Kapitel 7.2 - Peter Pan

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Er steckte das Messer zurück in die Scheide, arbeitete den Pfeil aus der Wunde des Tieres und säuberte auch ihn an einem Büschel Gras. Es dauerte lange die Federn zu sammeln, aufzuspalten und an den Schaft der Geschosse zu binden. Dazu kam der Stein den sie zerschlugen wie sie es vor langer, langer Zeit von den Indianern gelernt hatten oder Metallspitzen, die den Jungen bei Überfällen oder in der Seestadt in die Hände fielen. Eine fließende Bewegung später steckte der Pfeil wieder im Köcher und Peter hievte sich die Beute über die Schultern. Tink flatterte empört zur Seite, bevor sie sich auf dem Kopf des Burschen niederließ und vorwurfsvoll an einer Locke zupfte.


»Entschuldige.«, murmelte Peter gedankenverloren.


Er war nicht mehr an die Anwesenheit seiner jahrelangen Begleiterin gewöhnt. Ihre Wege hatten sich getrennt, mehr oder weniger zumindest und schon einige Zeit nachdem ein ganz bestimmter Aufruhr die Insel zum ersten Mal erschüttert hatte. In den wenigen Momenten die sie noch zusammen verbrachten, pflegte Tinker Bell wie eh und je mit Peters honigblonden Locken zu spielen, brachte ihm eine Beere und bediente sich an den frisch gesammelten Vorräten. Oder sie leistete ihm einfach nur Gesellschaft, saß auf einem tiefhängenden Ast und hörte seinem Flötenspiel und den neuen Geschichten zu, die er erzählen konnte.


Als Peter sich vom Boden abstieß, hatte er einen Moment lang mit dem Gewicht des Rehs zu kämpfen, dann fand er sein Gleichgewicht wieder. Glücklicherweise hatte der Pfeil das Tier am Hals verwundet, sodass nicht allzu viel Blut Flecken auf seiner Kleidung hinterließ. Irgendwie musste er es ja zum Hangman's-Tree bringen, ohne durch den Blutgeruch wilde Tiere anzulocken. Oder Indianer? Oder ein paar Krokodile? Es war fast schön, dass man nie wusste welches Abenteuer einem als nächstes vor die Füße sprang. Dass in diesen Begegnungen ehrliche Gefahren stecken konnten, daran dachte Peter gar nicht. Er freute sich auf die Gesichter der Jungen, das gebratene Fleisch und den heutigen Abend.


Sobald die Bäume hinter dem Wind zurückblieben erhob sich auch Tinker Bell in die Lüfte und driftete als goldener Punkt erst ab, dann wieder nach vorne wo sie die Führung übernahm und in Richtung Hangman's-Tree sauste. Ein Grinsen huschte über Peters Gesicht, während er tief den Duft des Waldes einatmete. Sonne und eine frische Brise Meer mischten sich mit dem sattgrünen Aroma. Es war ein wirklich herrlicher Tag.


Die Nacht brach gerade erst herein als die Frischlinge sich auf den Weg machten. Zufrieden beobachtete Peter wie sie aus ihren Hütten, Unterschlupfen und Häuschen auf der kleinen Lichtung vor dem Hangman's-Tree eintrudelten und einander Mut zusprachen. Ein paar stießen sich aufmunternd an, die Älteren wie Slightly grinsten nur verschmitzt oder lachten ein paar der bleicheren Jungen aus, die ihre Nervosität wohl nicht ganz so gut verdrücken konnten. Peter hatte dafür gesorgt, dass alle problemlos trotz des hohen Wasserstandes an Land kamen – still und leise hatte er aus seinem kleinen Versteck ein paar Portionen Feenstaub geholt, wohl wissend wie wertvoll diese Ressource geworden war. 


Pixum, Feenglanz oder Feenstaub... das leuchtende Funkeln, das eine Fee umgab wie die Wärme das Feuer. Zu gierig hatten grobe Hände danach gefasst, den kleinen Wesen keine Zeit gelassen sich zu erholen und... jetzt waren sie fast vollständig verschwunden. Peter wusste das auch Tinker Bell nicht mehr hier, nahe bei ihnen unter dem Tree im Felsgestein ihr kleines Nest bewohnen würde, hätte das Schicksal ihm nicht in die Hände gespielt und seiner Freundin neben einem langen Leben obendrein noch unheimlich viel Glück beschert.


Mit einem wehmütigen Seufzen beobachtete Peter wie Crow den ledernen Beutel unter die Nase der neuen Verlorenen hielt und ihnen mit gerecktem Kinn erklärte worum es sich dabei handelte. Nicht wenige Stunden zuvor hatte Pan eben jenes Gefäß mit dem schimmernden Gold gefüllt, von dem nur er wusste, dass es in den Gängen des schwebenden Felsbrockens unter ihren Füßen noch immer ein paar kleine Haufen davon gab – die vielleicht sogar dafür verantwortlich waren, dass ihr Eiland noch hoch über dem Wasser schwebte. Doch er hatte nicht vor den ganzen Abend hier herumzusitzen und auf die Rückkehr seiner Freunde zu warten. Peter zog oft alleine los, streifte durch die Wälder und flüsterte mit dem Wind was es Neues gab. Er suchte nach Beeren, brachte den Jungen etwas von seinen Beutezügen mit, kundschaftete gute Gelegenheiten für ein Abenteuer aus und suchte neue Verstecke von denen aus man die Meerjungfrauen beobachten konnte. 

A Neverland Tale - HOOKED (de)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt