Der wahre Theseus

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Als seine Welt zusammenbrach, wäre Julian am liebsten vom Erdboden verschluckt worden oder hätte sich für immer hinter den schützenden vier Wänden verkrochen. Doch im Nachhinein betrachtet fand er, dass alles, was geschehen war, trotz aller Katastrophen sein Gutes hatte. Selbst wenn er Abigail täglich schrieb und sagte, wie leid es ihm tat, sie so schäbig behandelt zu haben, würde es nichts daran ändern, dass seine Taten nicht einfach so weggewischt werden konnten wie Kreide auf einer Tafel. Natürlich bedauerte er, sie im Moment geistiger Umnachtung benutzt zu haben. Doch mittlerweile sah Julian auch darin das Gute: Er hatte sie in sein Leben gezogen und hatte vor, sie in dieses zu integrieren. Dieses Mal allerdings auf eine völlig andere Art und Weise.

Sein Hass auf Liber8 war längst verraucht. Nicht Jasmine und den anderen hatte er zu verdanken, dass Julian sich um 180 Grad gedreht hatte, sondern lediglich sich selbst und seiner falschen Definition des Leitens und Lenkens von Menschengruppen. Seine irrtümlichen Annahmen, ein Anführer habe so und so zu sein, hatten ihn mehr als nur ein Mal in die Bredouille gebracht. Aber die schmerzhaften Lektionen hatten sein Verständnis davon, Anführer zu sein, auf andere Säulen gestellt. Auf solide, unerschütterliche.

Im Laufe der vergangenen Monate war Julian klargeworden, dass er die Menschen von sich trieb, versuchte er, sie seinem Ziel, der Schwächung der Konzerne, unterzuordnen. Er erkannte, dass sie kein Mittel zum Zweck waren, sondern dass er Verantwortung für sie übernehmen sollte, was wiederum bedeutete, dass er sie keinem weiteren Risiko aussetzen konnte. Daher hatte Julian für sich und seine Mitstreiter einen Richtungswechsel vorgenommen. Weg vom Bekämpfen der Konzerne, hin zum Fördern sozialer Projekte. Dadurch minimierte er die Gefahr für alle, die sich auf seine Seite geschlagen hatten, und tat zugleich etwas ungemein Wichtiges für die Gesellschaft, indem er brillante Ideen stärkte.

Wollte er ein Anführer sein, so musste er sich den unbequemen und unangenehmen Entscheidungen stellen. Eine davon war, auf Kendra und Zoe als Bettgespielinnen zu verzichten. Selbstverständlich hatte es ihm Spaß gemacht, mit ihnen im Wechsel verschiedene Positionen auszuprobieren. Aber seit einer Weile dominierte eine einzige Frau seine sexuellen Fantasien, weshalb ihn die Schäferstündchen mit Zoe und Kendra einfach nicht mehr befriedigten.

Zoe fasste das Ende ihrer Affäre gefasst auf. Kendra hingegen fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Julian hatte schon seit einiger Zeit vermutet, dass sie sich in ihn verschossen hatte. Nun wurde seine Vermutung endgültig bestätigt. Sie weinte, versuchte, ihn zu überreden, weiterhin mit ihr intim zu sein, versprach ihm, keine Eifersuchtsdramen zu veranstalten. Doch Julian blieb eisern, denn er hatte sich entschieden, sie nicht weiter auszubeuten. Auch wenn Kendra nämlich behauptete, die Affäre locker zu nehmen, so hatte sie sich emotional zu sehr an ihn gebunden. So oder so, er musste sie loslassen, damit beide unabhängig voneinander ihr Glück finden konnten.

Als Anführer, der Julian nun mal eines Tages sein wollte, wenn er es nicht schon war, musste er auch andere Entscheidungen fällen, die ihn aus der Komfortzone herausrissen, die sein Leben umkrempelten, die ihm jedoch im Gegenzug ermöglichten, persönlich zu reifen.

So sehr Julian seine Stiefmutter auch schätzte, so war es an der Zeit, flügge zu werden. Er bedankte sich für alles, was sie für ihn getan hatte, und zog aus dem Elternhaus aus. Hatte Julian bisher nur ab und zu unter der Woche bei Alec gewohnt, zog er nun komplett bei ihm ein. Bald wurden Ethan, Chuck, Zoe und Alecs Freunde Dauergäste im Hause Sadler-Randol, was das Band der Freundschaft zwischen allen festigte.

Eine weitere, unangenehme Sache stand ihm bevor. Obwohl Chuck ihn mittlerweile in seinem Haus herzlich willkommen hieß, besuchte Julian ihn nur selten. Bill hatte neue Anhänger gefunden, die wiederum Gefallen an seinen radikalen Rachefantasien an der Oberschicht fanden und sich daher um ihn scharrten. Julian leuchtete ein, dass er kein Recht hatte, sich in Bills Angelegenheiten einzumischen, selbst wenn dieser Tendenzen zur Gewalt zeigte. Immerhin trug auch Julian keine weiße Weste. Aber Bill hatte eine Grenze übertreten.

Rise of Theseus (Continuum-Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt