7 Im Schneckentempo durch die Nacht

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Khaleds Herz schlug bis zum Hals. Sein Vater oder seine Mutter hätten ihn aufhalten können, aber sie hatten ihm nur viel Glück gewünscht und waren anscheinend froh, dass er wegging, wenn auch aus anderen Gründen, als er ursprünglich befürchtet hatte - sie wollten ihn nicht loswerden, sondern ihn lieber an einem Ort wissen, der ein geringeres Risiko für ihn bedeutete als ein Kampfeinsatz in Assiut. So hatte es ihm seine Mutter erklärt. Nun konnte nur noch er selbst sich aufhalten. Er schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch, und dann folgte er den anderen unter der geöffneten Schranke hindurch.

Der junge libysche Grenzsoldat, der sie auf der anderen Seite empfing, trug kein Rangabzeichen, aber eine Brille, die ihm ein intellektuelles Aussehen verlieh. Khaled beobachtete, wie Tom salutierte und seinen von Gaddafi unterzeichneten Passierschein präsentierte. Der Grenzer nahm Haltung an, grüßte und sagte in fehlerfreiem Englisch:

„Willkommen zurück in Libyen, Herr Major. Ich freue mich, Sie einmal persönlich kennenzulernen. Hatten Sie eine gute Reise?"

„Danke. Nur ein geplatzter Reifen, und wir mussten leider ein paar ägyptische Polizisten entwaffnen, die uns aufhalten wollten. Sie haben von uns gehört?"

„Mehr als das. Ihr habt uns dieses wunderbare Training gebracht, als ich Offiziersanwärter in Al-Adam war. Ich war dabei, aber wir haben damals nie miteinander gesprochen."

Billy, Khaled und Serhat lernten ihre Freunde von einer ganz neuen Seite kennen. Sie hatten in den wenigen Tagen ihrer Freundschaft eine Menge zusammen erlebt. Was sie alle am meisten verband, war – neben ihren gemeinsamen Überzeugungen - Neugier, Offenheit, und auch ein bisschen Abenteuerlust. Plötzlich rutschten ihre Kumpel in eine ganz andere Rolle.

Tom, Nikos und Phil schienen einen Ruf zu haben in Libyen, einen verdammt guten. Das wurde ihnen klar, als nicht nur ihre Papiere überflüssig waren, sondern der Grenzsoldat einfach nur fragte:

„Was kann ich für Sie tun, Major Tom?"

„Erst mal Deinen Namen und Deinen Dienstgrad sagen, und dann lassen wir den Dienstgrad weg."

„Ich bin Hauptmann und hier der Chef, wenn's dunkel wird. Ich habe immer die Nachtschicht Mein Name ist Ali."

„Danke, Ali. Ich habe wichtige Nachrichten für Oberst Gaddafi. Könntest Du den Kontakt für uns herstellen? Es ist dringend."

„Natürlich. Kommt bitte mit."

Ein anderer Soldat übernahm seinen Posten, und Ali führte sie zu einem einstöckigen, weißen Verwaltungsgebäude, das im Halbdunkel lag. Das Büro des Wachhabenden war geräumig. Ein Schreibtisch, zwei Telefone, ein paar Stühle und ein Aktenschrank verloren sich in dem Raum mit Steinfußboden. Zwei große Ventilatoren hingen bewegungslos an der Decke. Hinter dem Schreibtisch des Wachhabenden prangten zwei Fotos an der Wand: die rot-weiß-schwarze panarabische Flagge, wenn auch in schwarz-weiß, und ein jugendlich-dynamischer Gaddafi.

„Seid Ihr hungrig? Möchtet Ihr Tee?"

„Danke, wir haben in El Salloum gegessen, aber zu Tee sagen wir niemals nein."

Ali bellte ein paar Sätze in das eine Telefon und sprach deutlich ruhiger ein paar Minuten über das andere.

„Wir werden sicher bald einen Anruf bekommen. Wieso kommt Ihr denn zu Fuß? Das haben wir hier nicht oft."

„Ein Auto hat uns nach El Salloum gebracht, und von da aus sind wir mit einem Taxi an die Grenze gefahren. Das hängt alles mit unserem Auftrag zusammen."

Khaled fragte Ali aus, wie die Chancen in der libyschen Armee für ihn stünden. Er hatte sein gutes Schulzeugnis dabei und hoffte, von vornherein die Offizierslaufbahn einzuschlagen.

Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige BestienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt