1 Fahnenflucht

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„Verdammt," dachte Tom. „Abitur in der Tasche, sechs Wochen frei bis zur Einberufung am 3. Juli 72, alle feiern, und wir hocken hier mit einem Geheimdienstoberst, der gegen seinen eigenen Dienst intrigiert. Das hat man nun davon."

„Ich muss Ihnen leider sagen, dass Ihre Freunde ohne Sie nach Griechenland zurückfahren werden," hatte Oberst Al-Numeiri gesagt.

Die Sessel im achten Stock eines alten, luxuriösen Hotels in Kairo waren bequem, das Gebäck, das ein Page gebracht hatte, edel. Die letzte Äußerung ihres Gegenübers brachte Tom und Nikos ins Schwitzen. Prompt fingen ihre libyschen Uniformen an zu jucken.

„Was wir von Ihnen verlangen, ist nicht ganz ungefährlich, für keinen von uns, und es dauert leider ein paar Tage," sagte Al-Numeiri.

Das war das Risiko, das sie eingingen, wenn sie sich mit Geheimdiensten einließen: Ein Geheimdienst sitzt immer am längeren Hebel, so viel wussten sie aus Erfahrung. Aber ganz schlecht waren ihre Karten in diesem Fall nicht. Schließlich gehörte Oberst Al-Numeiri zu einer oppositionellen Gruppe innerhalb des Mukhabarat, des ägyptischen Militärgeheimdienstes. Damit saßen sie sozusagen mit ihm zusammen an einem Ende des Hebels. Das sah auch Nikos so:

„Herr Al-Numeiri, normalerweise machen wir das anders: Sie sagen uns, was Sie wollen, und wir überlegen, ob und zu welchem Preis wir das machen. Wir lassen uns nicht gern bedrohen."

Tom beobachtete den Oberst genau. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos. Das kannte Tomk von diesen Leuten. Ihr Gesicht hatten die besseren von ihnen unter Kontrolle, ihre Hände nur die allerbesten. Der Soldat wischte eine imaginäre Fliege von seiner rechten Wange.

„Sie haben recht, wie ungeschickt von mir," antwortete Al-Numeiri. „Es geht um Folgendes. Sie haben mir ja ausrichten lassen, dass Oberst

Gaddafi daran interessiert ist, mit uns zusammenzuarbeiten, und dass Sie bereit sind, Nachrichten an ihn zu übermitteln. Es gibt wichtige Erkenntnisse, die unser Dienst den Libyern vorenthält. Die sollen Sie persönlich an Gaddafi übergeben."

„Ist das so eilig, dass der Weg über Athen zu lange gedauert hätte? Nein, unlogisch. Hätten Sie die Sachen nach Athen geschickt, statt auf unseren Besuch zu warten, wären die Dokumente längst in Libyen. Also, warum der Aufwand?" fragte Tom.

„Ich möchte, dass die erste Lieferung dieser Art auf direktem Weg erfolgt. Die Libyer sollen sehen, dass wir einen vertrauensvollen Umgang pflegen möchten. Ich gebe zu, dass wir Ihren persönlichen Zugang zu Gaddafi ausnutzen wollen. Unsere Mitarbeiter in Tripolis dürfen nichts davon erfahren. Sie gehen ja bei Gaddafi ein und aus, da fallen Sie nicht weiter auf, wenn Sie die Papiere übergeben."

„So hört sich das schon ganz anders an. Das ist ein ziemlich großes Risiko für uns, wenn wir erwischt werden."

„Sie wissen, dass wir nur eine Gruppe innerhalb des Mukhabarat sind. Deswegen ist die Bezahlung so gut. Sie bekommen für diesen Auftrag die doppelte Menge Baumwolle. Ich würde Sie der Gefahr nicht aussetzen, wenn die Informationen nicht sehr wichtig wären. Wir geben Ihnen so viel Schutz wie möglich, aber ich mache Ihnen nichts vor: absolute Sicherheit gibt es nicht."

„Das sind offene Worte," kommentierte Nikos das Gehörte. „Wie haben Sie den Verlauf geplant?"

„Oberst Gaddafi kommt am Sonntagabend von einer Reise in den Niger zurück. Ich lasse Sie am Montag nach El Salloum an der libyschen Grenze bringen. Sie nehmen sich in Salloum ein Taxi zur Grenze. Unsere Zöllner werden Sie mit Ihren Spezialvisa natürlich passieren lassen. Auf der libyschen Seite müssen Sie sehen, wie Sie weiterkommen - Ihnen fällt da sicher was ein."

„Warum fliegen wir nicht?"

„Weil unser Geheimdienst die Passagierlisten checkt."

„Dürfen wir uns einen Moment beraten?"

Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige BestienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt