Kapitel 15

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Als ich meine Augen öffnete, wollte ich sie am liebsten für immer schließen. Mein Kopf dröhnte fürchterlich. Was zur Hölle war gestern geschehen? Angestrengt rieb ich mir übers Gesicht. Nach Nathans Geständnis traf ich Ethan. Dann war da die Flasche Schnaps und …
Nein! Nein, das darf nicht sein! Ein Traum, ein dummer Traum, ausgelöst von dem vielen Alkohol. Wir dürfen nicht …
Trotz jeder Befürchtung öffnete ich meine Augen. Es war nicht meine Decke, der ich entgegenstarrte. All das Gesagte, all die Empfindungen, all die Laute, sie kamen mir erneut ins Gedächtnis. Wir haben nicht …
Ich schaute nach rechts und sah neben mir Ethan liegen, der noch immer friedlich schlief. Ein Ethan in seiner schönsten Gestalt. Schnell schlug ich mir die Hände vor die Augen, als könnte ich damit das Geschehene ungeschehen machen. Ich sah auch an mir hinab. Kein einziges Kleidungsstück trug ich an meinem Leibe.
Das kann nicht … Wir können nicht …
In diesem Augenblick kam mir auch wieder sein Ausdruck ins Gedächtnis. Sein Blick kurz bevor er in mir stieß.
Verdammte scheiße!
Flucht.
Mein ganzer Verstand diente der Flucht. Ganz von allein sprang ich förmlich aus dem Bett. Ich zog die nötigen Sachen an, immer darauf bedacht, den Eishockeyspieler keinesfalls zu wecken. Was sollte ich erwidern? Ich muss hier weg. Ich muss hier weg, so schnell ich kann. Kein Blick zurück auf das Bett, in dem ich meine Unschuld verlor. Kein Blick auf den Mann, dem ich diese schenkte. Ethan?
Deine Ernst Elli? Ethan?
Es muss der Alkohol gewesen sein. Alkohol ließ Menschen Dinge tun, die sie nie tun würden. Ich presste mich an die Tür, der Blick an die Wand des Ganges gerichtet. Wie sollte ich ihn je wieder ansehen? Wie sollte ich je wieder mit ihm reden? Mein Atem rannte so schnell, dass ich glaubte daran zu ersticken.

„Was machst du denn hier, Elli?“

Damian, ausgerechnet Damian beäugte mich neugierig von der Seite an. Es war als wollte mich das Universum bereits jetzt für diesen Fehler bestrafen. Geschockt starrte ich den Dunkelhaarigen an, während seine Augen zwischen mir und der Tür vor der ich lehnte hin- und herflogen.

„Ich … ich …“

„Warst du etwa unanständig?“

Sein Ausdruck war amüsiert. Wenn er doch nur wüsste, wie Recht er hatte. Ich und Ethan, wir hatten miteinander geschlafen. Das war verrückt. Ich muss verrückt sein.

„Ich habe mir nur etwas von Ethan ausgeliehen.“

Erst jetzt fiel mir seine blutige Lippe auf und auch erst jetzt dachte ich an Nathans Geständnis zurück.
Welcher Elan mich auch immer gerade ritt, so löste ich mich von der Tür, um meinen Finger in seine Brust zu graben.

„Dein Bruder hat mir gestern von eurem netten Arrangement erzählt? Sei gewiss, dass ich nie mehr ein Wort mit dir wechseln werde.“

Ich studierte, wie er die Augen aufriss, aber noch bevor ich Zeuge seiner Sprachlosigkeit werden konnte, drehte ich mich um und ging. Wenn ich doch meinen Erinnerungen, an diese Nacht nur ebenso den Rücken zudrehen könnte.

Schon eine ganze Weile stierte ich die Decke meines Zimmers an. Ich hatte entschlossen, mich auf ewig hier zu vergraben und dementsprechend Marie gebeten, mich als krank zu vermelden. Als ich mich wieder ins Zimmer geschlichen hatte, schlief sie noch tief und fest und dementsprechend hatte die Blondine überhaupt nicht bemerkt, dass ich die ganze Nacht weg war. Nun stierte ich schon seit Stunden an diese weiße Wand und versuchte zu ergründen, wie ich mich fühlte. Diese Nacht, ich musste es mir eingestehen, war fantastisch. Das perfekte erste Mal, abgesehen von dem Alkohol natürlich und der Person, mit der ich die Erinnerungen teilte. War es wirklich nur der Alkohol, der mich mit Ethan schlafen ließ? Oder musste ich mir wahrhaftig die Frage stellen, ob da mehr war nach all den Jahren? Frustriert fasste ich mir an die Schläfen, während mich mein Hunger förmlich umbrachte. Wie sollte ich ihm denn jetzt je wieder unter die Augen treten? Wer weiß, vielleicht hat er ja die gemeinsame Nacht vergessen. Der Dunkelhaarige hatte so viel Alkohol konsumiert, dass ihm womöglich kein Stück seiner Erinnerung blieb. Ja, wer weiß, vielleicht hatte ich Glück. Optimistisch sprang ich aus meinem Bett, was ich gleichauf wieder bereute. Jetzt verstand ich, warum wir das nicht öfter taten.

Der Blick immer nach unten gerichtet schlurfte ich durch die Gänge der Woodstone Academy. Auch wenn dem nicht so war, so hatte ich ständig das Gefühl, von den verachtenden Blicken der anderen gestraft zu werden.

„Elli?“

Ich kannte diese Stimme und so erstarrte ich mit meinem ganzen Sein. Ich drehte mich um und sah in die Augen, die mich gestern mit all ihrer Leidenschaft anblickten.

„Marie meinte, du wärst krank?“

Sein Gesicht war unergründlich. Es war unmöglich, zu erfahren, was er dachte.

„Ja …“

Die Worte blieben mir Halse stecken.

„Brauchst du irgendetwas?“

Schnell schüttelte ich meinen Kopf. Hat er es wahrhaftig vergessen? Skeptisch studierte ich seine Mimik, die wie immer war. Kein Anzeichen auf das, was wir gestern miteinander getrieben haben.

„Okay, schreib mir einfach, falls die doch noch was einfällt. Ich muss jetzt zum Unterricht.“

Mit einem Winken verschwand er in der Menge und ließ mich mit diesem Gefühl zurück. Ich hatte gehofft, dass er es vergessen hätte. Doch jetzt, wo es tatsächlich der Fall war, überkam mich dieser stechende Schmerz. Nicht wie der Kater, den ich seit heute Morgen mit mir herumtrug. Es tat weh, an der Stelle, wo mein Herz ruhte.

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