Kapitel 4.3 - Filou

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Vielleicht sollte er ein schlechtes Gewissen haben. Er schleppte diese Frau wie ein verwundetes Reh mitten unter ein Rudel hungriger Wölfe. Wahrscheinlich würde sich Hook selbst das Anrecht auf sie aussprechen. Wenn sie jedoch Pech hatte, war er heute dazu nicht in der Stimmung und würde sie einfach wie eine Hündin seinen Männern überlassen.

Niemand vermochte, Hook einzuschätzen - nicht einmal er. James Hooks Launen waren wie das Meer selbst: An manchen Tage nahezu gnädig oder ruhig gestimmt. Wobei man auch dann niemals die Gefahr unter den Wellen vergessen durfte.
'Stille Gewässer sind tief und dunkel.' Hieß es immerhin nicht umsonst. Hin und wieder holte sich Hook eine der Frauen aus dem Red Carpet aus der Seestadt. Dann, wenn Dagger ihm eine der Damen empfahl oder es ihm einfach einmal wieder nach weiblicher Gesellschaft war. Niemand wusste so recht, was der Kapitän dann mit den Frauen machte und es wagte ebenso wenig jemand zu fragen. Filou wusste, dass der Kapitän manchmal mit ihnen zu Abend aß, die Tafel wurde immer reichlich (vor allem für das was sie besaßen) gedeckt und dann schloss sich die Tür zu der Kapitänskajüte für neugierige Augen und Ohren. Irgendwann öffnete sie sich in den späten Nacht oder frühen Morgenstunden und Filou sorgte dafür, dass die Frau angemessen entlohnt und sicher in die Seestadt zurückgebracht wurde. Manchmal blieben sie noch, stiegen anschließend die knarzenden Stufen in die untere Ebene zu den Mannschaftsquartieren herunter und verdienten sich noch ein wenig hinzu.


Wenn Hook aber nicht gerade in der Laune war, sich mit solcher Gesellschaft abzugeben, dann hatte er nicht mehr als einen eisigen Blick für die Huren übrig. Der Kapitän mochte noch immer irgendwie auch ein englischer Gentleman sein, vielleicht war das ein Bruchteil seiner Seele, den er niemals ganz ablegen würde. Doch auch Frauen hatten keine Gnade von ihm zu erwarten. Sogar der Gesang der Sirenen ließ ihn kalt. Man behauptete, keine Frau ob Sterblich oder mit Zauber beschenkt könnte ihn verzaubern - weil Hook kein Herz mehr besaß. Schon viele der Fischweiber hatten ihr Ende durch die blitzende und gnadenlose Klinge des Kapitäns gefunden. Manchmal jagten sie die Biester, wenn sie in der Bucht zu oft auftauchten. Dann war es oft der Kapitän selbst, der ihnen die hübschen Köpfe von den Schultern trennte oder ihr Herz aufspießte, weil sich keiner der feigen abergläubischen Piratencrew nahe an die Bestien trauen wollte.


Mit 'Menschenfrauen' jedoch, sah das alles ganz anders aus. Die Piraten hatten Spaß daran, die wenigen hilflosen Weiber zu unterwerfen und sich zu nehmen, was sie wollten. Hook erlaubte es ihnen, denn es war ein gutes Mittel, Gefangene zum Reden zu bringen. Eingreifen tat er selten bis niemals. Vermutlich wäre es ihm egal, ob die Männer sich gleichzeitig auf sie stürzten, ob manche von ihnen geduldig genug waren, zu warten und einige Minuten alleine mit einer Frau zu haben. Diese mussten jedoch gar nicht gezwungen werden. Wenn sie nur eine Frau sahen, benahmen sie sich oftmals wie Tiere, die jene am sofort bespringen wollten.


Filou musterte das zarte Gesicht der Frau. Weiche Wangen, eine gerade Stubsnase und seine Augen blieben an ihren Lippen hängen. Sie war schön. Der Kapitän wäre ein Narr, würde er sich diese Gelegenheit entgehen lassen... doch all diese Gedanken waren vergessen, als er sich des Anblicks des Decks gewahr wurde. 

Filous Miene gefror und der Anblick fühlte sich an, als hätte Hook ihm seinen Haken direkt in den Magen gedrückt, um ihn dort genüsslich langsam in seinen Eingeweiden zu verdrehen. Schnell ließ er sich in knappen Worten Berichterstatten was geschehen war. 
Verdammt nochmal...! Kochende Wut brodelte in seinem Innern. Obwohl inzwischen jedes Leben sehr viel mehr wert war, spielten Pan weiterhin seine egoistischen, dummen Spiele! Inzwischen verirrten sich nicht mehr so viele Schiffe an die Küsten Neverlands. Der Nachschub an Männern war gelinde gesagt beschränkt und sie taten alles, um die Hornochsen auf diesem Schiff vor dem Tod zu bewahren. Auch wenn sich inzwischen öfter Jungen von Pan abwandten, weil sie doch den Preis dieser Spielchen erkannten... taten es zu viele NICHT. Jedes Leben war verloren! Das war kein Spiel, es waren Kameraden, denen die Jungen mit einem Krähen ihre verfluchten Messer in die Kehlen stießen! 
Filous Miene verdunkelte sich von einem Schleier, gewoben aus Verlust und dem Frust, dass trotz allem manche in dem Kreislauf der Insel einfach weiter taumelten. Die Mannschaft war in vielen Belangen nicht anders. Sie soffen und wurden unachtsam wie eh und je. Und DAS - dieser Widersille entgegen jeder Veränderung - machte ihn wahnsinnig! Hook hatte Recht, mit dem was er öfter sagte: Sie waren einfach eine geballte Bande unzuverlässiger und unselbstständiger, gammliger Wassergurken!

A Neverland Tale - HOOKED (de)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt