Kapitel 4

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Offenbar hatte ich mich geirrt. Heute presste ich meine geliebten Bücher noch enger an meinem Körper, denn ich verschwand nicht wie sonst in der Menge selbst. Nein, viel mehr lag die Aufmerksamkeit der Schulgesellschaft allein bei mir. Manche waren forsch. Ihre Blicke trafen mich ganz unbefangen. Andere waren unauffälliger. Wiederum andere begannen zu tuscheln, sodass ich glaubte, ich würde träumen. In gewisser Weise hatte ich mir gewünscht, der Unsichtbarkeit zu entfliehen, doch das hier war der missratene dritte Wunsch an ein Genie. Ich war kurz davor mich in einem der Klassenzimmer zu verbunkern, da entdeckte ich Ethan am Ende des Ganges. Noch fester schlangen sich meine Hände um die Buchrücken und eisernen Schrittes beschloss ich ihm entgegenzulaufen. Selbst von der Ferne sah er heute noch grummeliger aus als sonst. Manchmal fragte ich mich, ob er schon immer so war. Solch ein Miesepeter.

„Das ist ja furchtbar", schimpfte er.

Ich wusste sofort, wovon er sprach, auch wenn die Blicke endlich verschwanden, als er an meine Seite trat.

„Das mit gestern ..."

Eilig unterbrach er mich mit einer Handbewegung.

„Bitte lass uns das einfach vergessen."

Skeptisch schaute ich den Massen entgegen, deren Augenpaare gerade noch auf mir verharrten.

„Sie werden auch vergessen.”

Werden sie das? Werde ich das? Der Abend lag noch immer in jeder Zelle meines Körpers und auch wenn ich das Geschehene bis jetzt verdrängen konnte, so fragte ich mich, was geschehen würde, wenn ich einem der beiden Brüder über den Weg laufe. Damian, Kapitän des Eishockeyteams, selbst ernannter Großkotz, der zu meinem Pech, dieses unwiderstehliche Aussehen besaß. Haare, haselnussbraun und voll. Dunklen Augen, die jeden Wunsch von deinen Lippen lesen und ein Mund, der Kunststücke kannte, die meine geschätzten Liebesromanautoren nicht einmal beschreiben konnten. Dann war da noch sein Bruder Nathan. Ich hatte versucht, mich kundig zu machen, doch außer die Verbindung zu seinem Bruder war kaum etwas bekannt.

„Wir haben wieder Post bekommen.”

Deshalb war Ethan so verstimmt. Normalerweise war er nämlich in meiner Gegenwart etwas weniger griesgrämig. Beinahe gleichgültig überreichte er mir die alljährliche Postkarte.

Liebe Grüße aus Ohio,
in Liebe Mum und Dad
PS: Stellt keinen Unsinn an.

Das war alles, beachte man nicht die Palmen im Hintergrund. Ob mich ihr Verhalten verletzte? Manchmal dachte ich an die Zeit zurück, wo meine Mum und ich noch ein Duo waren. Sie war nicht oft für mich da, denn sie arbeitete von früh bis spät, doch zumindest hatte ich das Gefühl wir wären noch eine Familie. Mein leiblicher Vater hatte, als ich klein war, beschlossen nicht länger Teil davon zu sein. Dann traf sie diesen Geschäftsmann, Oliver, Ethans Vater, Witwer. Vieles wurde besser, wir zogen zu ihnen, ich hatte ein großes Zimmer, meine Mutter war seit Langem wieder glücklich. Doch mit der Zeit war sie immer öfter bei seinen Geschäftsreisen dabei und dementsprechend vertrösteten sie Ethan und mich bei Kindermädchen. Ich entdeckte in dieser Zeit das Schreiben. Ich stürzte all meine Gefühle auf das Stück Papier und dann gewann ich diesen Preis. Es war nicht meine Schuld, das wusste ich, doch manchmal fühlte es sich so an.

„Ich kann sie nehmen, wenn du das willst", flüsterte Ethan, während er immer noch an meiner Seite verweilte. Wir waren auf dem Weg zu unseren Klassenzimmern. Ich presste meine Lippen aufeinander, denn die blöde Postkarte fühlte sich an wie ein dunkler Fleck. Aber auch der Dunkelhaarige hatte damit zu kämpfen. Wahrscheinlich sogar mehr als ich.

„Schon in Ordnung."

„Hast du irgendwas geplant, diesen Sommer?"

Die Ferien standen vor der Tür und wie jedes Jahr würden wir sie hier verbringen.

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