19 Ob Pferde weinen können ?

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Der Weg an den Nestos führte sie durch zwei Dörfer und dann eine Stunde sachte bergauf. Die Hänge des Tals waren dicht bewaldet. Anfangs gab es noch Fahrzeugspuren, wahrscheinlich von Holztransportern, dann wurde der Weg immer enger, sodass schließlich nur ein Pferd oder ein Motorrad durchkam.

Auf der Passhöhe, einer Bergwiese mit Blumen in allen Farben, machten sie eine Pause und verschafften sich einen Überblick. Egal, in welche Richtung sie schauten, überall war Wald. Im Westen ragten die Berge viel höher auf als im Osten. Von einem Fluss war weit und breit nichts zu sehen. Alle hatten Wasserflaschen in ihren Rucksäcken und stillten ihren Durst. Die Pferde mussten sich noch gedulden.

Von der Lichtung führten drei Wege weiter, je ein etwas breiterer nach Nordwesten und Nordosten und ein schmaler Trampelpfad genau nach Norden, den Ilias ansteuerte. Er war so steil, dass sie nur schrittweise vorankamen. Der Wald war nicht ganz so dicht wie entlang ihres Aufstiegs. Teilweise standen die Laubbäume licht genug, um einen Unterwuchs aus Beeren und Gras zuzulassen.

„Gibt es eigentlich einen Grenzzaun und Patrouillen?" fragte Tom Thassos.

„Die Grenze ist noch ein ganzes Stück weit weg. Da gibt es zum Teil beides. Hier kommt selten jemand hin."

Für einen Moment gab der Wald den Blick auf den Fluss frei, der noch mindestens 200 m unter ihnen lag. Der Weg knickte nach links ab, und dann ritten sie auf einem Pfad entlang eines Bachs, dessen glasklares Wasser Richtung Nestos plätscherte.

Manchmal mussten sie sich ganz flach auf die Pferde legen, um sich durch die herabhängenden Zweige zu kämpfen. Es dauerte noch einmal eine halbe Stunde, bis sie den Fluss erreichten. Links und rechts der Einmündung „ihres" Bachs gab es eine Wiese mit einigen mächtigen Weiden, und am Ufer des Nestos, der hier eine Kurve machte, einen richtigen kleinen, flachen Strand. Auf der gegenüberliegenden Seite war das Ufer sehr steil und felsig.

Sie saßen ab und ließen die Pferde trinken. Das Reiten hatte hungrig gemacht, und so packten sie ihren Proviant auf die mitgebrachten Decken und veranstalteten ein Picknick. Thassos und Samir setzten ihre Angeln zusammen und suchten sich in gebührender Entfernung ein ruhiges Plätzchen, wo das Ufer steiler war und Bäume bis ans Wasser standen.

„Kommt Euer Mann von da drüben?" fragte Martin.

„Ja, der wird jeden Moment auftauchen," antwortete Ilias. „Der wartet immer eine Weile im Wald, bis er sicher ist, dass sich niemand in der Nähe herumtreibt. Ein Stück flussaufwärts ist ein Boot versteckt."

Die Pferde dösten im Stehen, während die jungen Leute ihren Nachtisch rauchten, da brach plötzlich aufgeregtes Geschrei aus. Sie sprangen auf und liefen zu den beiden Anglern, die mit einem großen Fisch kämpften. Endlich gelang es ihnen, ihn mit vereinten Kräften an Land zu ziehen und ins hohe Gras zu werfen. Thassos hielt das zappelnde, glitschige Tier fest, und Samir haute ihm einen Knüppel auf den Kopf. Dann setzte er zwei tiefe Schnitte hinten am Kopf, in die Thassos hineingriff, um den Fisch im Fluss ausbluten zu lassen.

„So einen großen haben wir noch nie gefangen. Der kommt heute Abend auf den Grill," versprach Samir mit leuchtenden Augen. Leider ließ sich nicht klären, um was für einen Fisch es sich handelte, da niemand eine Übersetzung wusste. Sie tauften die Gattung „Grillfisch".

Samir und Thassos nahmen ihr Handwerk wieder auf, und die anderen gingen zurück zu ihrem Rastplatz. Ein Ruderboot mit zwei Männern kam um die Biegung des Flusses und hielt auf den Sandstrand zu. Ilias watete ins Wasser und zog das Boot auf den Sand. Ohne auszusteigen reichte ihm einer der Bulgaren einen kleinen Beutel. Ilias überprüfte den Inhalt und übergab seinerseits ein Bündel Banknoten. Dann stieß er das Boot ab, und die beiden jungen Männer ruderten ganz nah am Ufer flussaufwärts.

Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige BestienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt