Kapitel 2

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Hier ein Hinweis auf meine größte Schwäche. Ich konnte nicht nein sagen. Nicht auf die Frage meiner Mutter, ob ich auf Lust hätte die Woodstone Academy zu besuchen und auch nicht auf die Frage, ob ich Marie auf diese Party begleiten würde.
Nervös spielte ich an meinem Kleid.

„Das ist eine furchtbare Idee", schimpfte ich, doch Marie sah alles aus ihrer rosa roten Brille.

„Ach, tu doch nicht so. Du siehst fantastisch aus."

Ich war nicht unansehnlich, aber auch kein richtiger Hingucker. Genau das spiegelte sich auch in meinem Liebesleben wider. Ein Liebesleben, welches nicht existierte, genauso wie ich.
Schon von Weitem hörte man die laute Musik, die sich durch das Schloss klopfte. Marius Woodstock besaß damals offenbar zu viel Geld, weshalb er diese Schule für begabte Kinder in einem Schloss errichtete. Ich konnte mich nicht beschweren, denn das architektonische Bauwerk inspirierte mich in gewisser Weise, doch wenn ich so viel Geld hätte, würde ich gewiss etwas anderes damit anstellen. Vielleicht Pandas in Australien unterstützen oder solche gottverdammten Partys verbieten. Der Tanzsaal unserer Schule sprang mir entgegen. Normalerweise fanden hier unsere Bälle statt, doch heute wurde dieser Raum in exzessiven Alkoholkonsum gestürzt. Alle des oberen Jahrgangs und auch welche der unteren gaben sich dem Gedränge hin. Von der Tribüne aus fiel mein Blick auf die seitlichen Räume. Abteile, die nicht durch eine Tür getrennt waren. Ich sah Pärchen, die es förmlich dort trieben, Freunde, die Bier Pong spielten und Wahnsinnige, die sich der Lieblingsattraktion auf Partys hingaben. Wahrheit oder Pflicht.

„Komm schon", grummelte Marie, die mich die Treppe herunterzog.

Mein Platz wäre hier oben. Ich würde beobachten und wahrscheinlich keine einzige Konversation führen, doch da war wohl Marie anderer Meinung. Sie zog mich durch das tanzende Gemenge und erst verstand ich nicht, wo sie mich hinführte, da entdeckte ich Marcus, wie er sich am Punsch zu schaffen machte. Ich verfluchte mich für den Tag, als ich beschloss, jemanden wie Marie zu meiner einzigen Freundin zu ernennen.

„Hey Marcus", stammelte die Blondine, als uns der große Sportler noch immer nicht bemerkt hatte. Die Woodstone Academy besaß eine fantastische Eishockeymannschaft, die beinahe das gesamte schulische Ansehen besaß. Jeder liebte sie. Wirklich jeder. Selbst der Junge, der sein Wissenschaftsprojekt an Wettbewerben einreichte.

„Oh hey! Schön, dass du es geschafft hast."

Marcus war in Ordnung, auch wenn er sich wahrscheinlich nicht an meinen Namen erinnern konnte, obwohl wir im dritten Jahr der Woodstone Academy Leidensgenossen in Mathe waren.

„Hey Elli, mit deinem Erscheinen habe ich nun wirklich nicht gerechnet."

Er überraschte mich, aber, wie zuvor erwähnt, Marcus war in Ordnung. Im Gegensatz zu all den anderen Eishockeyspielern. Arrogante Idioten, den der Ruhm zu Kopf gestiegen war. Eingeschlossen Ethan. Wenn man gerade vom Teufel sprach ... Jemand packte mich am Arm und als ich aufblickte, erkannte ich den Riesen vor mir. Kaum vorzustellen, dass er vor zwei Jahren noch zwanzig Zentimeter kleiner war. Nun sah ich aus wie ein Winzling, wenn ich neben dem Dunkelhaarigen stand. Es überraschte mich nicht, ihn hier zu treffen. Es war sein Milieu und all seine Freunde waren hier. Ich hingegen, nun ja, ich hatte nicht wirklich etwas hier zu suchen.

„Was machst du hier?"

Sein Auftreten war aufgebracht, doch bevor ich verstehen konnte, warum er so wütend war, zog Marie wieder meine Aufmerksamkeit zu sich.

„Komm schon, Elli."

Worüber zur Hölle haben die beiden geredet, als ich ihnen nicht zugehört habe. Immer weiter zog mich Marie durch das Gedränge, während Marcus und sie immer mal wieder jemanden begrüßten. Falls ich dies unerwähnt ließ, meine Freundin war durch ihr Talent sehr beliebt. Immer wieder trat sie auf Schulbällen auf und auch so war ihr Charakter einfach makellos. Ich denke nicht, dass wir befreundet wären, hätte Miss Dowli sie nicht in mein Zimmer gesteckt.
Als wir endlich die tanzende Menge überwunden hatten, verstand ich auch endlich, was das Ziel unserer Reise war.

„Nein Marie ..."

„Ach hab dich nicht so."

Wie erstarrt musterte ich die drehende Flasche.

„Es ist kindisch ..."

„... und es könnte Spaß machen."

Bittend starrte mir Marie aus ihren Rehäuglein entgegen, während sich Marcus zu seinen Teamkameraden gesellte.

„Hat das graue Mäuschen etwa Angst? Angst, dass man ihr die Unschuld rauben könnte."

Das meinte ich mit arroganten Idioten und ihr Kapitän selbst schien es zu amüsieren, mich vor allen in den Dreck zu ziehen. Außerdem war da noch diese Schwäche mit dem nein sagen. Ich vermisste meine Unsichtbarkeit. Brav setzte ich mich hin und betete zu all meinen verstorbenen Autorenkollegen, sie würden mich bitte beschützen. Ganz von allein begann meine Sitznachbarin zu drehen.
Bis jetzt war es harmlos, hier mal ein Zungenkuss, da mal ein Shot aus dem Bauchnabel der Sitznachbarin. Nicht, dass ich schon etwas davon getan hätte, doch ich hatte schlimmeres erwartet. Marie hatte gerade gedreht und der Kopf der Flasche war auf dem Kapitän der Eishockeymannschaft gelandet. Er war ein Held, das Nonplusultra. Dass er ein Widerling war, vergaßen wohl die meisten.

„Pflicht."

Meine Freundin überlegte. Bitte sag ihm, er soll einfach nur gehen, denn ich bekam das Gefühl nicht los, dass er mich nehmen würde, wenn er dran wäre.

„Lass dir eine Ohrfeige von Elli verpassen."

Nun gut, diese Aufgabe würde ich auch nicht ausschlagen. Erst schien er nicht zu wissen, wer gemeint war, da half ich ihm auf die Sprünge, indem ich aufstand. Wissend funkelte er mich an, während ich ihm entgegenschritt. Ich wollte schon immer mal jemanden eine verpassen und da war er wohl wahrlich die perfekte Wahl. Jetzt grinste er. Er glaubte nicht, ich würde es durchziehen. Na warte ... Ich erhob meine Hand in die Lüfte.

„Das ist für den Spruch von vorhin."

Meine Hand sauste hinab und ich schlug so sehr zu, dass meine Haut begann zu schmerzen. Das war es wert. Sein Gesicht sauste zur Seite. Der Kreis war in Stille gehüllt. So still, dass ich mich zu ihm herunterbeugte.

„Vielleicht bringt dir das jetzt Manieren bei."

Ich hörte das lobende Lachen einiger seiner Freunde, während ich den Rückzug anstrebte. Noch bevor ich mich hinsetzen konnte, ertönte seine Stimme.

„Wahrheit oder Pflicht, Elli?"

Geschockt drehte ich mich um, nur um zu verstehen, dass er gedreht hatte und das Schicksal es schlecht mit mir meinte. Gott verdammte ...

„Nimm Pflicht, wenn du dich traust."

Weder Pflicht noch Wahrheit waren eine Option.

„Lass dich nicht provozieren, Elli", flüsterte die mir vertraute Stimme.

Dafür war es zu spät. Er hatte mich dran gekriegt und sein wissendes Schmunzeln sagte mir, dass er das wusste.

„Pflicht."

Ich dachte, ich würde womöglich meinen ersten Zungenkuss austauschen oder doch selbst eine verpasst bekommen, doch da hatte ich wohl die Rechnung ohne sein männliches Ego getilgt.

„Sieben Minuten ..."

Passend dazu hielt er seine Finger in die Höhe.

„... verbringst du mit meinem Bruder und mir in dieser Abstellkammer."

Er zeigte auf die Tür am Rande dieses Raumes und mein Herz setzte für eine Sekunde aus. Hätte ich doch einfach nur nein gesagt. Hätte ich doch einfach nur Wahrheit gewählt. Passend zu meiner Starre wanderte ein Raunen wie ein Lauffeuer durch den Kreis. Ich beobachtete, wie der Kapitän auf mich zusteuerte und wie von allein mir seine Hand hinstreckte. Ich stand auf ohne seine Hilfe, folgte ihm jedoch wortlos, als er den Weg zur Tür beschritt. Ich sollte gehen. Ich sollte mir das Lachen der anderen zuziehen und dann einfach wieder in der Menge verschwinden. Nun spürte ich die Schritte eines weiteren Mannes hinter mir. Ich hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Er sah älter aus. Wer weiß, vielleicht wird es harmlos. Wie schlimm konnte es werden?

Woodstone Academy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt