Escort-Taxi

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Seit der Begegnung im KFC waren einige Tage vergangen. Abbys Feierabend hatte gerade begonnen. Gut gelaunt trällerte sie leise ein Lied vor sich hin und schlenderte zur Bushaltestelle. Phil hatte ihr erneut zu verstehen gegeben, dass sie gemeinsam versuchen sollten, auf ihr Gewicht zu achten. Im Grunde meinte er, dass Abby sich kalorienbewusst ernähren müsste und er sie dabei unterstützte. Doch darüber ärgerte sich Abby nicht. Stattdessen hielt sie es für eine wunderbare Idee, gebratenes Fleisch, Soßen und Softdrinks von der Speiseliste zu streichen und sich vermehrt auf Gemüsegerichte mit ab und an magerem Fleisch zu stürzen. Darauf freute sie sich nicht nur, weil sie Gewicht reduzieren würde, sondern auch, weil sie sich aufgrund von Stress und Zeitmangel in den letzten Monaten recht ungesund ernährt hatte, wie ihr mittlerweile bewusst wurde.

Abby hatte beinahe die Bushaltestelle erreicht, als ein Auto neben ihr hielt. Bereit, jemandem den Weg zu erklären, drehte sie sich zum Fahrer. Da durchfuhr sie ein Blitz.

„Hey, Abby." Ethan hatte die Fensterscheibe heruntergelassen und lächelte. „Schönes Wetter heute, nicht?"

„Was willst du?", murrte sie. Sie kannte den Rotschopf. Er war es, der Julian, Kendra und sie ins Hotel gefahren hatte.

„Julian möchte dich sehen."

„... und ich möchte, dass Taylor Swift in unserem Wohnzimmer auftritt", entgegnete Abby prompt und verengte die Lider zu Schlitzen. „Du siehst, jeder Mensch hat Wünsche, die nicht in Erfüllung gehen. Außerdem, müsste er jetzt nicht an einer Therapiesitzung für Soziopathen teilnehmen?""

Ethan lachte lautlos. Mit dem Kinn deutete er auf den Beifahrersitz. „Komm schon, steig ein."

Abby lächelte schmallippig. „Für kein Geld der Welt."

Ohne eine Reaktion abzuwarten, setzte sie ihren Gang fort. Ethan folgte ihr nicht.

Sie hatte keine zwei Meter zurückgelegt, als sie anhielt, weil ihr Handy klingelte. Wer auch immer anrief, der wollte nicht, dass man seine Telefonnummer kannte. Ihr schwante Böses. Dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf, dass es sich um jemand anderen handelte, als den, den sie hinter dem Anruf vermutete.

„Ja?"

„Ich dachte mir schon, dass du nicht mitkommen willst", ertönte eine ruhige, dunkle Männerstimme.

Abbys Herzschlag beschleunigte sich. Die freie Hand formte eine Faust, während sich die andere fest um das Handy schloss. „Hör zu, du Psychopath, wenn du mich weiterhin belästigst, zeige ich dich an", brüllte sie und nahm in Kauf, dass einige auf den Bus Wartende auf sie aufmerksam wurden.

Stille. Dann sprach Julian wieder. „Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie du unser letztes Treffen detailliert vor Polizeibeamten wiedergibst."

Ihr wurde mit einem Mal ganz heiß. Sie schluckte.

„Aber irgendwie gelingt es mir nicht."

„Wie wäre es mit Stalking?", warf Abby ein, nachdem sie die Sprache wiedergefunden hatte.

„Ich setze noch einen drauf", konterte er. „Erpressung."

Abby runzelte die Stirn. Erst wollte sie nachhaken, entschied sich jedoch, die Sache auf sich beruhen zu lassen. „Ruf mich nie wieder an!"

„Leg nicht auf", sagte Julian mit einer Bestimmtheit, die Abby aus irgendeinem Grund aufhorchen ließ. „Ich habe Bilder von dir. Besondere Bilder. Und ich habe dank Freunde Kontaktdaten all deiner Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten, die dich im Gegensatz zu mir so noch nie gesehen haben."

„Wie bitte?" Abbys Gesichtszüge entgleisten. Schweiß brach aus allen Poren, während sie panisch in ihrem Gedächtnis kramte. „Wann hast du sie gemacht?"

„Als du auf den Boden gesehen hast."

Abby wurde gleichzeitig heiß und kalt. Nacktfotos. Er hatte Nacktfotos von ihr. Kein Mensch auf dieser Welt hatte welche, weil Abby grundsätzlich keine Nacktaufnahmen von sich machen ließ und darauf vertraute, dass ihre Ex-Freunde keine ohne ihr Wissen angefertigt hatten.

Am Anfang des Gesprächs hatte sie ein Handy in seiner Hand gesehen. Als sie jedoch nackt vor ihm stand, hatte er keines. „Du bluffst!"

„Willst du einen Beweis?", fragte Julian herausfordernd. „Soll ich sie Ethan schicken, damit er sie dir zeigt? Bisher hat er sie noch nicht gesehen, doch das ändern wir gleich."

„Nein!", rief Abby entsetzt aus. Zurück zur anderen Strategie, beschloss sie rasch. Nun musste sie an sein Gewissen appellieren, sofern er eines hatte. „Hör mal, das kannst du doch nicht machen! Ich könnte meinen Job verlieren. Von meinem Gesicht ganz zu schweigen."

Julian antwortete nicht sofort. Abby hatte das Gefühl, dass Sekunden zu Minuten wurden.

„Lass dich zu mir bringen. Dann lösche ich die Fotos."

„Was willst du von mir? Warum ich?" Resigniert ließ Abby die Schultern sinken.

„Warum nicht?", kam prompt zurück.

„Ich habe einen Freund! Ihm wird das Ganze nicht gefallen."

„Deshalb laden wir ihn nicht ein."

„Sehr witzig", stieß Abby zwischen den Zähnen hervor.

„Haben wir einen Deal?"

„Ja", knurrte sie laut und gedehnt. Dann legte sie auf.

Unterwegs bemühte sich Ethan um Small Talk, worauf Abby kaum einging. Wenig später hielten sie an einem größeren, in die Jahre gekommenen Hotel, und sie stieg aus. Ethan nannte ihr die Zimmernummer und empfahl ihr, möglichst selbstbewusst hineinzugehen. Wenn sie so tat, als ginge sie im Hotel ein und aus, würde niemand Fragen peinlicher Natur stellen. Also schob sich Abby vorbei an einer Reisegruppe, die gerade angekommen war, schulterte ihre Tasche und ging mit einem gleichgültigen Ausdruck zum Lift.

Ihr Puls beschleunigte sich wieder, während sie darauf wartete, dass der Aufzug sie in den 6. Stock brachte. Was sie heute wohl erwartete? Wollte Julian einen Schritt weitergehen, weil es ihm nicht mehr genügte, sie nackt zu sehen? Ihr Herz prallte gegen die Rippen. Was, wenn er sich nicht beherrschte? Da sie allein waren, konnte er mit ihr anstellen, was immer er mochte.

Furcht breitete sich in ihr aus, als sie auf der 6. Etage ankam. Was zur Hölle machte sie hier nur?

Rise of Theseus (Continuum-Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt