Kapitel 7.1 - Peter Pan

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Rinde floss rau unter seinen Fingern entlang, immer wieder durchbrochen von Flecken grünen Mooses, dass an vielen Stellen den uralten Baum überwucherte. Kleine Polster weicher Kissen auf denen die Füße der Kletterer einsanken wie in Federn und die sich an regnerischen Tagen mit Hunderten kleiner Wassertropfen vollsogen. Heute allerdings hatte die Sonne sie wachgeküsst, zeichnete mit geschickten Fingern aus Licht und Wärme ein helles Grün auf die bewachsenen Stellen und flocht für die Kinder einen warmen Teppich über Rinde, Gräser und Waldboden. Leises Schnarchen sickerte durch die Luft, bezeugte den guten Schlaf der Jungen die gestern Nacht damit verbracht hatten Makrelen in Küstennähe zu jagen. Die silbrigen, handgroßen Fische mit der hübschen grünlichen oder bläulichen Zeichnung auf dem Rücken schmeckten den meisten der Burschen und heute Morgen hatten bereits einige ihre Zeit damit verbracht, sich einen Teil des erfolgreichen Fangs über dem Lagerfeuer zu braten.


Auch darum setzte Peter leise einen Fuß vor den anderen, während er sich durch das Labyrinth aus Gängen schob und immer höher kletterte. Geübt umrundete er herumliegendes Spielzeug, geflochten aus Zweigen und Gräsern, wich einer Kiste voller Säbel aus und sprang gerade noch rechtzeitig über einen Hocker, der aus unerfindlichen Gründen hier liegen gelassen worden war. Die hölzernen Füße des Schemels ragten hoch in die Luft, zeugten von... entweder einer Prügelei oder jemand hatte den Stuhl aus seiner Schlafhöhle nach draußen geschoben, weil er zu viel Platz einnahm. Peter störte sich nicht daran, kam leichtfüßig wieder auf und setzte seinen Weg fort. Links und rechts entlang des Ganges fanden sich mehrere runde oder eckige, ovale und geradlinige Eingänge – manche offen, andere von Vorhängen, Holzbrettern oder sogar provisorischen Türen aus geflochtenen Zweigen versperrt. 


Dahinter befanden sich die Schlafstätten einiger Verlorener, unter anderem passierte Peter den Eingang von Tootles, der seine Aushöhlung mit einer gestohlenen Lederhaut von den Indianern bespannt hatte und jedes Mal, wenn er daraus hervorkroch, musste er wieder die Steine bei Seite schieben mit denen er den provisorischen Vorhang am Abend zuvor befestigte. Peter schmunzelte, warf den indianischen Malereien die allmählig auf dem Leder verblasst waren einen kurzen Seitenblick zu und schlenderte weiter. Über seiner Schulter hing ein Köcher, befestigt mit einem recht hübschen Ledergurt auf den er ziemlich stolz war. Vor langer Zeit hatte Tiger Lily ihm den Köcher geschenkt... warum wusste er selbst nicht mehr genau, doch das Geschenk hielt er treu in Ehren. Darin befanden sich handgemachte Pfeile, deren Gefieder bei jeder Bewegung leicht aneinander rieb. Den Bogen aus festem Holz hatte Peter sich ebenfalls über die Schultern gestreift, so besaß er mehr Bewegungsfreiheit.


Schließlich erreichte er die höchste Öffnung im Hangman's-Tree, wo das Sonnenlicht schon hereinspitze und durch eine Wand aus sich wiegendem Laub Muster aus Licht und Schatten an die ausgehöhlte Bauminnenseite warf. Die Jungen hatten unter dem mächtigen Baum eine große Kammer gefunden, vermutlich einmal gegraben von einem Wolf oder Bären... doch die Höhle war längst unbewohnt und so hatten sie selbst weitergegraben, bis der gemütliche Hauptraum entstand. Mittlerweile dominierte ihn eine lange Tafel an der gegessen, gestritten, gekämpft oder getobt wurde. Außerdem gab es schmale Spalten, die sich durch den alten Baum zogen und welche die Burschen ebenfalls geschickt so erweiterte hatten, dass sie sich in ihnen wie durch die Gänge eines Hauses bewegen konnten. 


Jeder Gang beherbergte mehrere Schlafhöhlen, in denen die Jungen ihr kleines bisschen Hab und Gut aufbewahrten, sowie jeder für sich seine eigene, perfekte Schlafstatt eingerichtet hatte. Obwohl die Jungen in den Giganten ihre Gänge und Behausungen geschnitzt hatten, starb der Baum nicht... jedes Jahr aufs Neue trugen seine mächtigen Zweige die atemberaubendste Fülle an Blättern die man auf der ganzen Insel nirgends sonst finden konnte. Er hüllte ihre kleinen Aus- und Eingänge in eine bauschige Umarmung aus raschelndem Grün, flüsterte morgens zum Aufstehen und sang ihnen des Abends ein Schlaflied. Auch jetzt strich Peter beinah liebevoll einen Zweig voll tanzender Blätter bei Seite um auf dem breiten Ast ins Freie zu treten. Ah ~ herrlich. Hier draußen wehte einem der frische, etwas von Meersalz durchzogene Duft des Waldes entgegen. Herangetrieben durch den stürmischen Ostwind war an manchen Tagen sogar das brackige Moor in der Luft zu riechen, dass dem kleinen Felsmassiv in seiner Mitte und dessen Namen, den Hexenhöhlen, alle Ehre machte. 

A Neverland Tale - HOOKED (de)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt