Kapitel 6

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Nun schlotterten mir doch die Knie, als wir uns verbotenerweise zu der Bibliothek vorpirschten. Ich hatte noch nie etwas Verbotenes angestellt, abgesehen von der Kaugummi-Zigarette in der Grundschule. Wie sollte ich auch? Ethan verbreitete Ärger für uns beide.

„Jetzt komm schon!“, schimpfte Marie.
Sie zog mich immer weiter und noch bevor wir die Bibliothek erreichten hörte ich Stimmen. Als die Blondine schließlich die Tür öffnete, sprang mir ein Bild entgegen, das ich nicht erwartet hätte. Die fünf Jungs hatten mithilfe all der Stühle und Tische und ganz vielen Decken eine riesige Höhle gebaut. Es war geradezu kindisch und doch brachte es mich zum Lächeln. Als Kind hatte ich nie jemanden, der das mit mir gemacht hat.

„Euer Ernst?“, entkam es meiner Freundin amüsiert.
Als wären sie Erdmännchen, steckte nun ein Junge nach dem anderen sein Kopf durch die Decke.

„Ihr seid zu früh!“, schimpfte Marcus.

Kurz darauf erstrahlte der Raum in hellen Lichtern. Lichterketten, wohin man nur schaute. Wie von allein traten wir näher heran und auch wenn mein Augenmerk normalerweise den Abertausenden von Büchern gehörte, so lag nun meine gesamte Aufmerksamkeit auf den fünf Jungs, die gerade hervortraten. Marcus, Damian, Nathan und zwei andere, die ich nicht kannte. Ich hatte wirklich gehofft, dass noch mehr Mädchen kommen würden. Unauffällig lehnte ich mich zu Marie hinüber.

„Du hast mir nicht gesagt, dass wir die Einzigen sein werden.“

Meine Freundin zuckte unberührt mit den Achseln, bevor sie sich schließlich an die Seite von Marcus stahl. Fantastisch, wirklich fantastisch. Mein Gesicht drehte sich der Tür zu. Noch hatte ich die Wahl, zu fliehen.

„Denkst du wieder darüber nach abzuhauen, Elli?”

Ich sah in das Gesicht von Damian.

„Ich hätte erwartet, ihr hättet meinen Namen längst vergessen.“

Heute Abend war ich um einiges schlagfertiger.

„Soll ich dir etwas verraten, Elli?“

Mit einem unverschämten Grinsen stiefelte er um mich herum, als wäre ich seine Beute, die er langsam einkesselte. Sein Mund wanderte zu meinem Ohr, und ich könnte mich dafür verfluchen, was sein Atem bei mir anrichtete. Ich war gewillt, die Flucht zu ergreifen, doch diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben.

„Es ist die Jagd, die uns Spaß bereitet.“

Das Kribbeln, welches sich durch meinen ganzen Körper arbeitete, drohte mich zu verschlingen.

„Warum also tut ihr das alles?“

Ich warf ihm einen selbstbewussten Blick über meine Schulter zu.

„Mädchen bedrängen und sie dann fallen lassen?“

Für einen kurzen Moment bekam seine Maske einen gewaltigen Riss und zum ersten Mal sah ich ihn wahrhaftig an. Ein Blick in die Seele würden die Dichter sagen.

„Kommt schon, Leute“, entkam es einer fremden Stimme. Diese Stimme war schließlich unser Retter.

Bisweilen war es eine Runde, die ich trotz meiner anfänglichen Skepsis genoss. Marie unterhielt sich ausgelassen mit Markus, Damian hatte von mir abgelassen und ich studierte derweil die Bücher, an die ich sonst nicht so einfach herankam. Sie waren alt und normalerweise geschützt und das faszinierte mich umso mehr. Das muss so ein Eigenbrötler Ding sein. Gerade fuhren meine Hände über den grünen Einband eines gold beschrifteten Buches, da schlich sich Nathan in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit. Auch er war in den Tiefen der Bücherlandschaft versunken, als würde er nach einem verschollenen Schatz suchen. Ich tat etwas, das unüblich für mich war.

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