Kapitel 33 "Die falschen Wörter in der falschen Zeit"

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Anastasia

Es fühlte sich komisch an wieder zurück zu sein. Ich habe immer noch Angst, dass es ein Streich ist. Dass mein Gehirn es nur vortäuscht um es einfacher zu machen. Es könnte auch alles nur eine halitination sein. Ein schlechter Traum. Eine Vorstellung. Das alles war noch möglich. Und auch als mich Alejandro nach oben in mein oder eher gesagt unser Zimmer begleitete um mich Bett fertig zu machen, hielt ich daran fest, dass es nur ein Traum war. Es musste ein Traum sein. Anders würde es kein Sinn ergeben. Warum sollte mich Lorenzo sonst so in Ruhe lassen? Und mich ganz zufällig an einem Sonntag finden, wo unsere Sonntagstradition stattfindet?
„Leg dich erst mal schlafen mein Engel. Wenn du morgen aufstehst wirst du merken, dass das kein Traum ist", erklärte er mir ruhig, während er mich zudeckte. Fragend schaute ich ihn an. Woher wusste er das?
„Du bist schon die ganze Zeit so drauf, als wärst du dir nicht sicher, ob das ein Traum ist oder die Realität. Deswegen habe ich das gesagt. Außerdem kenne ich dich gut genug." Noch einmal strich er die Decke glatt und schaute mich an. Sollte ich etwas sagen?
„Möchtest du mit offenem Licht schlafen, oder mit geschlossenem?"
„Aus bitte", flüsterte ich nur. Ich hasste meine Stimme. Sie hörte sich so komisch an. Ich fühlte mich komisch. Bestimmt sah ich auch komisch und schrecklich aus. Wie konnten die beiden mich nur so ansehen?
Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen und fragte die Frage, die mich in diesem Moment am meisten interessierte.
„Wann kommt Lorenzo?" Denn ich wollte nicht alleine schlafen. Nicht nach all den Monaten.
„Gar nicht mein Engel. Er schläft auf dem Sofa. Er möchte, dass du genügend Platz hast und dich bequem ausschlafen kannst."
„Soll kommen... bitte."  Er nickte nur und stand auf. Würde er mich jetzt hier alleine lassen? Ich möchte nicht alleine sein. Nicht nochmal.
„Ich geh schnell runter und versuche ihn zu überreden, falls es aber nicht klappen sollte kann ich bei dir schlafen", er lächelte mich aufmunternd an. Dass er bei mir schläft würde auch gehen. Hauptsache ich bin nicht alleine. Aber irgendwie möchte ich auch, dass Lorenzo bei mir ist. Er hat mir gefehlt.

