Die nackte Wahrheit

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Julian hatte sich gegen die Tür gelehnt. Sein Kinn berührte beinahe die Brust. Dunkle Strähnen fielen wie ein Vorhang über sein Gesicht. Er sah sie an, ohne zu blinzeln. Die Mundwinkel wanderten bedrohlich nach oben.

„Setz dich doch", sagte er.

Abby rührte sich kaum von der Stelle.

Wahrscheinlich hatte er niemals vorgehabt, die Nacktfotos zu löschen, sondern wollte sie lediglich hierher locken, wo sie ungestört sein konnten. Fieberhaft überlegte Abby, wie sie ihn von der Tür bekommen und die Situation, die sich mit besorgniserregender Energie auflud, entschärfen konnte.

Da hatte Abby eine Idee.

„Herzlichen Glückwunsch!" Sie bemühte sich, selbstbewusst und entspannt zu klingen. „Ihr habt es geschafft, den letzten Konzern zum Umdenken zu bewegen."

„Soweit ist der Konzern leider nicht", entgegnete Julian. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und fing an, im Zimmer auf- und abzuwandern. „Aber immerhin ist der Stein ins Rollen gekommen. Es werden Verhandlungen aufgenommen und führen hoffentlich zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen."

„Das ist doch großartig", rief Abby in gespielter Begeisterung aus, die Teil ihres Fluchtplans war. „Ein Schritt in die richtige Richtung."

„Mhm, ja", stimmte Julian ihr zu und blieb so nah vor ihr stehen, dass sie den Arm nicht ausstrecken könnte, ohne ihn zu berühren.

Da war er wieder, dieser lüsterne Blick. Er leckte sich die Lippen und lächelte.

Abby trat zur Seite. „Ist das nicht anstrengend, Julian?"

„Was?"

„Sich so verbissen in die Sache zu stürzen?"

Seine Stirn bewölkte sich. „Wie kommst du darauf, dass ich verbissen bin?"

„Man sieht es in deinen Augen", antwortete Abby. „Diese Obsession, diese Zielstrebigkeit, der Zorn ..."

Wieder änderte sich sein Gesichtsausdruck. Er reckte das Kinn vor und sah mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Verärgerung wie von oben auf sie herab.

Treffer! Innerlich jubelte Abby. Wie erwartet hatte sie seine Annäherungsversuche zerschlagen, indem sie einfach nur gesagt hatte, was ihr von den wenigen Treffen aufgefallen war.

„Es scheint, als müsstest du dich behaupten, als müsstest du jemandem etwas beweisen", fügte sie ihrer Behauptung hinzu. „Oder: Als wolltest du etwas widergutmachen."

Er drehte den Kopf zur Seite, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.

„Hast du überhaupt noch das Gefühl, zu leben? Das Leben zu genießen?", fragte Abby vorsichtig und schaute ihn direkt an.

Plötzlich kehrte die Selbstsicherheit in ihn zurück. Seine Lippen formten ein überlegenes Lächeln. Die Lider verengten sich, während er ihrem Blick standhielt. „Und du? Gefällt dir dein Leben an der Seite des Langweilers? Die öden Abende mit Pärchen und zwei, drei Runden Monopoly?"

Pikiert starrte Abby ihn an.

„Oder macht es dir Spaß, tagsüber einer einfachen Tätigkeit nachzugehen, die niemals Spuren hinterlassen wird, und den Abend vor dem Fernseher zu verbringen?", bohrte Julian weiter nach und grinste, weil er den perfekten Gegenangriff gestartet hatte.

„Woher ...? Wie ...?"

„Ich habe meine Quellen, Abigail." Er verringerte den Abstand zwischen ihnen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Phil ist kein Langweiler", war alles, was Abby hervorbringen konnte. Julians Worte hatten ihr den Wind aus den Segeln genommen und sie wie eine Lawine überrollt. Seit wann ließ er sie beschatten? Aber vor allem: Warum zur Hölle?!

Rise of Theseus (Continuum-Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt