Kapitel 1

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Wenn ich vorstellen darf … Mein Name ist Elenore Harper, jedoch werde ich von allen nur Elli genannt. Ich würde mich als ein langweiliges Mädchen bezeichnen, deren einziger Höhepunkt die Woodstone Academy ist. Ein teures Internat, dem ich mithilfe eines Stipendiums beiwohnen darf. Nicht das ich besonders schlau wäre. Ich liebe Bücher und als ich zwölf war, habe ich aus Spaß an einem Wettbewerb teilgenommen.
Außer meinem Talent für das Seiten bekritzeln war da nicht viel zu erzählen. Ich besaß nicht wirklich viele Freunde, eher Bekannte, die meinen Schulalltag begleiten. Da war Marie, sie teilt sich mit mir ein Zimmer, doch wir waren wie Tag und Nacht. Während sie am liebsten rund um die Uhr ihr Schlagzeug malträtieren würde, versuchte ich mit meinen Kopfhörern die Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts zu erkunden. Ich war altmodisch. Wahrscheinlich noch solch ein Grund, warum ich im Beliebtheitsranking nicht mal aufgelistet war. Für die meisten existierte ich nicht. Das war gut, schätze ich. Dann war da noch mein Stiefbruder Ethan. Warum er an dieser Schule war, konnte ich nicht wirklich erklären? Er war ein Raufbold, ein Roadie, ein Grobian. Die Jungs hatten Angst vor ihm, die Mädchen schmachteten leise vor sich hin.  Unsere Eltern lernten sich kennen, da waren wir gerade mal zehn. Mit zwölf wurden wir in die Woodstone Academy in Pennsylvania abgeschoben und seitdem bekamen wir jedes Jahr lediglich eine Postkarte zu sehen. Ethan hat mehrere Monate kein einziges Wort mit mir geredet. Es sei meine Schuld, dass sie uns verlassen haben. Später schwenkte er um. Schließlich existierten nur noch wir. Wir waren nie die Geschwister aus dem Bilderbuch, doch wir waren füreinander da, wenn es darauf ankam. Er … offen gestanden wusste ich nicht, was er so wirklich tat. Ich verhindere zumindest, dass er nicht hinausgeworfen wird, weil er erneut in eine Prügelei geraten ist.

„Mrs. Dowli, ich kann ihre Aufregung verstehen, doch ich versichere ihnen, dass Ethan nicht erneut auffallen wird.“

„Das versicherten sie mir bereits beim letzten Mal, Mrs. Harper.“

Mrs. Dowli war aufgebracht. Kein Wunder. Die fünfte Schlägerei dieses Jahr und Ethan zeigte wie immer keine Reue. Ich war schon glücklich, dass er still neben mir saß, ohne dass ein vorlautes Wort seine Lippen verließ.

„Bitte Mrs. Dowli!“

Da war wieder diese gekräuselte Stirn. Der Gedanke, dass Ethan schon längst herausgeflogen wäre, würde ich mich nicht für ihn einsetzen. Würde Ethan gehen, würde ich die Woodstone Academy ebenfalls verlassen. Das wusste Direktorin Dowli und gerade dies wollte sie vermeiden. Denn auch wenn mich niemand kannte, so war ich ein Aushängeschild. Ich veröffentlichte Bücher unter einem Pseudonym. Als ich damit anfing, vereinbarte ich mit der Schule, dass sie mich nach meinem Abschluss als Flaggschiff benutzen können. Eine Bestseller-Autorin aus ihren Reihen.

„Nun gut, aber das ist das letzte Mal. Fällt er noch einmal auf, wird er verwiesen.“

Sie meinte es todernst, das sah ich an ihren Nasenflügeln, die unaufhörlich bebten. Ein letztes Mal richteten sich ihre Augen auf den großen Kerl neben mir. Sie rümpfte kaum merklich die Nase, als wäre sein genervter Ausdruck etwas Widerwärtiges. Mit einer Handbewegung scheuchte sie uns schließlich hinaus. Erleichtert seufzte ich, während Ethan kurz davor war, den Rückzug anzutreten.

„Geht es dir gut?“

Sein Kopf drehte sich zu mir herum und ich entdeckte das blaue Auge, welches dringlichst mit Eis versorgt werden sollte.

„Passt schon. Du solltest den anderen sehen.“

Ich sollte ihn ein zweites blaues Auge verpassen, für das Siegesgrinsen, dass er gerade trug. Stattdessen verzog ich amüsiert die Lippen. Gleichauf wurde mein Ausdruck von einem Ernsteren abgelöst.

„Worum ging es dabei?“

Erneut trat er den Rückzug an.

„Das muss dich nicht interessieren.“

Jedes Mal aufs Neue wimmelte er mich auf diese Weise ab.

„Du weißt, das war das letzte Mal, dass ich dich retten konnte.“

„Ich weiß.“

Seine Stimme nur noch ein hageres Flüstern. Ich beobachtete, wie er immer weiter den hellen Gang entlang schritt.

„Wie wäre es mit einem Danke?“, schrie ich ihm hinterher.

„Wofür?“

Auch wenn ich ihn nicht sah, so wusste ich dennoch, dass ihn ein neckisches Schmunzeln zierte.

„Dafür, dass ich dir deinen Arsch gerettet habe.“

Der Arsch, von dem ich gerade redete, war mittlerweile am Ende des Ganges angekommen.  Er streckte seine Hand in die Höhe und winkte schließlich nur. Belustigt schüttelte ich den Kopf, bevor ich den Weg in entgegengesetzte Richtung einschlug.

Manchmal fühlte ich mich wie ein Schatten, der durch die Gänge glitt. Kein einziger Blick galt mir. Es war als könnten sie mich gar nicht sehen. In den einsamsten meiner Momente sehnte ich mich danach, das zu besitzen, was sie besaßen. Das Lachen auf dem Flur, ein Insider, der sich aufschaukelte. Manchmal war es auch nur ein Lächeln oder ein Blickkontakt, worum ich meine Mitschüler beneidete. Nicht gesehen zu werden hatte seine Vorteile, doch manchmal war ich es leid.

Schon von Weitem hörte ich, wie Schlagzeug Musik aus unserem Zimmer quoll. Es war wirklich ein Wunder, dass sich nie jemand beschwerte, doch ich denke, das lag daran, dass die meisten in der großen Bibliothek lernten. Außerdem war Marie gut. Sie musste gut sein, schließlich war es der Grund, warum sie hier aufgenommen wurde. Als ich hereinkam, verstummte das mitreißende Geräusch. Noch bevor ich es realisieren konnte, was geschah, stürmte sie auf mich zu. Die blonde Schönheit begann, mich zu schütteln. Immer und immer wieder, dabei quietschte sie so laut, dass ich mir nun wirklich Sorgen wegen einer Beschwerde machte.

„Du wirst es nicht glauben …“

Dieses breite Lächeln, es war ihr Markenzeichen. Mit vierzehn wurde sie meine Zimmergenossin. Damals habe ich den Tag verflucht, doch heute weiß ich, dass sie etwas Licht in meine fade Welt brachte.

„Was werde ich nicht glauben, Marie?“

Sie war am ehesten das, was ich als eine Freundin bezeichnen würde.

„Marcus, der Marcus, hat mich gefragt, ob ich auch auf den Alteingesessenenabschied gehe.“

Marcus war Maries Schwarm seit ich denken kann und der Alteingesessenenabschied, war eine Party am Ende des Jahres um die Absolventen zu ehren. Jedes Jahr war es heftig und jedes Jahr war ich glücklich mich drücken zu können. Ich ahnte bereits, was jetzt folgte und so verzog ich schmollend meine Lippen.

„Ich muss dahin …“

Bitte lass diesen Satz hier enden.

„… und du wirst mich begleiten!“

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