Genötigt

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Abby machte auf dem Absatz kehrt und holte den Aufzug zurück, da hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.

Julian stand etwa fünf oder sieben Meter von ihr entfernt. Breitbeinig, die Hände in den Taschen vergraben. Da sich niemand außer ihnen im Flur aufhielt, sprach er: „Komm. Es dauert nicht lange. Versprochen."

Abigail zögerte.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und bewegte sich mit großen, schweren Schritten auf sie zu. Widerwillig kam Abigail ihm entgegen.

Nach ihm betrat sie das Zimmer und ließ den Blick über das Bett, den Tisch und die Stühle schweifen. Auch ein kleiner Flachbildfernseher befand sich auf einem Tisch. Braun, Blau und Dunkelgrün dominierten den Raum. Nur die hellen Vorhänge boten etwas farbliche Abwechslung. Fast war es, als hätte Julian das Zimmer in Einklang mit seiner Garderobe ausgesucht.

Wieder stellte er sich ans andere Ende des Zimmers und nickte ihr aufmunternd zu.

„Habe ich dich schlecht behandelt, als du bei uns auf der Schule warst?", wollte sie wissen.

Er schüttelte den Kopf.

„Wofür bestrafst du mich dann also?"

Keine Antwort.

Abby legte ihr Strickjäckchen auf der Stuhllehne ab.

„Warum bist du so scharf drauf, dass ich mich ...?" Sie konnte das Wort „entblößen" in seiner Gegenwart einfach nicht über die Lippen bringen. Eigentlich albern, denn es änderte nichts am Ergebnis. „Willst du mir eine kostenlose Hautkrebsuntersuchung spendieren? Bist du denn dafür qualifiziert?" Sie unterdrückte ein hysterisches Lachen.

Julian lächelte nicht. Mit der linken Hand vollführte er eine Bewegung, die signalisierte, Abby möge in die Gänge kommen. Er wirkte ungeduldig, fast so, als hätte er noch ein Tagessoll an nackten Frauen zu erfüllen.

Abby ließ sich Zeit beim Ausziehen. Jedes Kleidungsstück streifte sie ab, als wäre es aus kostbarem und empfindlichem Stoff, der keine Falten duldete. Sorgfältig hängte sie die Kleidung auf dem Stuhl auf und blieb in Unterwäsche stehen; in einem geblümten BH und einem schlichten weißen Slip. Das müsste genügen, fand sie und versuchte, gleichmäßig zu atmen, damit sich ihr Puls normalisierte. Leider klappte es nicht. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie glaubte, Julian könnte es auch hören.

Als ihm klar wurde, dass Abby nicht gedachte, fortzufahren, legte er den Kopf schräg und sah sie mit einer Mischung aus Genervtheit und Arroganz an. Da sie keinen Finger rührte, schnalzte Julian gereizt mit der Zunge und zog sein Handy hervor. Abby beeilte sich, die Brüste und den Schambereich mit den Händen zu bedecken, und drehte den Kopf zur Seite. Auf diese Weise hoffte sie, dass man sie auf den Fotos möglichst kaum erkennen würde, sollte er erneut welche schießen.

Das hatte Julian allerdings nicht vor. Stattdessen murmelte er vor sich hin: „Theodor.Robertson@..."

Entsetzt schnappte Abby nach Luft. „Woher hast du seine Adresse?"

„Ich habe so meine Quellen", antwortete er, ohne aufzuschauen. „Anhang hinzufügen ... nein, Anhänge hinzufügen. Betreff: Abigail Collins."

„Warte! Schick ihm die Mail nicht", flehte sie.

„Wieso nur ihm?" Er hob den Blick. „Ich habe einen Verteiler mit all deinen Kolleginnen und Kollegen. Ich habe ihn nur genannt, weil er den Anfang macht."

Vor Schreck riss Abby die Lider auf. Ihr klappte die Kinnlade herunter. „Schon gut, schon gut", beeilte sie sich zu sagen und öffnete mit einer Hand den BH. Als dieser auf dem Stuhl landete, verschwand Julians Handy wieder in der Hosentasche.

„Wir haben einen Deal, ja?", erinnerte sie ihn daran.

Er nickte.

Ihre Finger glitten unter den Stoff und schoben den Slip von der Hüfte die Beine hinunter. Mit dem Fuß kickte sie den Slip galant Richtung Stuhlbein.

So stand sie nun da, nackt und verletzlich. Die Beine fest zusammen, die Arme nah am Körper. Schweiß sammelte sich in ihren Achseln und rann schließlich hinunter. Sie strengte sich an, die Atmung unter Kontrolle zu bringen. Aber sie wusste, dass sich ihr Brustkorb trotz aller Bemühungen schnell hob und senkte.

Julians Augen wurden zunehmend dunkel. Hatte er eben entspannt zugesehen, wie sie seinem Befehl Folge leistete, befiel ihn Unruhe. Sein Blick huschte von den Beinen zu den Schultern, vom Dreieck zu den Brüsten.

Bitte nicht, flehte Abby in Gedanken, weil sie genau wusste, was in ihm vorging. Was sollte ein potenter, junger Mann schon wollen, wenn sich ihm weiche, nackte Rundungen so darboten, wie jetzt? Alles in ihr verkrampfte sich. Aus dem Augenwinkel heraus suchte sie die Umgebung nach irgendetwas ab, womit sie sich im Notfall verteidigen könnte. Aber bis auf den Stuhl entdeckte sie nichts, was sie sich hätte greifen können.

Als Julian einen Schritt in ihre Richtung machte, zuckte sie zusammen. Aus einem Schritt wurden mehrere, und auf einmal stand er direkt vor ihr. Abbys Kehle war wie ausgetrocknet. Sie hörte, wie ein Stöhnen seiner Kehle entfuhr, sah, wie er zitterte und die Augen schloss, als kämpfte er den Drang nieder, sie auf das Bett zu schleudern.

Gleichzeitig erwachte in Abby etwas, das lange geschlummert hatte, und sie schämte sich dafür. Julians Gegenwart, sein herber Duft machten etwas mit ihr. Aufregung ließ ihr Herz schneller schlagen. Ihr Körper forderte, berührt und gestreichelt zu werden; ihre Schultern, ihre Oberarme, die Taille und die Hüften. Und plötzlich wurde die Vorstellung, wie er sie aufs Bett hievte, verlockend ...

Julians Gesicht war dem ihren so nah, dass sie den Duft eines fruchtigen Kaugummis riechen konnte. In Erwartung hob Abby den Kopf. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Lippen von den seinen. Komm schon, forderte sie ihn stumm auf.

Mit einem Mal wurden seine Pupillen wieder kleiner und das Blau dominierte seine Augen. Wie Eis, das sich jeden Millimeter zurückeroberte. Er riss den Kopf zur Seite, als könnte er ihren Anblick nicht ertragen, und ballte die Hände zu Fäusten.

„Du kannst gehen", murrte er und stürmte aus dem Zimmer.

„Hey, was ist mit den Fotos?", rief Abby ihm hinterher. Aber noch ehe sie ihren Satz beenden konnte, hatte Julian die Tür hinter sich zugeknallt.


Rise of Theseus (Continuum-Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt