Auf der Terrasse warteten Tom, Nikos und Martin auf das Ende von Daves Stadtführung. Irgendwie war die Welt nicht mehr dieselbe wie am Morgen. In den Wäldern Mitteleuropas schlummerten Waffen und Kämpfer, von denen die Regierungen kaum etwas wussten. Bisher hatte man den Begriff „Großer Bruder – Big Brother" für den wichtigsten Verbündeten jenseits des Ozeans benutzt, weil das alle taten, ohne darüber nachzudenken, was genau er eigentlich bedeutete. Die Papiere führten es ihnen auf eine Weise vor Augen, die sich keiner von ihnen hatte vorstellen können. Die bange Frage war: gab es eine solche Geheimarmee auch in Griechenland? Würden sie hier eines Tages solchen Truppen gegenüberstehen?
Als die Ausflügler in der Mittagshitze zurückkamen, hatte keiner mehr Lust, nach Chania zu fahren und schon wieder durch eine Stadt zu laufen.
„Verschiebt das ruhig auf morgen," sagte Andreas. „Das trifft sich ganz gut. Ihr habt genug Autos, um dann ein paar zusätzliche Sachen mitzunehmen, die zum Teil noch nicht hier sind. Der Ausflug in die Berge hinter Chania dauert ungefähr zwei Stunden. Ginge das? Ihr braucht die Sachen nur an einem Bauernhof zu übergeben, die Männer dort transportieren sie mit Eseln weiter."
„Warum nicht? Wann sollen wir die Sachen denn abholen?" fragte Nikos.
„Die meisten Sachen habe ich schon hier, Konserven und so etwas, aber heute Nacht kommen noch Werkzeuge, Hacken und Schaufeln."
„Waffen? Sprengstoff?"
„Nein."
„Gut, dann können alle mitfahren."
Nikos wandte sich den anderen zu:
„Chania machen wir morgen. Wir tun Andreas einen Gefallen und fahren in die Berge, was abgeben. Und heute?"
„Lasst uns an den Strand bei Knossos fahren," schlug Xenia vor, und alle waren ihr dankbar für diese Idee. Auch Toms Eltern hatten keinen Einwand. Tom hatte ihnen gesagt, sie würden heute bestimmt irgendwo schwimmen, und so hatten sie ihre Badesachen dabei. Lydia gönnte sich auch einen freien Nachmittag und begleitete sie, sehr zur Freude von Toms Mutter, der die Griechin auf Anhieb sympathisch war.
„Und, was habt Ihr denn so Wichtiges bekommen?" fragte Toms Vater auf dem Weg. Ihm war nicht entgangen, dass die jungen Männer angespannt wirkten.
„Ach, solche Papiere halt. Nicht so interessant."
„Und was für ein Strand ist das jetzt?"
„Unser Lieblingsstrand, genau in der Einflugschneise. Man kann die Flieger fast berühren, wenn sie landen."
„In der Einflugschneise? Ihr habt Ideen."
Am Strand stellten die Älteren fest, dass die jungen Leute nicht nur sehr gerne musizierten und – gesundheitsbewusst, wie sie waren – griechischen Kräutern den Vorzug vor den schädlichen Tabakzigaretten gaben, sondern eben auch eine Kampftruppe waren. Dave übte mit ihnen die israelische Selbstverteidigung, woran sich auch die Frauen beteiligten. Im Anschluss war natürlich das übliche allgemeine Raufen angesagt.
Lydia lächelte die fast gleichaltrige Deutsche an:
„Wie die Kinder."
„Könnte man meinen. Was ich gestern und heute gehört habe, das hat mit Kindereien nicht mehr viel zu tun."
Lydia seufzte wissend - schließlich hatten sich in ihrem Haus zentrale Ereignisse abgespielt, die das belegten.
„Ich habe Tom zum ersten Mal gesehen, als er zusammen mit Dave und vier Australiern hier war, eigentlich nur, um uns ein paar Geräte zu bringen. Drei Tage später saßen in meinem Wohnzimmer ein amerikanischer Deserteur, den sie aus dem Gefängnis geholt haben, und zwei britische Soldaten, die aus Souda Bay desertiert waren. Die haben sie dann alle aus dem Land geschmuggelt. Der britische Geheimdienst hat sie verfolgt, aber Tom hat sie in Rethymnon abgehängt."
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Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige Bestien
Historical FictionIm 6. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute" erleben Tom und seine Freunde während eines Besuchs am Suezkanal und in Ismailia die brutalen Auswirkungen des Nahostkrieges. Auf einer Autofahrt von Kairo zur libyschen Grenze geraten sie in eine Ausein...