Ethan hatte mal wieder recht. Nach vier Tagen verschwanden die neugierigen Blicke der Schulgesellschaft. Ich verlor mich zwar nicht in der Unsichtbarkeit selbst, aber ich hatte auch nicht den Eindruck auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. Ein Lächeln umspielte mich, als ich die Wärme des sommerlichen Wetters empfand. Der Hof unserer Schule war ein ganz besonderer Ort. Trotz des Trubels während der Stoßzeiten fand ich hier Ruhe. Am liebsten würde ich verharren, als mich auf den Weg zur Sporthalle zu begeben.
„Hey, wie geht es dir?“
Überrascht warf ich einen Blick zur Seite, nur um zu verstehen, dass Damian derjenige war, der nun lustig vergnügt neben mir herlief.„Was?“, fragte er, als ich ihn immer noch ziemlich verdutzt anstarrte.
„Du begrüßt mich so beiläufig, als wären wir Freunde.“
„Ich dachte, ich wäre seit unserem letzten Treffen in deiner Gunst gestiegen.“
Ihn schmückte dieses kecke Grinsen. Dasselbe Grinsen, welches er auflegte, als er meinen Hals malträtierte. Mit einem schlichten Lächeln widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Vordere.
„Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Wie geht es dir?“
Der Gedanke, dass der Eishockeyspieler und ich Freunde wären, amüsierte mich. Wären wir allein und ich hätte einen schwachen Moment, so wussten wir beide, dass wir etwas ganz Freunde Untypisches anstellen würden.
„Ganz okay.“
Ich nahm seinen Ausdruck in Betracht. Selten hatte ich ihn mit so viel Ernsthaftigkeit erlebt.
„Noch besser würde es mir gehen, wenn du mir heute beim Spiel zuschauen würdest.“
Soeben schmückte ihn wieder dieses altbekannte Grinsen. Grübchen, frech zusammengezogen, die Augen dunkelbraun, mit einem Funkeln durchsetzt. In diesem Augenblick kam mir auch unser letztes Gespräch in den Sinn und so stellte ich mir die Frage, ob wohl mehr hinter seiner Bitte steckte, als sein bloßer Versuch mich zu erobern.
„Ethan spielt auch, also werde ich ohnehin da sein.“
Es war ein wichtiges Spiel und außerdem hatte ich nichts Besseres zu tun. Mit dem Schreiben steckte ich gerade in einer Sackgasse. Einer existenziellen Krise.
Meine Antwort schien ihm nicht zu gefallen, denn sein Kiefer presste sich frustriert aufeinander. Doch Damian erwiderte nichts, stattdessen nickte er nur.„Würdest du uns als Freunde bezeichnen, Elli?“
Wieder diese Frage. Es war noch so früh am Morgen und schon sehnte ich mich dem Abend entgegen.
„Das würde voraussetzen, dass man einander kennt, nicht wahr?“
Hier draußen auf dem Hof fiel es mir leichter, die Ruhe zu bewahren, trotz des tugendlosen Lächelns, dass er gerade trug.
„Nicht meinen Körper, du Vollidiot!“
„Warum? Den kenne ich schon ganz gut.“
Ein verdammtes Schmunzeln schmückte mich, auch wenn ich mich wirklich bemühte ernst zu bleiben.
„Damit kommst du bei mir nicht weiter und wenn du mich kennen würdest, dann wüsstest du das.“
Nun wurde seine Mimik von Ehrgeiz geschmückt.
„Was hältst du davon? Ich erzähle dir etwas von mir und du mir etwas von dir.“
Frustriert seufzte ich auf. Ich hatte gehofft, ihn damit abzuwimmeln. Sein Ehrgeiz zu brechen. Schließlich nickte ich, denn wenn ich ein was über ihn wusste, dann dass er ein Dickkopf war. Hat er sich einmal was in den Kopf gesetzt, dann bekam er das für gewöhnlich auch. Überlegend fuhren seine Hände in seinen Nacken.
„Mit fünfzehn verlor ich meine Unschuld.“
Vehement schüttelte ich den Kopf.
„So wird das Ganze nicht funktionieren, Damian. Erzähl mir etwas Wichtiges über dich.“
„Das ist wichtig“, entgegnete er amüsiert. Soeben wurde sein Lächeln jedoch von einem ernsteren Ausdruck abgelöst.
„Meine Mutter starb, da war ich gerade zehn.“
Ein wissender Schleier legte sich über mein Gesicht und meine Schritte wurden ganz von allein immer langsamer. Gerade erkannte ich, dass die Abwesenheit meine Mutter nicht das schlimmst mögliche Ereignis war.
„Und dein Vater?“
Meine Stimme war nun bedeutend leiser. Mein Gegenüber seufzte. Ich sah die Trauer in seinen Augen.
„Die Wahrheit?“
Ich nickte.
„Nach außen hin ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann, doch nach innen ist er ein frustrierter Witwer, der ohne einen gewissen Alkoholpegel nicht mehr existieren kann.“
Ich entwickelte das Bedürfnis, meine Hand auf seinen Arm zu legen. Die beiden Brüder hatten in gewisser Weise beide Elternteile verloren.
„Du bist dran, Elli.“
Ich richtete meinen Blick wieder nach vorn. Wie schnell sich die sonst so lockere Stimmung verändern konnte.
„Meine Mum war alleinerziehend und dementsprechend war ich oft einsam, als ich ein Kind war. Eines Tages lernte sie Oliver, Ethans Vater, kennen. Alles war gut, bis mir schließlich die Möglichkeit geboten wurde, hierherzukommen.“
„Lass mich raten, das wolltest du aber nicht.“
Mit geweiteten Augen nickte ich.
„Woher wusstest du das?“
„Ich habe das Gefühl, dass dies eine Schule ist für Kinder, die eigentlich ganz woanders sein wollen.“
Hatte ich mich in Damian getäuscht?
„Erzähl weiter.“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Da gibt es kaum etwas zu erzählen. Das letzte Mal sahen Ethan und ich die beiden vor zwei Jahren.“
„Das muss hart sein.“
„Zumindest lebt meine Mutter noch.“
Das war taktlos, aber mein Gegenüber schien es nicht zu stören. Mittlerweile waren wir stehen geblieben. Ich musste nach rechts und er musste nach links. Der peinliche Moment des Abschieds war gekommen. Doch bevor ich mir die Frage stellen konnte, ob ich ihm die Hand reiche, schlangen sich seine Arme um mich und auch wenn ich Damian manchmal auf den Tod nicht ausstehen konnte, so fühlte es sich gut an, so von ihm berührt zu werden.
„Ich sehe dich beim Spiel, Elli.“
Das Letzte, was er sagte, bevor er in seine Richtung verschwand.
DU LIEST GERADE
Woodstone Academy
Teen Fiction𝐄𝐥𝐞𝐧𝐨𝐫𝐞 𝐇𝐚𝐫𝐩𝐞𝐫, 𝐞𝐢𝐧 𝐥𝐚𝐧𝐠𝐰𝐞𝐢𝐥𝐢𝐠𝐞𝐬 𝐌ä𝐝𝐜𝐡𝐞𝐧, 𝐝𝐞𝐫𝐞𝐧 𝐋𝐞𝐛𝐞𝐧 𝐬𝐢𝐜𝐡 𝐝𝐮𝐫𝐜𝐡 𝐞𝐢𝐧𝐞𝐧 𝐀𝐛𝐞𝐧𝐝 𝐝𝐞𝐫 𝐋𝐮𝐬𝐭 𝐯𝐨𝐥𝐥𝐤𝐨𝐦𝐦𝐞𝐧 𝐯𝐞𝐫ä𝐧𝐝𝐞𝐫𝐭. Elli geht gemeinsam mit ihrem Stiefbruder auf die Woo...