Das Date

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Bisher hatte Julian Bill nur als potenziell gefährlich eingeschätzt. Ihm war nicht entgangen, dass Bill sich zwar gern auflehnte und versuchte, seinen Willen durchzusetzen, und dass er sich bisher trotzdem Julians letztem Wort gebeugt hatte, vielleicht, weil er Julian einfach von Anfang an als Anführer akzeptiert hatte. Sie waren wie zwei Planeten, von denen einer aufgrund seiner Anziehungskraft die Umlaufbahn des anderen bestimmte. Nun jedoch, da die Wechselwirkung zwischen den beiden Planeten empfindlich gestört und destabilisiert worden war, bestand die Gefahr, dass sie miteinander kollidierten.

Mit katastrophalen Folgen für alle, die sich in ihrem Wirkungsfeld befanden.

Bill hielt seinem Blick mit Kälte und leiser Verachtung stand. Hier und jetzt würde sich entscheiden, ob sich zwischen den ehemaligen Verbündeten ein langer, unerbittlicher Kampf entbrannte. Die Luft war zum Zerreißen gespannt.

Schließlich entspannten sich Bills Züge, und er grinste. „Alter, hast du Eier", lachte er. „Du kriegst Theseus. Ist sowieso ein verstaubter Name und nicht zeitgemäß. Wer will schon nach jemandem aus der griechischen Mythologie benannt werden?"

Julian ließ ihn los.

Bill drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und lachte leise vor sich hin, als er zurück ins Haus ging.

Nachdem Bill aus seinem Sichtfeld verschwunden war, atmete Julian erleichtert aus. Auch diese Schlacht hatte er gewonnen, und das war ihm viel wert.

Das Leben war mal wieder entgleist. Hatte die Schienen verlassen, die extra für seinen Lebensweg verlegt worden waren. Wie damals, als sein Vater brutal aus Julians Alltag gerissen worden war. Doch im Gegensatz zu damals war es wieder dabei, sich zu sortieren und Struktur zu bekommen. Nun kannte Julian seinen Kurs, nun hatte er seine Pläne neu aufgestellt und sich Etappenziele gesetzt. Die Routine, die er fortan pflegte, gab ihm wieder einen sicheren Halt und neue Aufgaben, von denen er auf mannigfaltige Art und Weise profitierte. Die Routine ermöglichte ihm, seine Komfortzone nicht nur zu erweitern, sondern auch, sie zu verlassen.

Stabil, wie sein Leben nun geworden war, war es an der Zeit, ins kalte Wasser zu springen. Er mochte Abigail sehr, und er hatte nun kein Problem damit, es sich einzugestehen. Er wollte sie um sich haben, wollte ihre Gesellschaft genießen und er wollte sie spüren, ihre weichen Lippen, ihre glatte Haut. Er wollte endlich ihren Körper erforschen und mit ihr auf rein fleischliche Weise verschmelzen, und er hoffte, dass es ihr ähnlich erging.

Am Samstagabend verabredeten sich Julian, Ethan und die anderen in einem angesagten Club, der dafür bekannt war, deutlich weniger Popmusik zu spielen als andere. Nervosität begleitete Julian bereits durch den gesamten Tag und hinderte ihn daran, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren, weshalb er kaum etwas erledigt hatte. Auch im Club konnte er sich nicht so recht entspannen. Während seine Freunde ausgelassen tanzten, lachten und mit anderen Gästen flirteten, saß er die meiste Zeit über auf einem der Sofas und beobachtete die Feiernden.

Er wusste nicht, was er sagen sollte, wenn Abigail endlich erschien. Sollte er sie zum Tanzen auffordern, oder war es zu Old School? Sollte er sie fragen, ob sie Lust auf eine Runde Video-Games hatte, die im Foyer im mannshohen Spielautomaten auf Zahlungsfreudige warteten? Oder einfach nur vorschlagen, cool nebeneinander auf dem Sofa abzuhängen?

Vor lauter Überlegungen rauchte sein Kopf. Julian machte einen Schluck aus der Bierflasche und tippte mit dem Bein zur Musik. Na ja, dachte er, vielleicht einen Tick schneller. Oder so schnell wie ein nervöser Bankräuber, der nur darauf wartete, dass seine Bande mit dem gestohlenen Geld zurückkehrte, um dann aufs Gaspedal zu drücken.

Wo blieb sie nur?

Julian rief den Messenger auf. Keine neue Nachricht von ihr. Die letzte war eine Zusage mit einem lächelnden Smiley.

Jepp, er hatte neun Uhr geschrieben. Nun war es beinahe zehn.

Kaum hatte Julian das Handy in seine Hosentasche gesteckt, da erblickte er sie inmitten der tanzenden Menschen. Wärme durchflutete ihn. Endorphine rauschten durch seine Adern und füllten jede Zelle mit neuer Kraft. Plötzlich tönte die Musik klarer aus den Boxen und das rotierende Scheinwerferlicht überraschte mit einem reichhaltigen Spektrum. Auf einen Schlag nahm Julian seine Umgebung intensiver wahr, als hätte er bewusstseinsverändernde Mittel zu sich genommen.

Abby hatte die Tanzfläche verlassen und schaute sich um, als suchte sie nach bekannten Gesichtern. Sie trug eine geblümte Bluse, deren obere Knöpfe offen waren und einen Blick auf das verführerische Dekolleté gewährten. Ihr schwingender Rock war von einem hellen Ton und reichte bis zu den Knien. Viel zu lang, fand Julian. Doch es gefiel ihm, dass sie farblich mal wieder aus der Menge herausstach.

Er holte tief Luft und steuerte auf sie zu.

„Du bist ja doch gekommen", stellte er wenig geistreich fest, war aber froh, dass seine Stimme nicht zitterte und er nicht stotterte, als er ihr die Worte beinahe ins Ohr brüllte.

„Natürlich. Ich hatte es ja versprochen", meinte Abby. „Eigentlich wollte ich früher da sein, aber mein Bus war ausgefallen. Als ich beim nächsten Busfahrer nachfragte, wo die Linie abgeblieben war, meinte er, heute sei ja Samstag."

Amüsiert hob Julian die Brauen.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihm diese Ausrede mal durchgehen lassen."

„Magst du einen Drink?"

Abby nickte.

Gemeinsam schlenderten sie zur Bar.

Rise of Theseus (Continuum-Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt