Nackt

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Julian überholte sie und stellte sich ans Fenster, wo er sich gegen das Fenstersims lehnte. Ihr Herzschlag verlangsamte sich wie bei einem Gefangenen, der den inneren Kampf beendet und sich mit seinem unabwendbaren Schicksal abgefunden hatte.

Da standen sie sich nun gegenüber; sie in hellen, er in dunklen Farben. Herausfordernd sah er Abby an. Wie apathisch zog Abby die Schuhe aus. Dann entledigte sie sich der Strumpfhose, die sie auf den Boden warf. Als ihre Finger den Bund des Rocks erreichten, flammte Aufbegehren in ihr auf. Sie drehte den Kopf ein wenig nach hinten, Richtung Tür, und hörte, wie Kleidung raschelte. Mit einem Satz war Julian bei ihr.

„Schlag dir das lieber aus dem Kopf. Tust du, was ich von dir erwarte, sind wir bald fertig."

Wieder flatterte ihr Herz wie ein panisches Vögelchen im winzigen Käfig. Fertig womit?

Rückwärts bewegte sich Julian zum Fenstersims. „Zieh dich selber aus. Denn wenn ich es mache, kann ich nicht garantieren, dass ich nicht die Beherrschung verliere." Er grinste bedrohlich.

Ein kalter Schauer lief Abby über den Rücken.

Mit nassen Händen schlüpfte sie aus dem Rock und streifte das Oberteil ab. Nun stand sie beinahe nackt vor ihm in ihrer weißen Unterwäsche, in einem schlichten Bügel-BH ohne Verzierung und einem Slip. Sie bedauerte, diesen Morgen keinen der gefürchteten, hautfarbenen Omi-Schlüpfer angezogen zu haben, die Phils Lust schlagartig absterben ließen, hoffte aber, dass ihr Bäuchlein unsexy über den Bund quoll und Julian so richtig anwiderte. Mindestens genauso wie die zwei Tage alten Stoppeln unter den Achseln und an den Beinen.

Trotzig erwiderte Abby seinen Blick.

Julian reckte das Kinn. „Zieh alles aus."

Abby zögerte.

Er schnaubte und richtete sich auf, als wollte er rüberkommen und ihr zeigen, wie das ging.

Da wanderten Abbys Hände zum BH-Verschluss – und schon war er offen. Als sie ihn zu Boden gleiten ließ, achtete sie darauf, ihre Brüste bestmöglich zu bedecken. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass hier und da eine Brustwarze hervorlugte.

Es kostete Abby Kraft und Überwindung, den Slip von der Hüfte zu streifen. Ihre Hände arbeiteten im Wechsel, um dem Befehl nachzukommen. Schweiß rann als Rinnsal über ihre Rippen hinunter, so sehr stand sie unter Anspannung.

Sie hatte einen Fleck auf dem Teppichboden fixiert und stellte sich vor, sie wäre beim Frauenarzt und würde sich untenrum für eine Routineuntersuchung freimachen. So fiel es Abby leichter, etwas zu entblößen, das nur wenige Männer und ihr Gynäkologe je gesehen hatten.

„Lass die Arme zur Seite fallen ... und du hast es geschafft", versprach die ruhige Stimme des Fremden, der sie in einer perfiden Absicht in diesen Raum gelockt hatte.

Hysterisch lachte Abby auf. Nichtsdestotrotz tat sie wie geheißen. Ihre Hände wanderten langsam zu den Hüften. Sie zuckten, weil sie die Brüste und den Schambereich bedecken wollten. Es kostete sie Überwindung, sie auf Hüfthöhe zu lassen.

Und mit einem Mal fühlte sich Abby so hilflos und ausgeliefert, wie noch nie. Diesem Moment wohnte nichts Sinnliches inne, stattdessen regierte ihn das Streben nach Macht. Julian würde sie nicht anfassen, nicht gewaltsam zu Boden reißen und sie sich nehmen. Davon war Abby mittlerweile überzeugt, und diese Erkenntnis schenkte ihr ein Stückchen Sicherheit zurück. Doch diese verflüchtigte sich beinahe in jenem Augenblick, als Julian aufstöhnte. Scheu hob Abby den Kopf und sah, wie sich seine Augen verdunkelt hatten. Reine Begierde hatte seine Skepsis und Streitlust wie weggewischt. Sein Blick sprang von ihren Brustwarzen zum Dreieck, den dunkle Härchen nur spärlich bedeckten. Rasch hob und senkte sich der Brustkorb. Die Finger zitterten, als kämpfte er gegen den Impuls an, sie anzufassen.

Abby entging nicht, wie er mit sich rang. Wie er die Kontrolle über sich zu wahren versuchte, während alles in ihm danach schrie, diesen weichen Körper mit seinen Kurven zu liebkosen und sich von seinen Trieben leiten zu lassen.

Wer hatte nun Kontrolle über wen?

Aber noch ehe Abbys Selbstsicherheit anfangen konnte, sich zu festen Säulen zu zementieren, fiel sie in sich zusammen, als Julian sich mit kleinen, schnellen Schritten auf sie zubewegte. Vor Schreck machte sie ein paar Schritte zurück, als er vor ihr stoppte.

Sein Mund war halb geöffnet. Er holte tief Luft. Abbys Nacken versteifte sich, weil sie glaubte, dass Julians Selbstbeherrschung gerade flöten ging.

Am liebsten hätte Abby sich geohrfeigt, weil sie dumm genug gewesen war, mitgekommen zu sein. So lange und so fest, bis ihre Wangen rot glühten. Am liebsten hätte sie sich selbst geschlagen, weil sie der Illusion erlegen war, Teil von etwas Bedeutendem werden zu dürfen. Weil sie sich in eine Lage gebracht hatte, in der sie sich zum ersten Mal im Leben bedroht und um Längen unterlegen fühlte.

Abby wollte schreien, wollte um Hilfe rufen. Aber sie konnte kaum die Zähne voneinander lösen. Ihr war, als hätte Nadelbaumharz Ober- und Unterkiefer verklebt. Doch sie hatte zum Glück immer noch Gewalt über ihre Arme. Ihre Hände formten Fäuste, bereit, auf ihn einzuschlagen.

Da wandte Julian den Blick von ihr ab und murmelte: „Du kannst dich wieder anziehen."

Mit schweren, polternden Schritten eilte er zur Tür. Geräuschvoll flog sie auf und ebenso wieder zu. Plötzlich war Abby allein im Zimmer, war verwirrt und verloren zugleich.

Rise of Theseus (Continuum-Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt