Kapitel 5

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Nachdem Ethan versuchte mir alles Mögliche über den Angriff auf Pearl Harbor zu erklären, kehrte ich zurück auf meinem Zimmer. Zu meiner Verwirrung drang nicht wie sonst bereits zehn Meter zuvor das laute Getrommel zu mir. Skeptisch öffnete ich die Tür, nur um mich im Chaos selbst wiederzufinden. Marie stand inmitten des Raumes, während ihr gesamter Kleiderschrank vor ihr verweilte. Belustigt beobachtete ich, wie sie immer wieder ein Kleidungsstück anhob, nur damit sie es zwei Sekunden später wieder fallen ließ. Die Blondine war so sehr mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht wahrnahm, wie ich mich schwerfällig, durch den Türspalt quetschte.

„Marie? Was ist denn hier los?"

Als sie mich sah, stöhnte sie frustriert auf und setzte sich schließlich auf ihren Berg von Klamotten. Schnell legte ich meine Bücher ab, um mich zu ihr zu setzen.

„Marcus will mich treffen."

„Das ist doch großartig."

Mein Enthusiasmus verflog mit Maries frustriertem Ausdruck.

„Er hat mich eingeladen, mit ihm und seinen Freunden abzuhängen."

Angewidert verzog ich das Gesicht.

„Das ist furchtbar."

„Genau. Ich kann aber auch nicht absagen."

Meine Freundin hatte leider nie die besten Erfahrungen mit Jungs. Gleich, als sie hierherkam, beschloss der Klassenclown ihr vor versammelter Mannschaft ein Liebesgeständnis zu schenken. Es wäre beinahe süß gewesen, wäre es ernst gemeint und nicht durch ein Video für die Nachwelt festgehalten. Eine Woche habe ich gebraucht, bis sie wieder aus ihrem Bett kroch. Dann gab es da noch Peter. Ihr erster Freund, zwei Jahre später. Schade, dass eine Vorliebe der Name Sarah war. Ganz viel Kilogramm Eis musste es geben, dass sie das Weinen einstellte. Wie ihr seht, sie war ein gebranntes Kind. Dennoch war es beeindruckend, wie sie es dennoch immer wieder versuchte. Ich hatte noch nie etwas Derartiges wie eine Liebesbeziehung und dennoch waren mir die Männer aus meinen Romanen tausendmal lieber. Sie könnten mich nie so verletzen, wie es die echten tun könnten. Außer sie starben. Dann griff ich auch das ein oder andere Mal zum Eisbecher.

„Ich werde dich begleiten."

„Aber Elli, Damian und Nathan werden auch da sein."

„Ich weiß."

Die Blondine war mir wichtig und was soll schon passieren, wenn wir in einer Gruppe unterwegs sind.

„Ich dachte, dass du ihnen nach gestern Abend am liebsten nie wieder über den Weg laufen würdest."

Ich dachte an vorhin zurück und ich dachte an gestern Abend. Meine Wangen wurden rot, denn da war so viel Leidenschaft, der ich zu gern nachgeben würde. Eine Leidenschaft, der ich widerstehen muss.

„Alle reden über euch, es ist beinahe gruselig."

Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich dieser Aspekt störte.

„Was sagen sie?"

„Nicht viel. Manche Mädchen beneiden dich, manch einer versucht zu analysieren, warum gerade du."

Oh, diese Frage stellte ich mir auch, aber wer weiß, vielleicht war es einfach Pech.

„Ach, und die Jungs, sie haben wohl endlich verstanden, dass es dich gibt."

Mit großen Augen musterte ich ihr dreckiges Grinsen.

„Ethan muss förmlich verrückt werden."

„Wie meinst du das?"

„Nicht so wichtig. Lass uns lieber über das Treffen reden. Heute Nacht in der Bibliothek."

„Heute Nacht?"

Meine Stimme war nicht nur so schrill, weil es verboten war nachts in der Bibliothek zu sein. Ich dachte, ich hätte mehr Zeit, um die Leidenschaft in dem dunklen Teil meiner Seele zu verstauen. Ich konnte noch immer ihre Hände auf meinem Körper spüren und es machte mir Angst, dass ich mich dabei gut fühlte. Dass ich mich danach sehnte, erneut so berührt zu werden.

„Hab keine Angst. Hausmeister Johnson wird uns schon nicht erwischen. Außer er hat beschlossen, sich doch mal ein neues Hörgerät zuzulegen."

Maries leichtes Kichern ertönte, während ich immer noch versuchte meine Angst zu verbergen. Wovor hatte ich überhaupt Angst. Dass so etwas wie gestern erneut geschieht?

„Du musst auch nicht mitkommen", ertönte es nun von ihr um einiges einfühlsamer. Ich schenkte ihr einen bedeutungsvollen Blick.

„Du bist meine Freundin, Marie. Natürlich komme ich mit."

Soeben ließ sich ein breites Grinsen auf ihr nieder.

„Nun gut, dann lautet nun die wohl viel wichtigere Frage: Was ziehen wir an?"

***

Es ist spät geworden und ein letzter Blick in den Spiegel verriet uns, dass wir bereit waren. Als ich schließlich die Tür öffnete, sprang mir Ethan ins Gesicht, der offenbar gerade an die Tür klopfen wollte. Ein leichtes Schmunzeln schmückte ihn, als er die Hand herunternahm. Doch dann musterte er mich und Marie, die kurz davor waren, das Zimmer zu verlassen. Kein Wunder, dass er so verdutzt war. Abends ging ich nirgendwo hin. Es war die Zeit, in der ich schrieb, denn da fühlte ich mich am meisten inspiriert. Manchmal überkam sie mich auch einfach so, in einem noch so banalen Moment. Dies waren immer die schönsten Ideen.

„Wolltest du etwas?"

„Ich ... Ich ..."

Normalerweise war Ethan sehr selbstbewusst. Ein Felsvorsprung, den man nie erreichen konnte, doch gerade, nun ja, er stotterte.

„Ich gehe schon einmal vor."

Da war wieder dieser wissende Ausdruck, als Marie an uns vorbeiglitt.

„Wo gehst du hin?"

„Marcus und seine Freunde wollen sich mit Marie treffen und da habe ich ihr zugesagt sie zu begleiten."

Sein Ausdruck wurde jetzt immer dunkler.

„Aber Damian und Nathan werden mit Sicherheit auch dort sein."

„Ich weiß", entkam es mir seufzend.
„Ich kann mich doch nicht ewig vor ihnen verstecken."

Ein letztes Mal fuhr ich über seinen trainierten Oberarm, bevor ich an ihm vorbeischreiten wollte, doch da ergriff er meinen Arm, um mich aufzuhalten.

„Ich will nicht, dass du gehst. Nicht in diesem Kleid."

„Was ist mit dem Kleid?"

Verunsichert blickte ich an mir hinab. Vielleicht sah es furchtbar aus. Ethans Kiefer begann zu arbeiten, bevor er mich schließlich einfach losließ und in die andere Richtung verschwand. Was war das denn?

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