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POV: Steven // Sudden

Mitten in der Nacht lag ich übermüdet auf meinem Sofa; in meinen Händen hielt ich den Zettel mit der Telefonnummer, den mir Melinas vermeintlicher Vater vor dem Krankenhaus in die Hand gedrückt hatte. Die Beerdigung ihrer Großmutter war nun auf den Tag genau eine Woche her, seitdem waren wir keine Nacht getrennt gewesen. Entweder war es ein Albtraum, der sie plagte oder eine auftretende Panikattacke. Zwei Tage zuvor hatte sie eine Sitzung mit ihrem Therapeuten, bei der ich sie begleiten sollte, damit ich mit ihm ebenfalls über ihre Schlafsituation sprechen konnte. Noch immer starrte ich die Nummer an, die ich über meinem Kopf hielt, und atmete tief durch. Ich stand vom Sofa auf und lief in meine Küche, um mir etwas zu trinken zu holen und anschließend wollte ich mich wieder in das Bett begeben. Als ich das Schlafzimmer passierte, hörte ich durch die geschlossene Tür, wie Melina lautstark und panisch sprach. Vorsichtig öffnete ich die Tür des Schlafzimmers und sah, wie sie zitternd unter der Bettdecke lag, ich ging näher an das Bett heran, ihre Stirn war wieder schweißnass.
"Ach Süße...", säuselte ich besorgt, Melina schreckte hoch und sah mich erschaudert an.
"Hab... Habe ich dich geweckt, Hase?", fragte sie mit einem unsicheren Ausdruck in ihrem Gesicht; langsam schüttelte ich meinen Kopf und setzte mich auf die Kante des Bettes.
"Was hast du geträumt?", fragte ich vorsichtig. Melina rutschte an mich heran und lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter.
"Er war wieder da...", sagte sie und hob ihren Kopf; Melina sah traurig aus und es sammelten sich Tränen in ihren Augen. "Seitdem er mich im Café angesprochen hat, ist er in meinen Gedanken und in meinen Träumen. Steven, wenn das wirklich mein Vater ist... Wo war er dann die letzten dreiundzwanzig Jahre? Warum bin ich nicht bei ihm aufgewachsen, nachdem meine Mutter verstorben ist? Nach der ganzen Zeit habe ich ein Gesicht. Weißt du, was mich so viele Jahre am meisten beschäftigt hat?", fragte sie und schüttelte den Kopf. "Du weißt noch, wie meine Großmutter hieß, oder?", Melina atmete tief durch.
"Wenn ich richtig gelesen habe und mich richtig entsinne, war ihr Name Hildegard Reuter.", sagte ich und sah Melina direkt in die Augen.
"Merkst du etwas? Oma Hilde hat mir nie gesagt, dass meine Mutter verheiratet war, also habe ich den Nachnamen meines Vaters. Ich habe so viele Fragen, die ich ihm stellen will und habe nicht mal einen Anhaltspunkt, wo ich ihn finden kann. Soll ich warten, bis er irgendwann wieder hinter mir steht und ich wieder das Bewusstsein verliere, weil ich es nicht glauben kann." Wieder legte sie ihren Kopf an meine Schulter und begann bitterlich zu weinen. In meiner Faust hatte ich noch immer den Zettel mit der Telefonnummer von Matteo. Der Zeitpunkt war gekommen, ich musste ihn Melina übergeben. Ich legte meinen Arm um sie und küsste sanft ihren Haaransatz.
"Süße?", flüsterte ich. "Hmm...", war alles, was sie von sich gab. "Du musst mir erst versprechen, dass du nicht sauer auf mich sein wirst.", sagte ich bedrückt.
"Warum? Hast du scheiße gebaut?", sie hob ihren Kopf und sah mich durchdringend an.
"Als ich letzte Woche mit Jess am Krankenhaus eine rauchen war, kam dein Vater auf mich zu. Er hat mir das gegeben.", ich öffnete meine Hand und Melina nahm den Zettel an sich. "Ich hatte ihn dir noch nicht gegeben, weil ich dachte, dass es besser wäre, wenn du vielleicht erstmal abschalten könntest.", ich senkte meinen Kopf und dachte noch einmal kurz darüber nach. Melina strich mir vorsichtig über die Wange und drehte meinen Kopf zu sich, sodass ich ihr direkt in die Augen sah.
"Ich bin dir deswegen nicht böse, es ist schön, dass du Rücksicht nehmen wolltest. Es wäre aber wahrscheinlich besser gewesen, hättest du mir das eher gesagt, Hase." Diesen Worten folgte ein zärtlicher Kuss und sie sah mich erleichtert an.

~*~

Nachdem Melina am Mittag duschen war, kam sie mit ihrem Handy in der Hand sowie dem Zettel von Matteo in das Wohnzimmer gelaufen und sah mich nervös an. Sie setzte sich zu mir auf das Sofa, ihren Herzschlag konnte ich beinahe hören und ihr Blick sprach Bände. "Ich will ihn anrufen.", sagte sie unschlüssig. Ich griff nach ihrer Hand und strich sanft über ihren Handrücken. "Du schaffst das, Süße.", sagte ich ruhig und küsste sanft ihre Stirn. Melina begann die Nummer über das Ziffernfeld auf dem Handy einzugeben und drückte auf den grünen Hörer. Wieder nahm sie meine Hand und stellte das Gespräch auf den Lautsprecher.

Nachdem das Freizeichen das zweite Mal zu hören war, nahm Melinas Vater das Gespräch an.
"Wieczorek, Hallo?", ertönte es durch das Telefon, Melina's Hände waren schweißnass und sie atmete tief durch.
"Ähm... H... Hey.", sagte sie nervös.
"Bist... Melina? Bist du es wirklich?", fragte ihr Vater.
"Ja...", in ihren Augen sammelten sich Tränen und sie schluchzte.
"Ich mag es kaum glauben... Mei... Mein Kind... Du hast sicherlich viele Fragen.", wieder schluchzte sie laut.
"Hmm...", war alles, was sie unter Tränen sagte.
"Soll ich dir deine Fragen am Telefon gleich beantworten?"
"N... Nein...", Melina atmete tief durch, ließ meine Hand los und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ich... ich will dich treffen.", sagte sie entschlossen.
"Wirklich? Das macht mich unglaublich glücklich.", sagte Matteo.
"N... Nächste Woche?", fragte sie und sah mich erwartungsvoll an.
"Sehr gern, hast du am Dienstag schon etwas geplant?"
"Nein... Darf...", ein nervöser Blick lag auf mir. "Darf ich meinen Freund auch mitbringen?", fragte sie und lächelte leicht.
"Na unbedingt. Danke, dass du mir diese Chance gibst."
"Fünfzehn Uhr bei Makery... Bis dahin.", schnell legte sie auf und atmete durch.
Wieder sammelten sich Tränen in Melina's Augen, ich zog sie fest an mich und hielt sie in meinem Arm, bis sie ruhiger war. 

Wer Weiß - 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt