Kapitel 5.1 - Luke

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Nervös klammerte sie sich an den Rand des kleinen Bootes, dass über die Wellen hinweg wankte. Immer wieder, wenn jene gegen die kleine Nussschale trafen, kniff die schmale Gestalt ein wenig die Augen zusammen und hielt den Atem an. Doch vergeblich versuchten die Wellen das Schiff wieder Landeinwärts zu drängen, denn kräftige Schläge der Ruder beförderten das Boot weiter hinaus in die Richtung des dunklen Schattens. Dorthin, wo die Jolly Roger über der Wasseroberfläche wie eine Krone auf dem Haupt eines Königs prangte.
Lukes Magen rebellierte, drückte ein wenig unzufrieden und sie versuchte das beklemmende Gefühl und die Furcht vor dem Kentern zu verdrängen. Statt auf den Sitzplanken zu sitzen wie die Piraten, kauerte sie im vorderen Teil im Bug zu Hooks Füßen, die Beine angewinkelt und sich gegen das Holz des Schiffes drückend. 


Ihre Finger klammerten sich an den Rand, als hinge ihr Leben davon ab. Es war nur ein vergleichsweise sachter Wellengang. Nur kleine Hindernisse durchbrach das Beiboot, dass sich neben dem Klang dahingleitender Wellen und den Rudern die sich in einem stillen Rhythmus hoben und wieder in die Gewässer senkten ungemein leise bewegte. Dennoch rief das Schwanken in ihr eine flaue Übelkeit hervor, die zusammen mit ihren dunklen Gedanken die ihre Situation wie ein unpassendes Puzzleteil hin und her rollten, ihre Laune auf einen neuen Tiefpunkt drückte. Aus den Augenwinkeln konnte sie die Blicke der Piraten auf sich spüren. Mordlust, Blutgier, Hass, Rachsucht. Sie konnte sich vorstellen, was sie am liebsten mit ihr angestellt hätten. Sie einfach nur ins Wasser zu schubsen, wäre dabei noch die gnadenvollste Variante. Ihr Blick glitt nervös zurück. Über die Wellen zum Strand, wo der Nebel die weißen Ausläufer langsam verschlang und sich die Baumkronen dahinter wie eine finstere Klippe erhoben. Es war nur ein flüchtiger Gedanke, der ihre Augen auf die Wasseroberfläche gleiten ließ, die sich am Boot brach. Nein... zu springen war keine Option. Nicht hier.


Was wäre schneller? Die Strömung, die sie hinausziehen oder gegen die von Knochenbergen übersäten Riffe drücken konnte? Die Krokodile, die sie zerfleischen würden? Oder würde sie einfach sinken wie ein Stein, weil sie nicht mehr konnte als hilflos im Wasser zu paddeln? Den Piraten würde es sicherlich eine Freude sein, wenn sie spränge. Dann könnten sie zusehen, wie sie verzweifelt versuchte in die Richtung des Strandes zu paddeln... und irgendwann einfach unter Wasser gezogen wurde.

Die Gewässer der trügerisch schönen Bucht wimmelten nicht nur von Krokodilen, weil der breite Arm des Crocodile Creek hier in die Cannibal Cove mündete. Wissend, dass die Piraten oft den einen oder anderen Leckerbissen für die blutdurstigen Kreaturen übrighatten, trieben sich hier auch die dunklen Schwestern der Meerjungfrauen herum: Sirenen. Die Fischweiber, denen unzählige Geschichten anhingen und welche Seemänner zu Recht fürchteten wie den leibhaftigen Teufel, hätten wenig Skrupel einen im Gewässer paddelnden kleinen Welpen wie sie unter Wasser zu ziehen und sich an ihrem Fleisch gütlich zu tun. Gerüchten zu Folge wagten sich nicht einmal die seelenlosen Geschöpfe nicht nahe an Hook heran, weil er so verdorben war, dass selbst Sirenen ihn fürchteten. 

Vielleicht lebten sie aber auch einfach nur nach dem Motto, man beiße nicht die Hand, die einen fütterte? Luke wusste es nicht. Und sie hatte auch sicherlich nicht vor es herauszufinden. Wenn die Piraten sie ins Wasser schmissen, würde es vielleicht die Kreaturen anlocken. Und mit oder ohne Hook, das Beiboot wäre bei dem Nebel und der heraufgezogenen Nacht auch für die Piraten alles andere als sicher. Vermutlich war es allein das, was das Pack davon abhielt, ein weiteres abgenagtes Skelett der schauerlichen Strandzierde der Cannibal Cove hinzuzufügen.


Ein Schauer rann über ihren Rücken, ein Muskel an ihrem Kiefer spannte während sie die Zähne aufeinanderdrückte und versuchte, sich nicht von der schleichenden Angst in ihren Gliedern vergiften zu lassen. ZU viel Mut wie zu viel Furcht machte töricht und unaufmerksam. Trotzdem spürte sie immer wieder den nervösen Schauer, der in ihre Glieder glitt, wenn die Piraten sich regten. Unruhige Raubtiere, die nur auf das stille Kommando warteten, endlich die Beute zerfleischen zu dürfen. Finger die sich um die Griffe von Waffen schlossen und spreizten, blitzend Augen voller Dunkelheit und ein unausgesprochenes Unverständnis, das ihr entging, weil sie manche Details dieser Welt eben einfach noch nicht erfasst hatte. 

A Neverland Tale - HOOKED (de)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt