Kapitel 35 "6 Jahre später"

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Anastasia

6 Jahre später

„Welche drei guten Dinge sind in dieser Woche passiert?", die ruhige Stimme von Josh beruhigte mich erneut. Schon seit Jahren fängt unser Gespräch so an. Und schon seit Jahren fing ich an ehrlich zu antworten. Mal habe ich weniger als drei Dinge, mal mehr. Doch versuchte immer drei Stück zu nennen.
„Ich habe Sushi gegessen. Ich wurde angenommen und darf jetzt ein Vorstellungsgespräch führen, mit Nolan irgendwas. Und ich habe mir neue Bücher gekauft.", erklärte ich ihm.
„Was für Bücher?", er war interessiert daran und zeigte Neugier. Er versuchte nicht mich zum reden zu bringen. Oder irgendwie schon. Aber och musste ihm nicht antworten, wenn ich nicht wollte.
„Eine Neue Buchreihe von Brittany C. Cherry.", die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Mein Mathelehrer wäre stolz auf mich.
„Und hast du schon angefangen sie zu lesen?" Wie ich angefangen hatte sie zu lesen. In den letzten Jahren nachdem Geschehnis mit dem Mann dessen Name nicht mehr genannt werden darf, habe ich meine Liebe zu Büchern gefunden.
„Ich habe den ersten Band schon gelesen. Die Geschichte war einfach nur so schön. Es ging mehr als nur die Liebe. Es ging um Drogen, Misshandlungen und Masken, die die Menschen gerne im Alltag tragen. Und wie die Masken manche Menschen täuschen können. Und das man die Masken nur setzt, um sich selber zu schützten."
„Vor der Wahrheit?", fragte er leise. Er wusste, dass ich eine Zeitlang auch eine Maske getragen hatte.
„Ja und nein. Sie schützten einen vor dem Zerbrechen. Und auch vor der Wahrheit. Mit der Maske verdrängt man das, was einem passiert ist", erklärte ich ihm und dachte unmittelbar an die ersten Tage ohne dem Mann dessen Name nicht genannt werden darf.
„Und trägst du die Maske immer noch?" Trug ich sie noch?
„Ich glaube nicht. Zumindest versuche ich es, weil mein Vater sehr darunter leidet. Ich möchte nicht, dass er sich die ganze Zeit sorgen um mich macht und trotzdem... naja trotzdem macht er sich sorgen", gestand ich leise. Mein Vater und ich hatten eine kompliziertes Verhältnis. Er war echt verletzt, dass ich das mit dessen Name nicht genannt werden darf beendet habe. Doch hat er mich immer wieder unterstützt. Er war für mich da, als ich am Boden war und kurz vor dem Ende stand. Doch wollte er mir nicht glauben, dass ich das beste für mich tat als ich es weggeschickt hatte. Er denkt, dass es mein größter Fehler war und ich immer noch darunter leide.
„Wir sind Väter Anastasia wir machen uns immer Sorgen um unsere Kinder, selbst wenn wir uns eigentlich keine Sorgen machen sollten, weil es zur unserer Aufgabe gehört euer bestes zu wollen." Auch wenn er recht hatte wollte ich nicht, dass er recht hat.
„Das heißt nicht, dass er immer recht. Er denkt, dass es für mich das beste war, aber das sehe ich nicht so. Doch versteht er mic nicht und akzeptiert meine Denkweise nicht." Und da war wieder meine allbekannte Wut. Ich war wütend darüber, dass mein Vater mich nicht verstand und mich nicht akzeptieren wollte. Wäre dessen Name nicht genannt werden darf nicht mit mir verheiratet oder überhaupt in mein Leben getreten, wäre mir all das niemals passiert.
„Findest du, dass alles, was du mit Lorenzo erlebt hast schlimm ist?" Ja. Wollte ich sagen, doch der wissende Blick von Josh ließ mich zögern. War alles schlecht? Unsere Sonntagstradition? Die Tage, die er bei mir war, obwohl er es nie musste? War wirklich alles schlecht?
„Ich... Ich weiß nicht... dass gibt meinem Vater aber kein Recht mich nicht zu verstehen!" Vielleicht wechselte ich das Thema, vielleicht aber auch hatte er das Thema gewechselt. Ich wollte nicht über ihn reden. Nicht mehr. Ich war fertig mit ihm,
„Weißt du, warum er denkt, dass Lorenzo das beste früh dich war?", diese Frage gehörte nicht zu meinen Erwartungen. Er versuchte mich auch nicht zu verstehen, warum muss ich ihn dann verstehen? Genau das sagte ich ihm auch.
„Er versteht mich nicht, aber du erwartest, dass ich ihn verstehe. Dass ist nicht fair von dir!"
„Möchtest du dieses Problem lösen?" Ich nickte sofort wissend. Ich wollte dieses Problem lösen. Wirklich.
„Warum bist du dann nicht bereit über deinen Schatten zu springen und zu versuchen ihn zu verstehen?"
„Weil ich nicht an Lorenzo denken möchte! Er gehört zu dem Teil meiner Vergangenheit, wo alles wehtut! Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich mich hinsetzte und meine Erinnerungen untersuche, wo ich nachdem Grund suche, dass Lorenzo gut für mich ist!" Erst nachdem ich fertig damit war meine Wut rauszulassen bemerkte ich, dass ich seinen Namen gesagt hatte. Nach einer langen Zeit sprach ich seinen Namen wieder aus und das brachte keine Befriedigung. Es machte mir Angst, weil es der Grund war, weshalb ich meine Beherrschung verlieren würde. Wieder einmal. Josh war der erste Therapeut, denn ich nach Monaten aufgesucht hatte. Nachdem ich versuchte hatte, dass es aufhört. Mein Vater hatte mich gezwungen. Und am Anfang war ich darüber wütend doch jetzt bin ich mehr als froh darüber.
„Ich will nicht mehr über ihn reden, nicht heute", meine Stimme zeigte meine Panik und ich wusste, dass ich kurz davor war die Nerven zu verlieren. Schon lange war das nicht passiert und wenn es mal kurz davor war zu passieren habe ich Josh angerufen.
„Möchtest du in der nächsten Stunde darüber reden?", er drängte mich nicht und deswegen war ich so froh darüber ihn als Therapeut zu haben.
„Ich weiß nicht. Eigentlich bin ich fertig mit ihm Josh. Wirklich. Lorenzo ist eine Vergangenheit voll mit Schmerzen. Ich hänge nicht mehr daran, was er damals getan hat und dass er wirklich gegangen ist. Und ich könnte wieder vor ihm stehen ohne Zusammenzubrechen. Ich möchte einfach nicht jede Stunde über ihn reden, oder über den Verräter und Lorenzos Vater. Die beiden gehören zu meiner Vergangenheit."
„Und kannst du dir vorstellen, später einmal wieder eine Zukunft mit Lorenzo zu haben?", eine ganz normale Frage, die ich sofort verneinen sollte. Weil es die einzig richtige Antwort wäre. Die einzig logische Antwort. Doch konnte ich noch nie logisch Handeln. Ich weiß nicht, ob ich nein sagen könnte, wenn er vor mir stehen würde. Vielleicht würde ich ihm gleich in die Arme fallen, vielleicht aber auch würde ich ihm eine verpassen. Das würde an meiner Laune liegen.
„Ich weiß nicht. Außerdem muss ich langsam gehen. Die Stunde ist vorbei", ich lief von der Antwort weg, doch wusste wir sie beide. Ich glaubte an eine Zukunft mit Lorenzo. Ich hoffte vielleicht sogar darauf. Und doch ließ er mich gehen. Ich würde nächsten Mittwoch wieder kommen. Um 15 Uhr, sowie immer.

Mit schnellen Schritten lief ich aus dem Gebäude. Während ich lief achtete ich darauf, dass mein Kleid an seiner Stelle blieb. Mein wunderschönes Gelbes Kleid. Meine Pech schwarzen haare gehen mir bis zu meinen vier Buchstaben. Endlich wieder. Schon seit sechs Jahren schneide ich sie nicht mehr. Ich werde sie nie wieder schneiden. Als Zeichen für meine Vergangenheit. Oder eher gesagt für mich. Sie zeigen mir, dass ich es geschafft habe. Dass ich immer noch auf meinen beiden Beinen, auch schwer, stand ich immer noch auf beiden. Ich hatte es überlebt. Auch wenn es lange gedauert hat. Ich hatte überlebt. Ich kam endlich am Ufer an. Vielleicht nicht so heil, wie es eigentlich sein sollte, doch kam ich an. Mit einer Hand weniger. Und mit einem Lächeln weniger. Doch kam ich an. Vielleicht mit einem Herz weniger. Und einer Seele weniger. Doch kam ich an. Ich wurde stärker. Auch wenn ich fiel. Ich wurde verdammt nochmal stärker, auch wenn fast niemand mehr neben mir stand. Und vielleicht war es auch richtig so. Dass ich es alleine geschafft hatte. So könnte ich Lorenzo Beweisen, dass ich auch ohne ihn stark bin. Mir laufen tausende Männer hinterher. Männer, die mich nicht wirklich kennen. Männer, die mich nicht so kennen, wie Lorenzo mich kannte. Ich hasste, dass ich immer wieder an ihn dachte. Dass ich jeden Mann mit ihm verglich. Dass ich an seine Berührungen dachte. An seine Fürsorge und alles, was mich mit ihm vereinbarte. Ich vermisste ihm, dass konnte ich nicht verschweigen. Doch tat die Tatsache, dass er wirklich aus meinem Leben verschwand sehr weh. Auch wenn ich ihn weg geschickt hatte. Ja, es war meine Schuld. Doch hatte ich es sofort bereut. Als ich im Internet nach ihm gesucht hatte, fand ich nichs über ihn. Gar nichts. So als wäre er über Nacht vom Erdboden verschluckt worden. Vielleicht sogar so als wäre er Tod. Und wenn er Tod wäre, wäre ich seine Mörderin.
Ich würde alles tun, um ihn noch einmal sehen zu können. Egal, ob es von der Ferne währe, oder von der Nähe. Ich möchte ihn noch einmal sehen. Seine Haare noch einmal fassen. Seine Lippen noch einmal kosten. Ihn noch einmal in die Arme schließen. Seine Wärme und seine Liebe noch einmal spüren. Nur noch einmal. Ein letztes Mal.
Hatte er sich verändert? Gewiss nicht. Er war bestimmt der alte Lorenzo. Nichts sollte sich an ihn verändert. Weil er so schon perfekt war. Ich hatte jemanden, der perfekt war verloren. Ich weiß nicht, ob ich ihn wieder haben möchte oder nicht. Ein sehr großer Teil von mir möchte ihn wieder zurück. Doch der andere Teil, der der schon seit sechs Jahren die Macht über mein Herz hat verabscheut ihn und möchte ihn nie wieder zurück haben. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass wenn ich ihn nur wieder sehen würde, dieser Gefühl sterben würde.

Während wie jeden Mittwoch ins Café lief sah ich mich um. In Stuttgart war es meine liebstes Café. Nach meiner ersten Therapie Stunde brachte mich mein Vater hier her. Und seitdem wurde es eine Tradition, die ich nicht brechen wollte. Agatha vorbereitete mir wie immer mein Milchkaffee und einen Marmorkuchen. Ich setzte mich auf einem Platz am Fenster und holte mein neustes Buch raus. Ich liebte es hier zu lesen. Und ich liebte es, mir vorzustellen, dass Lorenzo ebenfalls so ein Mensch wäre wie mein Protagonist.
„Danke Agatha", ich lächelte sie an, während sie ging. Wie ich diesen Ort liebte. Die ganzen Blumen machten es so viel harmonischer. Es war wie in einem Traum. Die
ganzen Tische waren Beige. Während die Blumen alle Farben beinhalteten. Es war wie in einem Blumengarten. Mit den verschiedensten Arten und Farben. Wer sich in diesem Ort unwohl fühlte, der weiß nicht, was für eine Wirkung er auf Menschen haben kann.
Während ich meinen Kaffe trank schaute ich auf dem Fenster. Das Wetter war wunderschön für einen April. Die Sonne schien, keine Wolke war in Sicht und fast alle Menschen hatten gute Laune. Wie das eine verliebte Paar, welches Händchen halten die Sraßen entlang liefen. Sie waren verliebt, dass sah man ihnen deutlich an.
Hinter ihnen kam eine alte Dame, die mit einem Gehstock über die Straße lief. Neben ihr liefen höchst wahrscheinlich ihre Enkelkinder. Alle lachten, der kleine Junge benahm sich wie ein Clown und brachte seine ganze Familie zum Lachen. Selbst mich. Und nach ihnen kam ein junger Mann. Er hatte Kastanien braune Haare. Sein Anzug war grau und war perfekt für ihn gemacht. Sein Gesicht konnte ich nicht wirklich sehen. Da er sein Handy an sein Ohr hielt. Wahrscheinlich telefonierte er gerade. An seiner Handfläche Richtung Daumen hatte er kleines Tattoo. Ein Herz wahrscheinlich, sicher war ich mir aber nicht. Seine Stimme konnte ich nicht hören. Am liebsten wollte ich sie hören. Klang sie auch so streng, wie er aussah? Ein abgefuckter Geschäftsmann,der wahrscheinlich zuseinem Meeting
zuspät kam. Ihn hätte ich auf der Straße nicht angesprochen. Lorenzo wahrscheinlich aber auch nicht. Ich meine, er ist ein Mafioso und die sollte man am besten gar nicht ansprechen. Außer vielleicht im Bett. Aber auch nur, wenn sie es richtig machen sollten.
Gott! Auf welche Gedanken kam ich nur! Dieser Mann erinnerte mich einfach nur an Lorenzo. Und eigentlich wollte ich endlich aufhören an ihn zu denken. Vielleicht war es aber auch besser, dass ich die ganze Zeit an ihn dachte. So werde ich ihn niemals vergessen.

Der VertragWo Geschichten leben. Entdecke jetzt