Das Kamel schwankte sanft und gleichmäßig. Die schwache Brise, die über die Dünen zog, war mild. Das stundenlange Reiten hatte Tom müde gemacht. Alle drei, vier Schritte fielen seine Augen zu. Die Oase war nicht mehr weit. Unter Palmen, an einem Teich mit klarem Wasser, wartete Sophia auf ihn. Je näher er den Palmen kam, umso mehr entfernten sie sich. Das Kamel hinter ihm schnaubte. Nikos rief ihn.
„Tom, mach endlich die Augen auf."
Die Palmen verschwanden im Dunst. Nikos' Fuß traf ihn in der Seite.
„Jetzt steh auf, Du hast Besuch."
Die Enttäuschung war Tom ins Gesicht geschrieben. Nicht Sophia erwartete ihn unter Palmen, sondern der Chef des libyschen Geheimdienstes in dem kleinen Besprechungszelt.
„Tut mir leid, dass ich Dich so früh stören muss," sagte der Geheimdienstler ohne ehrliches Bedauern.
„Wie spät ist es denn?" fragte Tom.
„Sieben Uhr. Ich muss gleich wieder nach Tripolis. Was habt Ihr von dem Saudi erfahren?"
„Bezüglich der Amerikaner beschuldigt er seinen Onkel, wie übrigens die ganze saudische Regierung, einen Handel mit der CIA gemacht zu haben," begann Tom seinen Bericht und fasste ihr Gespräch vom Vorabend zusammen.
„Die Ideen, die er vertritt, ist das Gedankengut der Moslembrüder," stellte der Geheimdienstler fest. „In Libyen gibt es auch ein paar Imame, die das predigen. In Ägypten sind sie gut organisiert, und Saudi Arabien unterstützt sie massiv. Wir haben weniger Probleme mit denen, aber wir sind wachsam."
Die bislang eher ernste Miene des Geheimdienstchefs heiterte sich auf, als er das Thema wechselte:
„Ist der junge Mann denn vor den Frauen geflüchtet?"
„Zuerst schon, aber dann hat er sich doch noch überreden lassen. Unser Phil hat ein bisschen nachgeholfen, der wollte seine Wette nicht verlieren."
„Der Stabschef und ich haben auch verloren, gegen den Vorsitzenden."
„Der Vorsitzende hat eben immer recht."
„Inch Allah. Tom, erzähl mir von Serhat."
„Was soll ich sagen? Wir haben die letzten zehn Tage mit ihm verbracht, und er ist ein guter Freund geworden."
„Kannst Du Dir vorstellen, dass er für uns arbeitet?"
Tom war es nicht recht, in Serhats Abwesenheit solche Fragen zu erörtern. Deswegen antwortete er mit einer Gegenfrage:
„Wie meinen Sie das?"
„Nun, wir haben überlegt. Er studiert doch in Kairo bei Professor Al-Rahman. Wir könnten Serhat wegen seiner Forschung ein Dauervisum geben. Er könnte jederzeit hin- und herreisen und hätte eine gute Tarnung, um den Kontakt zu Oberst Al-Numeiri zu halten. Wir wollen das auch auf unserer Seite nicht durch die normalen Kanäle laufen lassen. Da gibt es Leute vom offiziellen Teil des ägyptischen Dienstes."
„Ich verstehe. So etwas könnte ich mir vorstellen. Es ist nur so, dass Serhat sich sein Studium zusammenverdient, indem er an den Pyramiden Touristen fotografiert. Dafür hätte er dann viel weniger Zeit, also den Ausfall müssten Sie ihm schon ersetzen. Ich kann ihn ja mal fragen."
„Tu das. Um die Finanzierung seines Studiums braucht er sich keine Sorgen zu machen. Er wird schon einen angemessenen Lohn für seine Mühe bekommen. Wir sehen uns heute Abend noch mal, bei der Feier mit diesen entsetzlichen Saudis, dann spreche ich mit ihm selbst."
Nach dem Frühstück hieß es, von Khaled Abschied nehmen, der jeden lange umarmte.
„Ich hoffe, wir sehen uns alle bald wieder," sagte er. „Das war eine spannende Woche, die mein Leben verändert hat. Danke."
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Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...