4 Nicht mal hundert Kilometer

4 3 0
                                    

„Luken zu," schrie der Oberstleutnant, und prompt krachte eine zentnerschwere Metallplatte auf Mahers Kopf. Das war der Nachteil seiner sonst so vorteilhaften Körpergröße.

„Phil, Du auch," fuhr der Befehlshaber Phil an, „oder willst Du mit MG auf Granaten schießen?"

Phil gehorchte der Logik.

In diesem Moment hörten sie trotz des Lärms in dem Panzer die zweite Explosion. Benutzten die Israelis sie als Zielscheibe? Tom merkte, wie er zu zittern begann. Wenn ihr Panzer getroffen wurde, halfen ihnen auch keine Stahlhelme.

Die zwei Kilometer zum Hafen absolvierten sie trotz schlechtester Straße in halsbrecherischem Tempo. Der Höllenritt hinterließ bei jedem blaue Flecken, die man zwar noch nicht sah, aber man spürte sie schon. Gerade, als die Panzer zum Stillstand kamen, erfolgte noch eine Explosion, zum Glück anscheinend in größerer Entfernung.

Mit geschlossenen Luken, aber laufendem Motor standen die Panzer in der Nähe einer Bretterbude unter einem mit Schilf belegten hohen Unterstand. Der Oberstleutnant wartete eine Viertelstunde, in der keine weiteren Detonationen erfolgten. Dann erlaubte er ihnen abzusitzen. Ein Hauptmann trat hinzu und erstattete Meldung:

„Der neue Funkmast hat genau drei Tage gestanden. Ein kleines Schauspiel für unsere Gäste, könnte man meinen."

Der Mann war eine Mischung aus Empörung und Resignation. Er entfernte sich mit Khaleds Vater ein paar Meter, um die Lage zu diskutieren. Die jungen Männer waren blass und schweigsam.

„Wir haben das Risiko abgeschätzt," sagte der Oberstleutnant, als er seine Diskussion mit dem Hauptmann beendet hatte. „Es ist uns zu gefährlich, Sie auf das Schiff zu bringen. Es gibt Tage, da sitzt der Finger etwas lockerer am Abzug als an anderen, und wer in der Welt würde sich darum scheren, wenn hier ein Boot mit ein paar ägyptischen Soldaten abgeschossen wird? Es tut mir leid, aber aus Ihrem Ausflug wird nichts."

Tom und seinen Freunden war klar, dass diese Entscheidung endgültig war, und sie versuchten gar nicht erst zu widersprechen. Ein Zielschießen auf ein Schnellboot mussten sie nicht haben. Sie übergaben dem Hauptmann ihre Gastgeschenke für die Seeleute, und er versprach hoch und heilig, sie bei nächster Gelegenheit mitzuschicken. Sie schrieben einen Gruß auf eine Seite aus Martins Spiralblock und unterschrieben alle.

Dann bestiegen sie ihre Metallkisten und fuhren, nun wieder mit offenen Luken, bergauf. An dem Laden rasteten sie noch einmal. Die letzte Etappe bestand aus zwei Stunden Wüstenfahrt, und ihr fahrbarer Untersatz war alles andere als bequem. Als sie das Dorf hinter sich ließen, kam die Gruppe von Schiffen in Sicht. Bei der Hinfahrt war es so diesig gewesen, dass sie vergebens Ausschau gehalten hatten. Tom bat den Oberstleutnant anzuhalten. Sie stiegen aus, und der Soldat erklärte ihnen den Frontverlauf. Auch jetzt waren die Schiffe selbst mit dem Fernglas nicht scharf zu sehen, weil sich die Dunstschicht immer noch nicht ganz aufgelöst hatte. Fünf Frachter lagen reglos nebeneinander, an Deck war keine Menschenseele zu sehen.

Eine Ruinenstadt, eine Mondlandschaft, und nun Geisterschiffe. Ihr Ausflug glich einer Reise ins Reich des Surrealen. Besonders gespenstisch fand Tom den Gedanken, dass das pulsierende Leben der Hauptstadt nur hundert Kilometer entfernt war. Sie saßen wieder auf und bogen in eine Wüstenpiste ein, die sie direkt zu dem Armeelager zurückführte, von dem sie gestartet waren.

Nach wenigen Minuten der Fahrt über die Wüstenpiste verstanden alle, warum jeder ein schwarzes Baumwolltuch bekommen hatte. Nicht nur diejenigen, die aus den Luken schauten, sondern selbst die Männer im Panzer mussten sich Tücher vor Mund und Nase binden, um den Staub abzuhalten.

Es wurde nicht geredet, wofür der Lärm der Panzer nicht der einzige Grund war. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Was sie erlebt hatten, musste verarbeitet werden. Die Explosionen der Granaten steckten ihnen in den Knochen, vor ihren Augen und in ihren Köpfen flimmerten die Eindrücke aus Ismailia.

Die richtigen Leute Band 6: Blutrünstige BestienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt