenn er einmal so schlief, sollte man sich hüten ihn zu wecken, aber mein Magen rebellierte und verlangte endlich nach etwas Essbarem.

Also stand ich so leise, wie eben ging auf, sammelte meine rumliegenden Klamotten vom Boden und schlich auf Zehenspitzen ins Bad, um mich fertig zu machen und anschließend Frühstück zu organisieren. Bei meiner Grabesstimmung, als ich hier ankam, hatte ich auch das Einkaufen vernachlässigt. So hatten die Schränke im Ferienhaus meiner Oma, außer einer dicken Staubschicht, nichts weiter zu bieten.

Das nächste Dorf mit ein paar kleinen Läden war nicht so weit entfernt und mit meinem Bike wäre ich wieder zurück, bevor meine Schlafmütze aufwachte.

Zufrieden verstaute ich Wurst, Käse, Brot, frisches Obst und Kaffeebohnen, natürlich Kaffee - ohne ging es wahrlich nicht, in meinem Rucksack und machte mich auf den Heimweg. Alles andere konnten wir zusammen einkaufen, sollten wir länger hier verweilen. Das wäre zu schön! Er und ich, hier am Meer und sonst weit und breit niemand. Aber dies würde wohl ein Wunschtraum bleibe. Sandro musste gewiss, so schnell wie möglich, wieder ins Heaven.

Ich bog gerade in die Schotterstraße, die zu dem kleinen Ferienhaus führte, da entdeckte ich auch schon Sandro. Mein Herz setzte aus und ich konnte ihn nur noch entsetzte anstarren. Lediglich in seiner Pyjamahose bekleidete, saß er auf den kalten Dielen, sein Blick starr auf das Meer gerichtet, die Beine fest an sich gezogen und der Wind an seinen Locken zerrend. In meiner Lederkluft war es im Sonnenschein wirklich angenehm, halb nackt hingegen müsste man sich bei diesem Wind sonst was abfrieren.

Quietschend brachte ich die Kawa zum Stehen und bockte sie auf. Die wenigen Schritte zu Sandro nahm ich im Laufschritt, bremste schlitternd vor ihm ab und ging in die Hocke. Die ganze Zeit sah er weiterhin aufs Meer. Schien gar nicht zu realisieren, dass ich hier war, hier bei ihm.

Wie ein Schlag traf mich die Erkenntnis. Wie konnte ich nur so dumm sein! Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, wie es für ihn aussehen würde, wenn er aufwachte und ich wäre nicht mehr da.

Mit einem Ruck zog ich den Helm sowie Handschuhe aus und legte alles neben mir auf dem Boden ab.

„Hey...", flüsterte ich. Zärtlich strich ich dabei über seinen Arm, der eiskalt und von einer Gänsehaut überzogen war. Das schlechte Gewissen erdrückte mich nahezu. Dass er hier halb erfror und beschissen drauf war, daran war ich alleine Schuld. Und das nur, weil ich nicht nachgedacht hatte, weil ich Egoist, nur mein Wohl im Sinn hatte. Kurz nur streifte sein Blick mein Gesicht, bevor er wieder zum aufgewühlten Meer glitt und sich im Blau seiner Augen die gleiche Unruhe widerspiegelte.

„Sandro ...", hauchte ich verzweifelt seinen Namen. Er saß da, gefangen irgendwo in seinem Inneren, zwischen all den Ängsten seiner Vergangenheit. Ich musste ihn aus diesem Schatten befreien, ihn zu mir ins Licht holen. „Ich bin nicht gegangen!", mit allem Nachdruck, den ich aufbringen konnte, presste ich diese Worte zwischen meinen Lippen hervor, griff nach seinem Gesicht und zwang ihn somit mir in die Augen zu sehen. Seine Augen wirkten ausdruckslos. Er glaubte mir nicht. Panik ergriff mich.

„Also, ja ...", fing ich an zu stammeln. „Ich war weg aber ... aber nur kurz ... und nur, um Frühstück zu holen." Selbst ich hörte das Zittern und die Verzweiflung aus meiner Stimme. Immer noch kein Funken Reaktion, er schien durch mich hindurch zu sehen. „Bitte ...", ich zog in näher an mich heran und drückte meine Lippen auf seine. Eiskalt und leicht bebend, aber meinen Kuss nicht erwidernd.

„Ich ... ich ... ich werde nicht davon laufen, wie bis jetzt!" Meine Finger glitten in seinen Nacken und ich strich immer wieder mit dem Daumen auf und ab, wohl eher, um mein Gemüt zu beruhigen, als das Sandros und streifte erneut seinen kalten Mund.

„Bitte ... komm zu mir zurück ...", meine Worte, nicht mehr als ein Flüstern gegen seine blauen Lippen. Der Kloß in meinem Hals, der Druck in meiner Brust, immer größer werdend. „Ich werde nicht wieder gehen ... dich nicht verlassen!" Unglücklich senkte ich meine Stirn auf die Seine und schloss die Augen. Irgendwas musste ich tun, um ihn zu mir zurückzuholen, ihn da drinnen, wo auch immer er sich vor mir und der Welt verbarrikadiert hatte, zu erreichen. Schmerzlich bewusst, ihn erneut zu verlieren, fiel ich ihm um den Hals und presste in mit aller Kraft an mich. Geräuschvoll entwich ihm die Luft und Sandro stöhnte schmerzvoll auf. Froh überhaupt eine Reaktion von ihm erhalten zu haben, zog ich ihn noch fester in meine Umarmung. Nichts in der Welt würde mich dazu bringen ihn jetzt loszulassen. Von mir aus sollte er vor Schmerz stöhnen, dann fühlt er zu mindestens körperlich, dass ich ihn nicht mehr gehen lassen würde.

„Lu ... duhu brichst ... mir die Rippen ...", bekam ich gleich drauf an mein Ohr gestöhnt und riesige Brocken fielen von meinem Herz herab. Er war wieder da! Erleichterung durchflutet meinen ganzen Körper, ich hätte die ganze Welt umarmen können.

„Schätzelein, ich steh drauf, wenn du meinen Namen stöhnst, aber bitte das nächste Mal in einem anderen Kontext." Grinsend löste ich mich von Sandro und zwinkerte ihm frech zu. „Und jetzt ab unter die heiße Dusche! Ich mach uns derweil Frühstück." Erneut presste ich meine Lippen auf die Seinen, erhob mich aus der Hocke und reichte ihm die Hand. Kalte Finger griffen danach und ich zog ihn schwungvoll in die Höhe. „Hopp, hopp ... wird's bald!", kommandierte ich und schob ihn zur Eingangstür.

Lächeln wandte er sich ab und ließ sich von mir durch die offene Tür befördern. Zwar schien dieses Lächeln echt zu sein, trotzdem wirkte es leicht melancholisch, erreichte seine Augen nicht. Brachte sein Blau, nicht wie sonst zum Strahlen. Der Zweifel stand darin. An meinen Gefühlen, an meiner Person und er schien darauf zu warten, dass ich den nächstbesten Moment dazu nutzen würde, aus seinem Leben zu verschwinden und vor ihm und meinen Gefühlen davon zu laufen.

Kein schöner Anblick ... der Druck in meiner Brust nahm erneut zu, weg die grade noch verspürte Erleichterung.

Die Tür zum Bad fiel in Schloss, kurz darauf ertönte das Rauschen des Wassers. Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand. Das musste ich ändern, ich wollte, dass er mich wieder strahlend ansah, so ansah, als würde es für ihn nur noch mich geben, nur noch uns geben! Also müsste ich ihm zeigen, dass es keinen Grund zum Zweifeln gab. Weder an mir, noch an meinen Gefühlen und das ich den Teufel tun und verwinden würde! Selbst, wenn er das wollen sollte, mich würde er so schnell nicht mehr loswerden. Das klang doch nach einem brauchbaren Plan. Etwas besser gestimmt öffnete ich die Augen und stieß mich von der Wand, um in der Küche das versprochene Frühstück zuzubereiten.

Blue eyes (Cupcakes 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt