Kapitel 44

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„Wie meinst du das?“, fragte ich verwirrt.

„In der Kabine werden sie einen Brief finden. Ein Brief, der sie auffordern wird, zu wählen. Zwischen dir und ihrem Traum. Ich will dir vor Augen führen, wie wenig ihnen doch an dir liegt.“

Geschockt riss ich die Augen auf. Sie durften nicht wählen.

„Ist das eine Strafe?“, raunte ich aufgebracht.

Nathan lehnte sich etwas vor. Alles in mir drin kochte vor Wut.

„Es ist ein Geschenk. Du wirst wissen, woran du bist.“

In den Tiefen meiner Gedanken wollte ich die Antwort hören. Wie oft habe ich mich durch ihre Worte leiten lassen? Jetzt mussten sie eine Entscheidung treffen. Es würde mir helfen, doch es war falsch. Aufgebracht sprang ich von meinem Stuhl. Ich musste die Briefe finden und sie dann selbst entfernen. Doch bevor ich losstürzen konnte, zog mich Nathan an meinem Handgelenk wieder zurück.

„Setz dich hin!“, erwiderte er grob. Ich warf ihm einen bösen Blick über die Schulter zu, doch meine Aufmerksamkeit wurde gerade von dem Spielfeld verschlungen. Das Training war offenbar beendet und so wird es folglich nicht lange dauern, bis die beiden die Briefe finden. Nathan zückte jetzt sein Handy und hielt es mir vor die Nase. Ich erblickte den Großteil der Kabinen.

„Ich will dir ja nicht das Herz brechen, doch ich denke keiner von beiden, wird sich für dich entscheiden.“

Was würde es bedeuten, wenn sie sich für Eishockey entscheiden? Wie würde ich mich entscheiden, wenn entweder sie oder das Schreiben auf dem Spiel stand? Ich stellte mir vor, wie ich diesen Brief finde und wie ich mich festlegen würde. Doch konnte ich von ihnen dasselbe verlangen?

„Du würdest dich für sie entscheiden, nicht wahr?“

Ich entgegnete nichts. Zu groß war die Angst, dass mir nach diesem Tag niemand mehr blieb. Nur die Einsamkeit und ich. Viel größer die Angst, mein Verstand würde sich eines Tages Nathan ergeben.

„Wie würdest du dich entschieden? Ich oder deine größte Leidenschaft.“

„Dich.“

Mir verschlug es den Atem bei der Schnelligkeit seiner Antwort. Stille war über uns eingekehrt und so schauten wir beide, der noch immer leeren Kabine entgegen. Nathan hielt mich nicht länger fest. Ich sollte aufstehen und sie warnen. Doch wovor? Der simplen Entscheidung, die Nathan und ich gerade getroffen haben?

„Ich wusste doch, dass Damian der Erste sein wird.“

Wir beobachteten den Dunkelhaarigen, wie er zu seinem Spind trat und seine Sachen herauszerrte. Kurz darauf sah man das weiße Stück Papier in seiner Hand.

„Woher sollen sie wissen, dass es echt ist? Vielleicht glauben sie, es wäre ein dummer Scherz.“

Nathan schüttelte den Kopf, den gespannten Ausdruck noch immer auf seinen Bruder gerichtet.

„Ich habe den Brief mit den Ergebnissen des Scouts ausgestattet.“

„Du hast die Ergebnisse des Scouts?“, fragte ich ungläubig.

Der Mann hinter mir zuckte mit den Achseln.

„Ich sagte doch, Henry ist ein Freund von mir. Natürlich habe ich ihm davon erzählt, dass ein Spieler der Mannschaft mein Bruder ist, sodass er es mir überließ, die frohe Botschaft zu verkünden.“

„Damian ist dabei?“, fragte ich übermütig. Der Dunkelhaarige nickte.

„Ethan auch.“

Etwas perplex blickte ich zurück auf den Bildschirm. Offenbar hatte Damian die Ergebnisse gerade entdeckt, denn ihn schmückte ein breites Lächeln. Als er nun jedoch die zweite Seite in Betracht nahm, zerfiel sein Grinsen zu Stein. Jetzt hieß es wirklich ich oder ihr Traum?

„Woher wissen wir, wie ihre Entscheidung lautet?“

„Wenn sie sich für dich entscheiden, werfen sie den Brief in den linken Mülleimer, für Eishockey in den Rechten.“

Wie würde sich wohl Damian festlegen? Er war mein Freund, Ethan hingegen hatte ich zu verstehen gegeben, dass wahrscheinlich nie wieder etwas zwischen uns laufen wird.

„Woher wissen sie, dass sie mich wirklich verlieren?“

„Das wissen sie nicht, sie lassen es darauf ankommen. Es ist auch eine Entscheidung für dich.“

Verwirrt warf ich meinen Ausdruck über meine Schulter.

„Für mich?“

„In dem Moment, in dem ihre Entscheidung getroffen wird, liegt bei dir die Zukunft eurer Beziehung. Der Beschluss, ob du mit einem Menschen zusammen sein willst, der nicht dieselbe Entscheidung, wie du getroffen hast.“

Ich schluckte und stierte zurück zu dem Bildschirm. Damian presste die Lippen aufeinander. Ich konnte förmlich hören, wie die Zähne begannen zu knirschen. Ein Kamerad klopfte ihm gerade auf die Schulter, was er nur mit einem nervösen Lächeln beantwortete. Er wusste, die Entscheidung war echt. Gebannt studierte ich, wie er das Blatt Papier zusammenknüllte. Der Eishockeyspieler blickte dem linken Mülleimer entgegen, trat ein paar Schritte auf ihn zu. Freude wollte sich in mir niederlassen, doch dann hielt er inne. Der Dunkelhaarige machte kehrt und warf entschlossen das zerknüllte Stück Papier in den rechten Mülleimer. Er ließ es darauf ankommen. Eine unsagbare Schwere breitete sich in mir aus. Es war, als würde jemand mein Herz umgreifen und es zwischen seinen Händen zermalmen. Ich war gewillt, dass mich diese Entscheidung nicht beeinflussen würde. Ich wollte darüber stehen. Doch es war, wie es der Brief voraussagte, Damian würde mich verlieren.  Ich wollte aufspringen, da hielt mich Nathan auf.

„Du musst noch Ethans Antwort abwarten?“

„Wozu? Damit ich erkenne, dass sich niemand für mich entscheiden würde?“

Meine Stimme war gereizt, meine Augen kurz davor jegliche Flüssigkeit ihren Lauf zu lassen. Mit seiner Miene deutete Nathan an, mich erneut zu setzen. Widerwillig, mit verschränkten Armen, ließ ich mich in den unbequemen Sitz fallen. Ethan kam herein, öffnete wie Damian den Spind und nahm das Stück Papier heraus. Erst zierte ihn Freude über die Ergebnisse des Scouts, dann wurde sein Ausdruck steinern. Bis jetzt verhieß alles, dass es genauso ablaufen wird wie bei Damian. Ich wollte nicht einmal hinsehen, doch die Spannung brachte mich um. Ethan schaute auf, sein Ausdruck entschlossen. Bevor ich verstehen konnte, was geschah, trat er selbstbewusst an den linken Mülleimer heran und warf das Papier hinein. Er hatte sich wahrhaftig für mich entschieden. Meine geschockte Miene fuhr zu Nathan, der genauso drein schaute wie ich.

„Aber …“, setzte er an.

In diesem Moment erkannte ich, dass ich die falsche Entscheidung getroffen hatte. Damians Taten haben mir gezeigt, dass er mich nie so lieben wird, wie ich ihn. Ethan hingegen, er würde sich immer für mich entscheiden.

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