Die nächsten Minuten vergingen viel zu langsam. In der Zeit beobachtete ich unser Zimmer. Es hatte sich verändert. Glaube ich zumindest. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, wie es davor aussah. Als sich die Tür öffnete hatte ich den Drang sofort in die Richtung zu schauen, doch traute ich mich nicht. Meine Augen lagen immer noch auf der Wand.
„Anastasia?" Seine Stimme klang... keine Ahnung um ehrlich zu sein. Ich habe keine Ahnung wie seine Stimme klang. Aber er war da. Er war gekommen. Mein Vater hatte es geschafft ihn zu überreden. Die Tür schloss sich langsam, doch kam er nicht zu mir. Blieb er dort stehen?
„Anastasia ist alles in Ordnung?", er war ruhig. Viel zu ruhig. Und irgendwie war seine Stimme nicht mehr so fest wie früher. Was hatte sich noch an ihm verändert? Wie konnte ich das davor nicht bemerken?
„Soll ich wieder gehen?" Ich konnte nicht antworten. Meine Stimme klang schrecklich. Er sollte sie nicht hören. Nie wieder.
„Ich geh schnell Alejandro holen. Es war eine dumm Idee, dass ich bei dir bleibe anstatt Alejandro. Tut mir leid." Er sollte nicht gehen. Er sollte bleiben.,
„Nein", krächzte ich. Meine Stimme klang heiser. Und so schrecklich. Wie konnten die beiden meine Stimme ertragen. Sie klang viel zu furchtbar. Ich wollte nicht mehr reden. Nicht mehr aufstehen. Nicht mehr essen. Einfach nur schlafen.
„Soll ich Alejandro nicht holen?" Ich schüttelte den Kopf. Er sollte hier bleiben und nicht Alejandro.
„Okay. Dann schlaf du. Soll ich das Fenster öffnen?... Lieber nicht, sonst wird dir noch kalt", er lief hin und her. Konnte nicht still stehen. Wahrscheinlich wusste er nicht, was er machen soll.
„Soll ich die Heizung an machen? Dann ist dir schön warm. Gemütlich und warm. Dann kannst du schön durchschlafen. Außer dir wird zu warm. Lieber nicht. Ich möchte nicht, dass dir zu warm wird." Ich lies ihn reden. Es ist besser, wenn er redet anstatt ich. Doch vielleicht hätte ich ihn stoppen sollen, denn irgendwie war er in Panik.
„Doch verdiente er die Panik. Er verdiente mehr, weil er ein Arschloch war. Weil er mich nicht früher gefunden hatte. Weil er mich dort alleine gelassen hat. Er hätte mich früher finden müssen, dann hätte ich weniger gelitten. Es ist seine schuld und dafür muss er jetzt leiden, sowie ich in den letzten Monaten gelitten habe."
„Es tut mir leid...", kam es von ihm. Erst als er mich so Reue voll anschaute, wusste ich, dass ich es laut gesagt habe.
„Lorenzo", ich versuchte mich zu erklären. Dass ich es gar nicht so meinte, aber er lies es nicht zu.
„Ist schon in Ordnung Anastasia. Geh schlafen, wenn du möchtest. Du kannst auch wach bleiben. Aber ruh dich aus." Mehr sagte er nicht. Und lies auch nicht zu, dass ich etwas sagte. Ich versuchte solange wach zu bleiben um mit ihm zu reden, doch irgendwann schlief ich ein. Als sich die Tür öffnete, öffnete ich meine Augen. Lorenzo kam mit einem Tablett rein. Es roch nach schöner Hühnersuppe und Kamillentee. Lorenzo setzte es ab. Sagte nichts. Sprach nicht. Saß nicht auf dem Bett, doch fing er an mich zu füttern. Er pustete immer als erster und füttere mich anschließend. Als meine Suppe fertig war stand er wieder auf. Ich sammelte ,einem ganzen Mut und versuchte ihn erneut anzusprechen.
„Lorenzo-", weiter kam ich nicht, denn erneut blockte er mich ab.
„Anastasia es ist in Ordnung, wirklich." Mehr sagte er nicht und ließ auch nicht zu, dass ich weiter redete.
„Aber..." Mehr konnte ich nicht sagen. Denn er hörte mir nicht zu. Er nahm das Teller und den Tablet und machte sich auf den Weg das Zimmer zu verlassen.
„lässt du mich alleine?", eigentlich wollte ich das nicht fragen. Denn es sollte mir egal sein, jedoch war es mir nicht egal. Ich wollte, dass er bei mir bleibt. Und ich hatte es verbockt. So komplett. Wahrscheinlich bereut er es mich gerettet zu haben.
„Ich hole Alejandro. Er wollte etwas mit dir Zeit verbringen." Sofort schüttelte ich den Kopf. Er sollte bleiben nicht mein Papa. Wir mussten das klären und zwar dringend.
„Nein, du."

„Ich muss das Haus aufräumen, ich kann nicht bei dir bleiben. Außerdem ist Alejandro jetzt gerade eher die bessere Wahl. Er kennt dich viel besser."
„Lorenzo, dass vorhin war nicht so gemeint!", ich redete so schnell wie ich konnte, nur damit er mich nicht unterbrach. Es klappte auch, nur wusste ich nicht, ob er mich überhaupt verstanden hatte.
„Okay. Es ist aber in Ordnung, wenn du so denkst, denn ich tue es auch." Er sagte es so, als hätte er mir nicht geglaubt. Und das brachte mich zur Verwirrung über meine eigenen Gedanken. Wollte ich, dass er so etwas verdient? Nein, ganz bestimmt nicht. Er ist immer noch mein Ehemann.
Keiner von uns sagte etwas dazu. Eigentlich hätte ich sagen müssen, dass ich nicht an so etwas denken, doch hatte mich der Mut schon längst verlassen.
„Stör ich euch beide bei irgendetwas?", fragte und Alejandro. Er blieb noch bei der Tür stehen. Lorenzo murmelte irgendetwas und verließ anschließend das Zimmer. Er sollte zurückkommen.
Mein Vater setzte sich zu mir aufs Bett und hielt meine Hände fest. Wir fingen an zu reden. Er fragte mich, was vorgefallen war. Ich erklärte ihm alles, und er unterbrach mich nicht. Dann musste ich aber meinem Vater sehr lange zuhören. Viel zu lange meiner Meinung nach. Er erzählte mir, wie es Lorenzo in den letzten Monaten ging. Wie er nicht aufgegeben hat mich zu finden. Wie er stundenlang nicht schlafen konnte und weinte, weil er sich die Schuld gab. Wie er und mein Vater zusammen Zeit verbrachten um einander Kraft zu geben. Ich hörte ihn zu. Versuchte zu verstehen. Verstand es auch. Und vielleicht klingt es egoistisch, wenn ich jetzt sage, dass ich alleine war und die beiden zusammen, aber das war so. Sie waren hier. Zusammen und wer weiß mit wem noch.
„Während ich dort alleine im Dunkeln misshandelt und vergewaltigt wurde. Ja, Lorenzo die Schuld zu geben war dumm. Aber du kannst sein Verhalten nicht verteidigen, indem du sagst, dass er sich die Schuld gegeben hat. Denn jetzt benimmt er sich wie ein Feigling." Schon als ich die Wörter aussprach bereute ich sie. Zu einem, weil ich meine Stimme benutzte und zum anderen, weil Lorenzo eigentlich kein Feigling war. Ich bin eigentlich der Feigling, weil ich schuldige suche um nicht mir selber die Schuld zu geben.
„Dass musst du mit ihm klären Anastasia. Aber sei nicht so Hart zu ihm, wie deine Wörter gerade eben." War ich hart? Wenn sie das hart finden, wie würden sie meine Vergangenheit finden?
„Außerdem solltest du aufhören alles mit dem Geschehnis von damals vergleichen. Ja, es ist hart. Aber, dass was den anderen passiert ist, ist auch hart. Egal, wie hart deins ist, hör auf das mit damals zu vergleichen. Bitte. Das verdient niemand. Und so lernst du nie abzuschließen."
„Ach, damit abzuschließen?! Willst du mich eigentlich auf den Arm nehmen!" Ich wusste nicht, was ich sagte. Eigentlich wollte ich das nicht sagen. Denn eigentlich verdiente er das nicht. Keiner von den beiden.
„vielleicht ist es besser, wenn du erst einmal alleine bist und versucht zu entspannen."
„Nein!"
„Es ist besser für dich. Denn Lorenzo verdient es nicht, dass du ihn so behandelst."
„Ach ich verdiene es?!", ich schrie wie noch nie. Vielleicht werde ich verrückt?
„Nein, mein Schatz. Das meine ich doch nicht. Aber hör auf uns die Schuld zu geben."
„Er hat mich damals raus geschmissen! Hätte er das nicht gemacht, wäre mir das nicht passiert!"
„Du bist jetzt gerade wütend, deswegen sagst du das." Wie konnte er nur so ruhig bleiben? All die Monate hatte ich es verdrängt, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass ich Lorenzo für etwa die Schuld gab, wofür er nichts konnte. Ich wollte es verdrängen. Einen Schuldigen suchen. Und da habe ich nicht den Psychopathen vor mir genommen, sondern jemanden, den ich eigentlich sehr mag.
„Ich möchte mit ihm reden.", Gott hasste ich diese Stimme. Warum redete ich überhaupt so viel.
„Solange du mir versprichst nicht so gemein zu ihm zu sein, hole ich ihn rein." Dieses Mal wollte ich wirklich nur reden. Niemanden die Schuld geben. Einfach nur reden. Und versuchen es zu verstehen.
„Versprochen." Mein Vater nickte mir zu und lächelte. Er glaubte immer noch daran, dass alles besser wird. Doch ist ihm nicht bewusst, dass wir schon runtergefallen und zerbrochen sind. Nichts wird besser. Niemals wieder. Um etwas zu retten war es schon zu spät. Viel zu spät.

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