Kapitel 7.12 - Peter Pan

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Peter begleitete die Pips nie auf ihrer Mutprobe. Das war ein unausgesprochenes Gesetz, eine lautlose Regel zwischen ihnen, die von niemandem ausgesprochen werden musste. Alle akzeptierten sie und die Neulinge trauten sich meist ohnehin nicht nach dem Warum zu fragen. Sie bekamen zu oft abtuende Antworten, Sätze wie 'Es ist eben so' mit denen ihnen ältere Verlorene die Welt zu erklären versuchten. 


Es war wie mit, nun... neugierigen Kindern. Sie fragten, fragten, fragten – wollten eine Welt voller Wunder und neuen Abenteuern verstehen, begreifen lernen. Doch man konnte einem wissensdurstigen Kind nicht alle Fragen beantworten, irgendwann waren auch die eingesessenen Jungen genervt oder wimmelten jene neugierigen Fragebolzen ab. Dinge, für die es keine Erklärung gab konnte man nicht mit Worten greifbar machen – sie mussten gesehen und erlebt werden damit man verstand. 


Es war ähnlich wie mit den verhexten Ritualen der Indianer. Wenn sie ihre Götter herabbaten um Hilfe für einen Kranken zu ersuchen, heilige Speisen zu segnen oder ihre Grenzen zu weihen. Peter war einmal dabei gewesen, hatte erlebt wie die knisternde Essenz der Ahnen sich über ein Tippi ergoss wie warmer Regen und alle Geister erfüllte. Damals... vor so langer Zeit, dass er selbst nicht mehr wusste wie es dazu gekommen war. 


Oh – Neverland verschlang die Erinnerung zusehends, je mehr Peter nach ihr zu greifen versuchte desto schneller entglitt sie ihm. Selbst ihm, dem Anführer der verlorenen Jungen. Er wusste nicht mehr wer mit ihm in diesem Zelt gesessen hatte, welchen Anlass es gab oder warum man die Geister anrufen musste. Selbst der genaue Ablauf des Rituals und wie lange es gedauert hatte, war seinem Verstand entfallen... schlussendlich blieb ihm nur das Gefühl, als die Worte der Indianerin (oder war es ein Indianer gewesen?) wie leiser Singsang durch das Zelt schwirrten und seinen Kopf weit forttrugen. Rauchgeruch, verbrennende Kräuter... die bläulichen Schwaden waren heilig, reinigten Körper und Seele... aber wovon? Peter hatte es vergessen. 


Früher einmal, als noch kein böses Blut zwischen ihm und Tiger Lily floss – da hatte er so viel mehr Zugang zu ihrer Kultur gehabt. Im fließenden Nebel seiner Erinnerung fanden sich Bilder einer ausgestreckten Hand, rasselnde Ketten an kupferfarbenen Handgelenken und ein kleiner Dolch, der sich in das Schlüsselloch schob. Kaltes Wasser, das über raues Gestein schwappte und bunte Federn, wie schmutzige Leinenhemden und Wollhosen tränkte. In einer anderen Situation hätte er vielleicht länger darüber nachgedacht, so aber gab es Wichtigeres auf das er sich konzentrieren musste.


Ein verschwundener Pip... solche Ereignisse mochten zwar nicht zur Tagesordnung gehören, sorgten aber bei Weitem nicht für so viel Aufruhr wie ein unauffindbarer Verlorener. Es lag an der kurzen Zeit, in der die Neulinge (besonders schüchterne) nicht immer viele Bekanntschaften im Tree machten und einem sicherlich auch nicht sofort im Gedächtnis blieben. Felix beispielsweise tollte manchmal ausgelassen mit den anderen herum, mal saß er aber auch einfach unter seinem selbstgebauten Unterschlupf aus Zweigen und Laub, schaute in den Himmel und schien Wolken zu zählen. 


Er blieb etwas mehr im Hintergrund, beteiligte sich nicht sofort an jedem Spiel und wenn sie außerhalb des Lost Island herumtollten, war er oft recht... vorsichtig. Ihr Leben auf der Insel mochte jedem diese Freiheit lassen, denn es gab keine Regeln dafür wie man seinen Tag zu verbringen hatte – auch nicht wie viel man Kämpfen oder Jagen oder etwas zu Essen sammeln sollte. Aber... Peter und die älteren Verlorenen achteten darauf, dass jeder seinen Teil beitrug. Es konnte nicht nur jene geben die für alle Wild erlegten, durch die Wälder streiften um Beeren, Wurzeln oder Honig zu sammeln und alleine fischten. 

A Neverland Tale - HOOKED (de)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt