-41-

33 4 1
                                    

POV: Melina

"Behalte heute die Nerven, meine kleine Maus. Du bist nicht allein und ich werde auch da sein, nie wieder wirst du allein sein müssen." Schwer atmend wachte ich auf; es fühlte sich an, als hätte mir jemand einen Amboss auf den Brustkorb gesetzt. Diese Stimme klang so nah und so vertraut, aber was sponn ich mir in meinem Kopf zusammen? Als ich mich umdrehte, zu der Seite des Bettes, auf der Steven eigentlich liegen sollte, griff ich ins Leere. Die Seite des Bettes war noch leicht warm. Ich stand auf und verließ das Schlafzimmer von Steven. Seine Wohnung war dunkel, ich lief in das Wohnzimmer und sah durch das Fensterglas die Glut an einer Zigarette aufleuchten. Ich lief auf die Balkontür zu und öffnete sie.

"Kannst du nicht schlafen, Hase?", fragte ich vorsichtig. Steven schüttelte leicht mit dem Kopf und nahm einen weiteren Zug von der Zigarette. "Was ist denn los?", fragte ich besorgt. Er drückte die Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Tisch aus und sah mich wieder an.
"Ich bin wach geworden, weil du im Schlaf ein paar Worte vor dir hin gesäuselt hast. Ich wollte dich, aber nicht wecken.", sagte er und kam zu mir herein.
"Was habe ich denn gesagt?", fragte ich.
"Du hast gesagt, dass er nicht gehen soll, weil er wichtig sein könnte.", erklärte er ruhig.
"Habe ich gesagt wer?", Steven antwortete mit einem Kopfschütteln, lief in den Flur und legte seine Winterjacke ab. Er kam zurück in das Wohnzimmer und sah mich an.
"Darf ich fragen, was du geträumt, Süße?", ich ließ mich auf dem Sofa nieder und sah zu ihm hoch.
"Ein Mann sagte, dass ich niemals wieder allein sein muss und ich heute die Nerven behalten soll. Vor ein paar Tagen hatte ich einen Traum, da war ich quasi noch ein Baby. Ich lag in einer Wiege und genau derselbe Mann brachte mich, nach einem Schreck, zur Ruhe. Als ich mich nach diesem Traum wieder schlafen legte, saß ich in dem Traum, der folgte, in meinem Kinderbett und der Mann verabschiedete sich von mir.", erklärte ich. Steven setzte sich zu mir und nahm meine Hand.
"Weißt du noch, wann du das geträumt hast?", fragte er, mit seinem Daumen strich er sanft über meinen Handrücken.
"Als du vorgestern mit Duff unterwegs warst. Ich wurde nachts auf meinem Sofa nach dem Traum in der Wiege wach, hatte zur Beruhigung einen geraucht und danach folgte der zweite Traum.", ich rutschte näher an meinen Freund heran, legte ein Bein über seinen Oberschenkel und er legte seinen Arm um mich.
"Ich bin mir nicht sicher, aber haben deine Träume vielleicht etwas mit dem Fremden aus dem Café zu tun?", fragte er und strich mir über den Rücken.
"Ich kann es dir nicht sagen.", ich senkte meinen Kopf.
"Hmm... okay, aber seitdem zerbrichst du dir ab und an mal den Kopf.", merkte Steven an.
"Ich weiß, aber ich hatte das Gefühl, irgendeine Verbindung zu spüren."

POV: Steven // Sudden

Nach der letzten Nacht hatte ich kein Auge mehr zugemacht, wenn Melina momentan ihre Ruhe fand, war mir das genug. Der Moment, den sie vor Wochen angekündigt hatte, war gekommen. Wir standen zusammen vor dem Grab ihrer Großmutter. Vor dem hohen grauen Grabstein, den eine horizontale Blätterranke zierte, stand ein Bild ihrer Großmutter. Ein Grabgesteck in cremeweiß mit Rosen und Lilien stand im Mittelpunkt vor dem Grabstein. Melina griff in das Körbchen, in dem sich Rosenblätter befanden, und streute diese über den Sarg aus Kiefernholz. Sie ließ der Trauer freien Lauf, ich stand hinter Melina und legte ihr meine Hände auf die Schultern, einen sanften Kuss hauchte ich auf ihre Haare. Ihr Halbbruder Julian kam zu uns nach vorn und nahm Melina ebenfalls in den Arm; er war extra aus der Schweiz angereist und der letzte Verbliebene aus Melina's Familie. In einer ruhigen Minute bedankte er sich bei mir, dass ich Melina begleitet hatte. Auch wenn sie wenig Kontakt hatten, war seine Halbschwester ihm äußerst wichtig. Bevor Julian sich von uns auf dem Friedhof verabschiedete, wünschte er uns noch viel Glück.
"Oma Hilde? Das ist Steven...", begann sie zu sprechen. "ich hätte mir gewünscht, dass du ihn persönlich kennenlernen kannst, aber das Bronchialkarzinom hat es leider nicht zugelassen. Ich hatte nicht gedacht, dass es die Liebe auf den ersten Blick wirklich gibt, doch dass ich gerade ihn um Hilfe gebeten habe, war das Beste, was mir in meinem Leben widerfahren ist.", eine letzte Träne lief Melina an diesem Tag aus dem Auge, aus ihrer Tasche zog sie einen Ring hervor, den sie zu dem Bild legte. Melina kam zu mir zurück und legte ihre Arme um meine Taille. "Danke, dass du mitgekommen bist.", sagte sie, als sie zu mir hochblickte. Vorsichtig hob sie ihre Hand und strich mir sanft über meine Wange, ich sah ihr direkt in die Augen. "Ich liebe dich.", sagte sie mit zarter Stimme. "Ich liebe dich auch.", sagte ich ruhig und zog sie in einen zärtlichen Kuss.

Wir drehten uns um, da wir den Friedhof verlassen wollten und blickten einen gut gekleideten Mann an. "Hallo.", sagte er zögernd. "Guten Tag, hatten Sie mich nicht vor kurzem in einem Café angesprochen?", fragte Melina, ich spürte ihren Griff an meiner Hand fester werden. "Ja... Mein Name ist Matteo... Matteo Wieczorek.", sagte er. Melina blickte ihm stumm an, es schien als würde ihr die Luft wegbleiben. "Hase?", ich hatte Angst um Melina. Sie wurde blass und sie bewegte sich keinen Meter. "Schatzl?", wie versteinert stand sie an Ort und Stelle. "Melina?", sie kippte langsam nach hinten, gerade so konnte ich sie halten. 

Wer Weiß - 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt