„Lohnt sich doch gar nicht mehr, noch schlafen zu gehen," protestierte Phil gegen Mitternacht, als die Ersten schwächelten. Billy und Martin mussten um vier zum Bahnhof, wollten sie rechtzeitig zum Einlaufen der Tutanchamun in Alexandria sein. Am Abend hatten sie genug Abstand gehabt, um ihren Ausflug an den Suezkanal zu diskutieren. Die furchtbaren Auswirkungen des Krieges so hautnah zu erleben, hatte keinen von ihnen kalt gelassen. Khaled kämpfte gegen Gewissensbisse. Sollte er seine Kameraden wirklich im Stich lassen?
„Was geben sie Dir, wenn Dir die Beine weggeschossen werden?" fragte ihn Martin, der überzeugt war, der nächste, selbst von dem UNO-Mann als unausweichlich angesehene Krieg würde kommen, und dann wären Khaled und sein Vater sicher an vorderster Front. „Oder gehörst Du zu denen, die glauben, sie werden dann im Himmel schon belohnt?"
„Ich wäre gerne noch ein bisschen auf der Erde. Aber meine Kameraden auch, und ich helfe ihnen nicht. Das ist egoistisch."
„Das sehen Deine Kinder wahrscheinlich etwas anders," gab Phil zu bedenken. „Du willst doch mal Kinder haben, oder? Sollen die ohne Vater aufwachsen?"
Khaled musste ihm recht geben. Martin nahm den Gedanken auf:
„Wenn die Väter mehr an ihre Kinder denken würden, dann gäbe es keine Kriege. Hat mal ein Freund von mir zu einem IRA-Führer gesagt. Stimmt hier genauso."
Die Ägypter hatten nur eine vage Vorstellung von der IRA und den irischen Verhältnissen. Phil und Martin klärten sie auf.
„Verstehe," fasste Maher zusammen, „Die IRA ist für England sowas wie die PLO für Israel."
„Stimmt," versetzte Phil trocken, „beide haben keine Chance."
Tom nahm sich noch mal Khaled vor:
„Ist Dir eigentlich klar, dass Du in Libyen genauso schnell in einen Kampfeinsatz kommen kannst wie in Ägypten? Libyen schickt Soldaten in den Tschad, und in einige andere Länder auch. Willst Du im Tschad mit den Rebellen für den Umsturz kämpfen?"
„Ich weiß, was im Tschad vor sich geht. Gaddafi unterstützt die Freiheitskämpfer. Ich habe mir vorher überlegt, welches Risiko ich eingehe, wenn ich Soldat werde. Ich gehe nicht aus Ägypten weg, weil ich Angst habe, sondern weil ich glaube, dass ich in Libyen schneller erreiche, was ich will. In zehn Jahren will ich Geschäftsmann sein, Frau und Kinder haben, ein Haus am Meer. In Libyen, in Frankreich, in Ägypten, wer weiß?"
Irgendwie kamen sie dann doch nicht mehr zum Schlafen. Martin nahm sich eine Stunde Zeit, um eine Gliederung für seinen Artikel zu erstellen. Tom und Nikos machten ein hübsches Paket für Basilis fertig: das komplette Geld, das er ihnen für eine eventuell notwendige Flucht nach Beirut mitgegeben hatte, dazu dreitausend Dollar von dem äygptischen Geheimdienstgeld, etliche Minoxfilme und Tonbänder.
Phil legte eine Adressenliste an und schrieb sie mit Billy für ihre neuen Freunde ab. Sie alle trugen immer noch Dschallabijas, und Nikos fand sie ebenso praktisch wie Tom:
„Die Dinger sind wirklich bequem, so als ob man einfach im Schlafanzug herumläuft. Und viel kühler als unsere Sachen."
Als Martin und Billy zum Bahnhof fuhren, fielen Tom dann doch noch die Augen zu. So bekam er nicht mit, dass Khaled um sechs Uhr mit seinem Seesack das Haus verließ. Serhat weckte Tom, Nikos und Phil um sieben, sodass sie noch mit den Nubiern frühstücken konnten.
„Kleiner Grieche, komm bald wieder," lächelte Maher und küsste Phil auf beide Wangen.
„Im Sommer hole ich Dich ab," versprach Phil. „Mein Bruder und mein Vater arbeiten auf der Fähre nach Griechenland. Ich komme mit, und wir schmuggeln Dich aufs Schiff. Ich hab auch schon eine Ahnung, wie. Hast Du Lust?"
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Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...