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POV: Jessica

"Das ist es...", sagte Lukas, als er den Motor seines Wagens abgestellt hatte. "Also, das ist mein Rückzugsort." Wir standen vor seinem berüchtigten Studio beziehungsweise Haus mitten im 'Grünen'. Fassungslos oder wohl eher überwältigt sah ich ihn an. "Was denn? Du hast mir deinen Rückzugsort gezeigt, jetzt zeige ich dir meinen." Er stieg aus dem Wagen, lief um die Motorhaube herum und öffnete mir die Tür der Beifahrerseite. "Bitte sehr, die Dame.", er streckte mir die Hand entgegen, welche ich ergriff und stieg aus.
"Wie schön sieht das bitte aus?", brachte ich leise hervor. "Willst du es gar nicht von innen sehen?", lachte er, nahm wieder meine Hand und führte mich zu der Eingangstür.

Lukas blieb am Eingang stehen und ließ mich laufen, ich sah mir alles genau an. Vor seiner bekannten Akustikgitarre, welche am unteren Teil des Korpus mit mehreren Stickern des bekannten 'a' geziert ist, blieb ich ungläubig mit funkelnden Augen stehen. Langsam hörte ich, wie Lukas über den Holzboden lief, er kam näher. Ich spürte die Arme von ihm, die sich um meine Körpermitte schlangen. "Was ist los, Mäuschen?", flüsterte er mir in mein Ohr und hauchte einen zärtlichen Kuss auf meinen Hinterkopf. Meinen Kopf lehnte ich nach hinten und atmete kurz durch. "Es fühlt sich einfach so surreal an.", ich drehte mich zu Lukas um und sah ihm direkt in die Augen. "Hier in diesem Haus zu stehen, mit dir, in einer Konstellation, die ich mir nie hätte träumen lassen können und ehrlich gesagt auch nie angestrebt hatte... Mir fehlen einfach die Worte." Lukas strich mir über den Hinterkopf und zog mich fest an sich. "Hätte ich gewusst, was mich an dem Tag von unserem Abschlusskonzert erwarten würde, hätte ich alles dafür getan, dass der Bus genau an diesem Rastplatz kaputtgeht.", flüsterte Lukas in mein Gesicht, sein Zeigefinger lag unter meinem Kinn und sein Gesicht kam meinem Näher, bis sich unsere Lippen trafen. "Ich liebe dich, Lukas.", hauchte ich auf seine Lippen, wieder zog er mich in einen Kuss. Wir ließen voneinander ab und mein Blick schweifte wieder zu seiner Gitarre. "Nimm!", forderte er mich auf. "Bitte was?!", brachte ich ungläubig hervor. "Ich sehe deinen Blick, nimm sie und spiel das, was du gerade im Kopf hast.", sanft stieß er mich nach vorn, ich griff nach seiner Gitarre und drehte mich mit ihr zu Lukas um. Er nickte nur und sah mich erwartungsvoll an. Den Gurt legte ich über meine Schultern, ich begann auf seiner Gitarre zu spielen und zu singen.

"Wegen dir lass' ich mein Handy an
Wenn du callst, dann geh' ich ran
Auch wenn ich eigentlich nicht kann

Und du sagst, wegen mir..."

Die letzten Worte des Textes von Max Mutzke waren gesungen und die Saiten der Gitarre wurden langsam stumm. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, Lukas sah mich zufrieden an. "Ich wusste, dass es eine gute Idee war, dir das Haus zu zeigen.", seinen Mundwinkel zog er zu einem verschmitzten Lächeln. Er nahm mir die Gitarre ab, küsste sanft meine Stirn und stellte sie beiseite. "Weißt du... Ich war jetzt auch lange nicht mehr hier. Die beiden Parts habe ich in den vergangenen Tagen zu Hause geschrieben, was wohl bemerkt auch lange nicht mehr der Fall war.", begann er zu erzählen. "Und seit dem Nadelhorst bist du der erste Besuch, den ich hier her eingeladen beziehungsweise mitgenommen habe.", ich folgte seinen Worten. "Du bist aber auch die erste Partnerin, der ich das Haus zeige."

"Lukas...", ich konnten meinen Ohren kaum trauen. "Nach so einer kurzen Zeit?"

"Bei dir ist einfach alles anders.", sagte er gerade heraus. "Der einzige Moment, in dem du mich wirklich als Alligatoah gesehen hast, war auf dem Rastplatz, am Tag vom Abschlusskonzert, als ich noch leicht verschlafen aus dem Bus trottete. Dass du mal etwas wie 'Herr Gatoah' sagst, steht bei dir nicht im Kontext mit 'Alligatoah ist mein Freund'. Bei der Besichtigung der Werkstatt von Herrn Findeisen ist mir das wieder bewusst geworden. Als wir zusammen gesungen haben, in meiner Wohnung oder auch bei deinen Verwandten, fühlte es sich für mich nicht so an, als würde ich mit einem Fan zusammen meine Lieder spielen." Wieder strich er mir sanft über meine Wange. "Von Anfang an wolltest du Lukas kennenlernen, das ist mir gleich bei unserer Unterhaltung im Backstage aufgefallen. Du hättest mich sehen sollen, als du weg warst und ich bemerkt hatte, dass ich nicht nach deiner Nummer gefragt habe oder als ich bei Tim mein Handy verloren hatte. Mir war nicht bewusst, dass meine aufgebaute Fassade so schnell bröckeln könnte, aber dir gegenüber hat es sich, in der so gesehen kurzen Zeit, nie falsch angefühlt. Ich wollte nie, dass etwas über mein Privatleben ans Licht kommt und dann war nach dieser schlimmen Nacht plötzlich dieser Beitrag auf den Plattformen von uns unterwegs, und ich muss sagen, dass es mich nicht so tangiert, wie ich in den letzten Jahren dachte. Es war wohl immer bewusst, dass ich mich mit dir nie versteckt hatte, weil ich realisiert habe, was sich richtig anfühlt." Ich hatte Tränen in den Augen bei diesen berührenden Worten von ihm. Mit seinem Daumen wischte Lukas mir die langsam fließende Zähre von meiner Wange, zog mich an sich heran und sah mir direkt in die Augen. "Ich liebe dich, Jessica." 

Wer Weiß - 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt