Jakes Herz klopfte wild. Wilder als beim Angriff auf das Schiff, beim Schleichen durchs Unterholz auf der Jagd. Er hörte das Eis unter dem lockeren Schnee auf seinen Zügen knirschen und genauso wenig hätte er sich davor zu wappnen vermocht, hätte er es kommen sehen. Das Gefühl das er gerade empfand mochte nur ein Bruder wirklich nachvollziehen können.
Das gehetzte, panische Ziehen, dass sich von seiner Brust bis in die Fingerspitzen ausstreckte und jedes Körperglied ungewohnt steif werden ließ. Die Selbstvorwürfe sprudelten in seinem Innern als frostiger Bachlauf hervor. Wie hatte er es nicht sofort bemerken können? Seit wann war Luke nicht mehr bei ihnen?
Die vorwurfsvollen Gedanken drückender Schwere trommelten auf ihn ein wie Hagel, der ihn immer wieder mit neuem in den Magen schlug. Normalerweise saß dem älteren der Zwillinge genauso viel Schalk im Nacken, wie seinem jüngeren Bruder. Obwohl er älter war, musste Jake zugeben, die neu gewonnene Freiheit weit mehr zu genießen und sich der Leichtigkeit dieses Ortes trotz der brutalen Seite weitaus leichter hingegeben zu haben. Die Welt war schmutzig, Blut und Verlust gehörten dazu – das hatte er bitter lernen müssen und er hatte schon vor einer Weile, weit schneller als Lucy, gelernt diesen ekelhaften Brocken herunter zu schlucken.
Der ältere und größere der beiden Geschwister reichte immer noch nicht an die über viele Jahre durch Kämpfe trainierten Jungs (Männer...) der Verlorenen heran, war jedoch standfester an Gestalt als sein jüngerer Zwilling, der ihm mehr an Größe als nur um mehr als einen ganzen Kopf hinterher hing. Während Luke in dem zu weiten Mantel und der abgetragenen Weste meist wie ein Schatten ungesehen und eher unauffällig hinter Ereignissen sowie Personen zu verschwinden wusste, war der ältere der beiden Hawker-Brüder eher das tanzende Licht im Vordergrund- ob das nun gut oder schlecht sein mochte, sei dahingestellt.
Stellte man beide nebeneinander und wagte es genauer hinzusehen, erkannte man sehr deutlich die gemeinsamen Grundzüge ihrer Erblinie: den Schwung der Nase oder die Kinnpartie, auch wenn Jakes Kiefer den signifikant markanteren Zug abbekommen hatten. Vielleicht war es auch eher die Art, wie beide ihr Kinn zu tragen pflegten- immer begleitet mit einem Blitzen in den Augen ein wenig höher, als es Straßenkötern zugestanden werden mochte.
An beiden sah man deutlich den Einfluss des Vaters: das ebenholzfarbene Haar - schwarz auf den ersten Blick und nur mit einem braunen Stich, wenn die Sonne direkt darauf fiel und wagte die Strähnen mit sachten Fingern ein wenig zu fächern, um den dunklen Ton ein wenig mit goldenem Schein zu erhellen. Während Luke die 'Zotteln' (und darüber wie er wusste die langen, schwarz gelockten Strähnen...) wie Jake es liebevoll bezeichnete, unter einer abgenutzten Baskenmütze verbarg, die dem Jungen viel zu groß war, fuhr Jake bei jeder gefühlten Gelegenheit durch die freiliegenden, recht glatten Strähnen auf seinem Kopf. Eine Angewohnheit die sich vor allem zeigte, weil er keine Perücke mehr tragen musste und die Freiheit genoss, wenn der Wind endlich wieder durch sein Haar fahren durfte. Das launische Haar würde sich erst dann zu locken beginnen, wenn sie länger wurden... und das verhinderte er notfalls auch mit einer stumpfen Schere bisher sehr penibel.
Beide besaßen helle und klare Augen, einen aufmerksamen und gleichauf wachsamen Blick, in dem sich die Sonne bei Jake in klaren blauen Bergseen mit moosgrünen Flächen, bei Luke dagegen in der Farbe hellem Azur der Südseemeere brach. Ein kleiner aber feiner Unterschied, den nicht jeder wahrnahm. Jene feine Linie, die kitzeligen Grade, die schottische Seen zu den Meeren vor der spanischen Küste unterschieden. Jake allerdings war durchaus hochgewachsen, seine Schultern breit und seine Hüften schmaler, während die Jahre der Pubertät schon hinter ihm zu liegen schienen, in die man Luke gerade in das Anfangsstadium einordnen wollte. Verwirrend vielleicht, verhielt sich Luke nicht selten wie der weitsichtigere... eine seltsam verwischtes Bild, das bei beiden nicht so ganz passen wollte. Die beiden Hawker-Brüder, die ihren ganz eigenen Rhythmus besaßen und einfach gestrickt schienen, wo es trügerischer nicht sein könnte: Denn es lagen die beiden bei weitem an Jahren nicht so weit auseinander wie sie behaupteten.
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A Neverland Tale - HOOKED (de)
Fantasy** Nur eines kann den Untergang Neverlands noch verhindern: In den finsteren Zeiten, in denen das Licht eines Sterns erlischt, muss ein neuer gefunden werden! ** Neverland - eine Welt, in der einfach alles möglich war, solange man es sich nur erträu...